Witten. Seit Oktober sitzt Axel Echeverria (SPD) für Witten im Bundestag. Wie der Neu-Parlamentarier sich zum Krieg in der Ukraine positioniert.
Es sollte ein Interview zu Axel Echeverrias ersten Erfahrungen als neuer Abgeordneter für den Wahlkreis Witten, Hattingen, Herdecke, Sprockhövel und Wetter werden. Denn der 41-Jährige sitzt erst seit Ende Oktober im Bundestag. Dann griff Russland die Ukraine an. Stephanie Heske sprach mit dem SPD-Politiker über den dortigen Krieg und darüber, was er in Berlin bewegen will.
Kanzler Scholz sprach in seiner Regierungserklärung von einer Zeitenwende – und meinte damit den russischen Einmarsch in die Ukraine. War der 24. Februar auch für den Abgeordneten Echeverria eine Zeitenwende?
Alle Abgeordneten dieses Bundestages leben mit immer neuen Hiobsbotschaften. Erst schossen in der Omikron-Welle die Infektionszahlen nach oben, dann müssen wir uns der Klimakatastrophe stellen – und nun der Krieg in der Ukraine. Das alles sind große Herausforderungen und eine Masse an Themen in kürzester Zeit. Aber ja, natürlich ist der Angriff auf die Ukraine ein historischer Wendepunkt. Durch ihn hat sich die geopolitische Lage binnen weniger Tage gewandelt.
Wie ernst, denken Sie, muss der Westen die atomare Bedrohung durch Russland nehmen?
Putins Vorgehen hat gezeigt, dass man wirklich alles ernst nehmen muss, das von ihm kommt. Bei einem Atomkrieg kann es nur Verlierer geben, keine Gewinner. Ich hoffe sehr, dass auch Putin das bewusst ist.
Haben Sie Angst?
Auch interessant
Ich persönlich habe keine Angst, aber großen Respekt vor der Lage. Wir müssen hier mit viel Fingerspitzengefühl agieren. Viele Menschen in meinem Umfeld haben Angst. Und das kann ich gut nachvollziehen. Man fragt sich, was da gerade fast vor der eigenen Haustür passiert und wohin es noch führen könnte. Angst habe ich um meine Familie. Mein Sohn ist zwei. Da stellt man sich die Frage, wie sich die politische Lage weiter entwickeln wird. Unsere Kinder werden mit der veränderten Situation ja noch lange leben müssen.
Deutschland schickt nun Waffen in die Ukraine, hat schlussendlich seine Zustimmung für einen Ausschluss Russlands aus dem SWIFT-Verfahren gegeben. Kam die harte Reaktion der Regierung zu spät?
Nein. Wir sind eine parlamentarische Demokratie, da muss das Parlament mitgenommen werden. Dafür fand ich die Reaktion doch schnell. Viele langjährige Tabus gibt es nun nicht mehr – aber man wirft sie eben auch nicht so schnell über Bord. Ich bin selbst auch überhaupt kein Freund von Waffenlieferungen. Aber die Entscheidung ist nachvollziehbar. Dennoch ist es richtig, dass wir es bis zuletzt auf diplomatischem Weg versucht haben. Aber Putin hat Fakten geschaffen. Darauf müssen wir jetzt reagieren.
Wurde Putin vom Westen unterschätzt?
Er hat ja auch zuvor in Georgien und auf der Krim bereits gezeigt: Er will ins 20. Jahrhundert zurück, will seine Machtsphäre ausdehnen, Gebiete hinzugewinnen. Unterschätzt haben wir seine Gewaltbereitschaft. Aber Putin hat auch die internationale Gemeinschaft unterschätzt.
Gehen Ihnen die Sanktionen weit genug?
Ich trage sie vollumfänglich mit. Es sind sehr sehr harte Sanktionen und sie zeigen schon Schritt für Schritt Wirkung. Aber auch wir werden die Konsequenzen zu spüren bekommen. Bei einem solchen Tabubruch muss man aber dennoch so reagieren. Wir müssen Putin und seine Oligarchen treffen. Und das geht nur über die Finanz- und Wirtschaftsmärkte.
Gerade die SPD hat sich lange dagegen gesträubt, den Verteidigungsetat hochzusetzen. Nun sollen sogar mehr als die von der Nato schon lange geforderten zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes in die Bundeswehr fließen. Kommt diese Kehrtwende zu spät?
