Witten/Bochum/Hattingen. Es war eine Reise in die Vergangenheit. Bap-Sänger Wolfgang Niedecken nahm das begeisterte Publikum am Kemnader See mit – nicht nur musikalisch.
Mit Wolfgang Niedecken stand bei der Strandkorb-Edition des Zeltfestivals einmal mehr ein Star aus der ersten Reihe auf der Bühne am Kemnader See. Dieser huldigte einem Hohepriester des Rock ’n’ Roll – keinem Geringeren als Bob Dylan. Die vielleicht 300 bis 400 Zuschauerinnen und Zuschauer erlebten einen gut aufgelegten Kölner, der sich nicht nur als Sänger präsentierte.
Niedecken las, manchmal etwas zu lang, aus dem, was er über den großen, zehn Jahre älteren Rockpoeten aus den USA aufgeschrieben hatte und was letztendlich immer auf einen (Dylan)-Song zusteuerte, den er mal auf Englisch, gerne aber auch auf Kölsch sang. Letztlich war es eine Zeitreise in die eigene Vergangenheit des Bap-Sängers, für den Bob Dylan früh eines der großen Idole wurde.
Schülerband, Internat in Rheinbach, Kneipen-Konzerte in der Kölner Südstadt, spätere Amerika-Reisen auf den Spuren des großen Robert Zimmerman, wie Bob Dylan eigentlich heißt – Niedecken wusste mit vielen kleinen persönlichen Geschichten die eigene Biografie und die Dylan-Story zu verknüpfen.
Wie sehr er dem „Meister“ verbunden ist, machte der 70-Jährige schon optisch deutlich. Die grauen Locken lugten unter einem grauen Hut hervor, die Mundharmonika unters Kinn gespannt, die Gitarre über der Schulter, die Dylan-typische Sonnenbrille auf der Nase – manchmal dachte man, steht da jetzt Niedecken oder der große Bob persönlich auf der Bühne?
Niedecken bleibt Niedecken
Am Ende blieb Niedecken aber Niedecken, der – wen wundert’s – immer auch ein bisschen nach Bap klang, ob er nun „Knockin’ on Heaven’s Door“, „Like a Rolling Stone“ oder „Forever Young“ anstimmte. Es war ein wunderbarer Sound, der die zunehmend klamme Abendluft am See erfüllte. Begleiten ließ er sich nur von seinem alten Freund Mike Herting an den Tasten, „den ich länger kenne als Bap“, also seit über 45 Jahren.
Für Niedecken war der coronabedingte Auftritt vor Menschen, die im Strandkorb saßen, auch etwas Neues. „Ich hatte erst die Assoziation, der Papst hält ‘ne Messe in Rio“, scherzte er anfangs, um dann gleich hinterherzuschieben: „Keine Sorge, das wird heute keine Messe.“ Wenngleich es manchmal schon etwas von Heiligenverehrung hatte. Trotz seiner Bewunderung für Bob Dylan fehlte in Niedeckens gelesenen Texten nicht das Selbstironische, etwa als er eine kurze Begegnung schilderte, wie er Dylan in Deutschland eine Gitarre übergeben durfte. „Er machte noch mal die Ghetto-Faust und das war’s.“
Während die Feuchtigkeit vom See herüberkroch und der fast volle Mond matt schimmerte, wärmte Niedecken uns mit großen Dylan-Stücken wie „One More Cup of Coffee“ oder ganz alten Stücken aus seiner eigenen Anfangszeit als Sänger, etwa als der Kölner einer alten Dame im Heim ein Geburtstagsständchen sang. „Ihr seid mein Wohnzimmer“, rief Niedecken zwischendurch in das für ihn fast unsichtbare Publikum, weshalb er zwischendurch mal nachfragte: „Seid ihr noch da? Kann man das Licht mal ein bisschen anlassen?“
Der Stimmung hätte es gut getan, wenn er ein, zwei, drei Songs auch mal am Stück gespielt hätte, mit seinem unvergleichlichen Kölschen Dialekt, der wunderbaren Gitarre, der ausgezeichneten Begleitung an den Tasten und der einsetzenden Mundharmonika. Aber das Publikum – viele Strandkörbe im hinteren Bereich
waren leer geblieben – schien das nicht zu stören.
Wie sagte Boris, ein jüngerer Zuschauer, am Ende treffend: Niedecken sei zwar nicht der geborene Literat, aber eben ein wunderbarer Sänger. Fazit: ein runder Abend, der uns Bob Dylan und den langjährigen Frontmann von Bap noch einmal etwas näher gebracht hat.