Witten. Der Militärschlag Russlands macht Leute fassungslos. In Witten lebende Ukrainer haben Angst um ihre Familien. Was eine hier lebende Russin sagt.
Aus der Angst ist schreckliche Gewissheit geworden: Russland hat die Ukraine angegriffen. Viele Menschen sind fassungslos, es gibt Protest und Friedensgebete. Wittener, die aus der Ukraine stammen, sind der Verzweiflung nahe, bangen sie doch um engste Verwandte.
Mutter spricht von Panik im ganzen Land
Es ist 7.30 Uhr an diesem Donnerstag, 24. Februar, als ihre Mutter die gebürtige Ukrainerin Nataliya Koshel anruft. Drei Worte sind es zu Beginn: „Es ist soweit“. Die Mutter klang sehr gefasst, sagt die 37-Jährige später. Viele Ukrainer haben mit Krieg gerechnet, seit Wochen deutete fast alles darauf hin. Ich solle mir keine Sorgen machen, falls gleich die Verbindung abreiße, war dann schon der nächste Satz in dem Gespräch. Man befürchte, dass das Telefonnetz attackiert werde. Die Mutter habe von Panik gesprochen, die sich im gesamten Land ausbreite - auch in ihrer Stadt Horodok, im Westen des Landes gelegen. „Vor den Geschäften stehen Menschen Schlange, auf den Straßen bilden sich lange Staus.“ Mutter und Vater bleiben, so Koshel, in ihrer Wohnung, schauen Nachrichten.
Die Angst, was aus ihren Eltern, ihren Verwandten wird, ist riesengroß, sagt die Vorsitzende des Integrationsrates. Sie selbst hatte in den frühen Morgenstunden von dem Angriff gehört. Seither läuft ständig der Fernseher, im Internet ist sie unterwegs, versucht Freunde und Bekannte zu erreichen. Einer von ihnen lebt in Kiew. Der habe von Explosionen gesprochen, im Nachbarhaus seien viele Scheiben zu Bruch gegangen.
Gebürtige Ukrainerin kämpft mit den Tränen
Die Familie lebe zwar nur 30 Kilometer von der polnischen Grenze erfährt, so Koshel. Eine Flucht sei riskant. Es gelte Kriegsrecht, die Menschen dürfen ihre Regionen eigentlich nicht mehr verlassen. Gebannt schaut sie auch auf die Entwicklung am Flughafen in Lemberg. Wenn der dicht sei, werde es noch schwieriger, aus der Ukraine herauszukommen.
Friedensgebet und Mahnwache
Nach einem Friedensgebet der Evangelischen Gemeinde in Rüdinghausen am Donnerstagabend (24. Februar) und einer Protestkundgebung auf dem Berliner Platz sowie auf dem Karl-Marx-Platz stehen weitere Aktionen an.
Am Freitag, 25. Februar, lädt um 18 Uhr die Evangelische Gemeinde Herbede zum Friedensgebet in die Kirche an der Kirchstraße ein.
Eine „Mahnwache zur sofortigen Einstellung jeglicher Kampfhandlungen in der Ukraine“ bereitet Bürgermeister Lars König vor. Beginn ist am Samstag, 26. Februar, um 11 Uhr auf dem Rathausplatz.
Die Wittenerin selbst kämpft immer wieder mit den Tränen. Ihr sechsjähriger Sohn habe gesagt, dass er sie noch nie haben weinen gesehen. Als der Junge aus der Schule zurückkam, erklärte sie ihm, was passiert ist. Russland ist in die Ukraine einmarschiert, das Land, in dem seine Großeltern leben.
Nataliya Koshel wohnt seit 13 Jahren in Witten und wünscht sich jetzt, dass die Stadt ihre Partnerschaft mit dem russischen Kursk beendet. Auch wenn das Schicksal Europas nicht dort, sondern in Moskau entschieden werde, müsse die Solidarität mit der Ukraine Vorrang haben. Daher gelte es ein Zeichen zu setzen. Die Frage nach dem Fortbestand der Partnerschaft wirft auch Ratsvertreter Eckhard Hülshoff (Die Partei) auf. Ob man sie wie bisher pflegen kann, gibt er zu bedenken. Zudem regt er an, sich um die Menschen in Witten mit ukrainischer Wurzel zu kümmern.
Freundeskreis Witten-Kursk verurteilt den Angriff
Der Freundeskreis Witten-Kursk hat indes gestern den Angriff Moskaus auf die Ukraine verurteilt. In der Erklärung heißt es: „Der jetzt entstandene offene Krieg in der Ukraine durch russisches Militär ist auf das Schärfste zurückzuweisen und zu beenden.“ Die beiden Vorstände Rita und Dieter Boele sind „erschüttert“ und rufen dazu auf, wieder weiter zu verhandeln, um die Spirale der Gewalt zu durchbrechen. Den Kontakt wollen sie trotz allem fortsetzten, damit der Gesprächsfaden nicht abbricht. In anstehenden Videokonferenzen wollen sie auf den Einmarsch in die Ukraine eingehen. Ob die Gegenseite offen sprechen werde, sei zweifelhaft. Es herrsche große Angst vor dem Machtapparat Putins. Viele russische Medien haben ferner dazu beigetragen, dass die Schuld für den Waffengang bei der Ukraine zu suchen sei.
Seit gestern Morgen verfolgt hiesige Medien die 47-jährige Valentina Shurygina unaufhörlich. Sie ist gebürtige Russin, ihre Eltern leben rund 200 Kilometer entfernt vom Schwarzen Meer. Die Schneiderin sorgt sich, welche Folgen der Einmarsch für ihre Familie und die ganze Region haben wird. Der Militärschlag, so sagt sie unmissverständlich, ist „mit nichts, aber auch gar nichts zu rechtfertigen“.