Das stimmt, auch die SPD hat sich dem lange versperrt. Rückblickend lassen sich solche Entscheidungen immer leichter beurteilen, sie müssen aber im Kontext ihrer Zeit gesehen werden. Und wir hatten in Europa eine lange Zeit des Friedens. Der 24. Februar wird nun sicherlich in die Geschichtsbücher eingehen.
+++Alle Entwicklungen rund um den Krieg in der Ukraine auf unserem Newsblog+++
Was heißt das?
Natürlich muss die Truppe gut ausgerüstet sein, es braucht aber auch eine strukturelle Veränderung. Sicherheit, Solidarität und internationale Bündnisse sind wichtig, wir müssen aber aufpassen, dass wir jetzt nicht gegenseitig hochrüsten und irgendwann in einem neuen Militarismus aufwachen. Das hatten wir doch lange hinter uns gelassen. Wir müssen aber auch darauf achten, wie wir das alles finanziert bekommen. Denn auch andere wichtige Zukunftsthemen dürfen nicht auf der Strecke bleiben. Und: Wir sollten jetzt auch über eine gemeinsame europäische Verteidigung nachdenken.
Auch interessant
Um auch auf ein anderes Thema zu sprechen zu kommen: Wie hat sich Ihr Leben verändert, seit Sie in den Bundestag eingezogen sind?
Eigentlich komplett. Ich pendele jetzt zwischen Witten und Berlin. Es gibt zwischen 20 bis 22 Sitzungswochen im Jahr. Den Rest der Zeit bin ich hier, schließlich vertrete ich ja auch die Menschen aus dem Kreis. Politisch aktiv war ich ja schon immer. Aber jetzt stehe ich etwa auch mit Handynummer im Internet, bekomme viele Anrufe von Wählern. Und das ist auch gut so. Die Menschen haben ein Recht auf ihren Abgeordneten. So vieles hat sich verändert, ich kann nur meiner Partnerin danken, dass sie mir den Rücken frei hält.
Ihre Schwerpunkte sind die Sozial- und Arbeitsmarktpolitik, nun sitzen Sie allerdings nicht in dem entsprechenden Ausschuss, sondern sind Obmann des Petitionsausschusses und Mitglied im Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz. Können Sie so umsetzen, was Sie sich vorgenommen hatten?
In den Ausschuss für Arbeit und Soziales wollen sehr viele. Deshalb war es nicht verwunderlich, dass das nicht geklappt hat. Der Petitionsausschuss befasst sich aber mit jeder Menge arbeits- und sozialpolitischer Themen. Auch im Umweltausschuss gibt es Überschneidungen mit meinen Themen. Deshalb bin ich ganz zufrieden.
Was wollen Sie ganz konkret für die Region, für Witten, bewegen?
Ich und andere Kollegen aus dem Ruhrgebiet treiben gemeinsam das Thema Kommunalfinanzen voran. Da muss dringend etwas passieren. Wie gut der Staat funktioniert, sieht man ja immer zuerst vor der eigenen Haustüre. Deshalb müssen wir nicht nur die Altschulden angehen, die auf unseren Kommunen lasten, sondern auch die strukturelle Unterfinanzierung der Städte. Jahrelang hatte man die schwarze Null als Ziel. Aber man muss, zum Beispiel mit Blick auf die A45, auch fragen, was wichtiger ist: eine funktionierende Infrastruktur oder keine Schulden zu machen.
Was haben Sie sich sonst noch vorgenommen?
Wir wollen das Petitionsrecht ins 21. Jahrhundert führen. Ich halte das für ein unglaublich wichtiges Instrument, über das die Bürger direkt Einfluss nehmen können auf die Politik. Aber viele Menschen starten Petitionen auf Internetplattformen, anstatt sich an uns zu wenden. Der politische Einfluss ist dann sehr überschaubar. Deshalb müssen wir das Verfahren und den Zugang vereinfachen, etwa mithilfe einer App.
Ihr eigentlicher Vorname – Iñaki – ist nicht der, unter dem man Sie kennt. Warum?
(lacht) Nur meine Oma hat mich jemals so gerufen, ansonsten war ich immer Axel. Das kann auch von Vorteil sein, wenn man hier aufwächst und schon einen komplizierten Nachnamen hat. Die Frage, wie man Echeverria richtig ausspricht, war übrigens auch die häufigste im Wahlkampf.