Witten. Werde ich je wieder gesund? Diese Frage stellt sich eine Ärztin nach einer Covid-Infektion. Warum sie eine Wittener Selbsthilfegruppe besucht.

Nadine Rommerswinkel ist Ärztin. Im Februar hat sie sich mit Corona infiziert. Die 43-Jährige sagt, dass sie sich bei der Arbeit in der Klinik angesteckt habe. Seit der Erkrankung ist für die bis dahin sportliche Frau nichts mehr wie es war. Sie leidet unter dem, was Experten einen „Long Covid“ nennen.

Betroffene gaben in einer Internetumfrage über 200 verschiedene Beschwerden an, die bei den meisten auch sechs Monate nach der Corona-Infektion noch vorhanden sind. Viele „Long Covid“-Patienten sind nicht oder nur eingeschränkt arbeitsfähig. Nadine Rommerswinkel ist seit Februar krankgeschrieben. Die Assistenzärztin hat sich der Wittener Covid 19-Selbsthilfegruppe angeschlossen. Um sich mit anderen Betroffenen austauschen zu können, um mit Menschen zu sprechen, die wirklich verstehen, wie es ihr geht. „Auch andere fühlen sich alleingelassen.“

Von „Long Covid“ Betroffenen, „die sich oft zurückziehen“, will die Medizinerin aber auch helfen, ihnen erklären, was ihr gutgetan hat - wie etwa anthroposophische und traditionelle chinesische Medizin, Ergo- und Physiotherapie, auch Hyperthermie, die mit einer Überwärmung des Körpers arbeitet.

Die permanente Erschöpfung lässt kleinste Anstrengungen zur großen Herausforderung werden

Nadine Rommerswinkel hatte Glück im Unglück. Die Corona-Infektion hat weder ihr Herz noch ihre Lunge angegriffen. „Organisch habe ich nichts.“ Was sie jetzt, noch ein halbes Jahr nach der Infektion ausbremst und schwer belastet, ist eine permanente Erschöpfung, die selbst kleinste Anstrengungen zur großen Herausforderung oder Überforderung werden lässt. Mediziner sprechen von „Fatigue“. Auch Krebskranke kennen diese quälende Erschöpfung.

Auch interessant

Nadine Rommerswinkels Freundin war auch an Corona erkrankt. „Sie hat sich wahrscheinlich bei mir angesteckt.“ Diese Infektion verlief anders. Ihrer Partnerin geht es wieder gut. Schon eine Woche nach der Quarantänezeit habe sie wieder arbeiten können. Der Ärztin erging es anders: „Ich habe elf Stunden geschlafen und tagsüber noch einmal drei bis vier Stunden und war trotzdem schlapp und müde.“ Zu Beginn konnte sie sich immer nur eine Sache für den Tag vornehmen. „Ich konnte einkaufen oder eine halbe Stunde spazieren gehen.“ Mittlerweile gehe zumindest schon wieder beides. Trotzdem komme täglich das Gefühl, „als habe jemand den Stecker gezogen. Gleichzeitig treten Übelkeit, Kopfschmerzen und ein Kältegefühl auf“. Dann muss sich die 43-Jährige erst einmal zwei, drei Stunden lang ausruhen.

Medizinerin: „Ich leide unter Gedächtnisstörungen“

In ihrem früheren Leben waren für die Ärztin 60 Kilometer weite Fahrradtouren ein großer Spaß. „Jetzt kann ich mit Pausen 30 Minuten auf dem Rad sitzen.“ An einen anstrengenden Arbeitsalltag als Klinikärztin sei nicht zu denken, sagt die Medizinerin. Nicht nur, dass sie dazu körperlich nicht in der Lage sei. „Ich habe auch Probleme, mich zu konzentrieren, leide unter Gedächtnisstörungen.“ Dass ihr Kopf länger brauche, „um Informationen zu verarbeiten“, merke sie auch beim Lesen oder Puzzeln. Selbst private Telefonate würden sie oft überanstrengen.

Covid 19-Selbsthilfegruppe trifft sich Ende August

Die Wittener Covid 19-Selbsthilfegruppe trifft sich das nächste Mal am 26. August von 15.30 Uhr bis 17.30 Uhr in der Selbsthilfekontaktstelle Witten (Dortmunder Str. 13). Das Marien-Hospital hat die Gründung der Gruppe unterstützt. Denn, so Chefarzt Dr. David Scholten: Corona stelle Betroffene, Angehörige aber auch behandelnde Ärzte vor gewaltige Probleme. Außerdem gebe es kaum Langzeiterfahrungen.

In der Selbsthilfegruppe können Kontakte zu Ansprechpartnern und Behandlern unter anderem aus dem medizinischen und krankengymnastischen Bereich geknüpft werden. Interessierte können sich bei der Selbsthilfe-Kontaktstelle anmelden: 02302/15 59; E-Mail:

Nadine Rommerswinkel empfiehlt auch die Deutsche Fatigue-Gesellschaft mit Sitz in Köln. Auf der Homepage des Vereins (www.deutsche-fatigue-gesellschaft.de) gebe es wertvolle Tipps.

Am Anfang ihrer Covid-Erkrankung habe sie gedacht: „In vier Wochen ist alles wieder gut.“ Dass sie nicht arbeitsfähig ist, mache ihr Druck, sagt die Assistenzärztin. Auch Kollegen fragten: Wann können wir wieder mit Dir rechnen? Nadine Rommerswinkel weiß es nicht. „Es dauert, solange es dauert.“ Sie wisse nicht, ob sie überhaupt wieder einmal der Mensch wird, der sie einmal war - aktiv, sportlich, nicht zu bremsen. „Oder begleiten mich diese gesundheitlichen Probleme jetzt ein Leben lang?“ Diese ständige Erschöpfung mache ihr große Sorgen, gibt sie zu. „Ich will wieder arbeiten, ich muss Geld verdienen. Das belastet mich zusätzlich.“

Ende des Monats läuft der Vertrag mit der Klinik aus

Ende letzten Jahres hat Nadine Rommerswinkel ihre Doktorarbeit fertiggestellt. Für die mündliche Promotions-Prüfung hat sie derzeit keine Kraft. Ihr Arbeitsvertrag mit der Klinik läuft Ende des Monats aus. „Das war eine befristete Stelle.“ Jetzt sei sie nicht nur arbeitsunfähig, sondern bald auch arbeitslos, sagt die Ärztin. „Da hat man Existenzängste.“ Auch ihre Träume will sie nicht begraben: „Ich möchte wieder bergwandern, einen Klettersteigkurs und lange Radtouren machen.“ Ende September wird Nadine Rommerswinkel erst einmal zur Reha nach Bischofswiesen in Bayern fahren. Die hat die Ärztin bitter nötig. „Denn ich fühle mich ständig so erschöpft, als hätte ich fünf anstrengende Nachtdienste hintereinander gearbeitet.“