Essen. Der BAP-Sänger hält nichts von gratis Bratwürsten als Impfanreiz. Ein Gespräch über Karl Lauterbach, Bob Dylan und der Freude an Eichhörnchen.

Seit 45 Jahren ist Wolfgang Niedecken nicht mehr aus der deutschen Rockszene wegzudenken – mit BAP machte er den kölschen Dialekt republikweit radiotauglich. Nun ist der 70-Jährige mit Mike Herting am Piano als Duo unterwegs. Die kleine aber feine Tour ist dem großen Bob Dylan gewidmet. Wie es war den „Meister“ zu treffen, was Bruce Springsteen mit der ganzen Sache zu tun hat und warum Impfgegner Wolfgang Niedecken sauer machen, darüber sprach er mit Kirsten Gnoth.

Sie haben vor Kurzem ein Konzert für die Opfer der Flutkatastrophe gegeben. Was lag Ihnen daran am Herzen?

Wolfgang Niedecken: Als ich die Nachrichten gesehen habe, was dort passiert ist – das erbarmt einen ja. Wenn man ein halbwegs empathischer Mensch ist, geht einem das sehr nahe. Zu dem Zeitpunkt standen wir gerade vier Tage vor der Tour. Doch die Allzweckwaffe, Benefizkonzerte zu spielen, war erschwert. Normalerweise hätten wir mit BAP ein großes Konzert gemacht, um viel Geld einzunehmen. Doch die Zeiten sind eben nicht normal. Da ich momentan diese Bob-Dylan-Tour spiele, bei der wir nur zu zweit sind, sind wir flexibler. Bei einem Konzert am Schloss Engers in Neuwied haben wir es geschafft, auch mit diesem kleineren Programm über 30.000€ für die Opfer einzunehmen. Es hat sich sehr gut gefunden. Erfreulicherweise ist die Hilfsbereitschaft in diesem Fall extrem groß. Das habe ich so in Deutschland nicht mehr erwartet. Aber wir haben doch mehr miteinander am Hut, als man denkt. Wenn die Not ganz groß ist, helfen die Menschen einander doch.

Noch sind solche Open-Air-Konzerte möglich. Im Herbst könnte das anders aussehen. Glauben Sie, dass die Kultur nochmal komplett lahmgelegt wird?

Ich befürchte, wenn gewisse Leute nicht mal so langsam ihre Impfmüdigkeit überwinden, werden wir wieder eine neue Welle kriegen. Ich habe da einen dicken Hals drauf – das muss ich wirklich sagen. Wie viele Menschen – ob es nun die Gastronomie ist, oder unsere Showbranche – nicht arbeiten können, weil wir keine Planungssicherheit haben. Und dann sind manche Leute zu bequem, sich impfen zu lassen? Ich kann verstehen, wenn einer Angst hat, sein Kind impfen zu lassen. Aber auch das ist mittlerweile hundertprozentig erforscht. Bei Erwachsenen ist alles längst abgesegnet und trotzdem lassen die Menschen Impfdosen vergammeln, weil sie denken, dass man auch so durchkommt. Was für ein Quatsch. Das ist einfach unverschämt. Und dann gibt es noch Maßnahmen zum Fremdschämen: Jeder kriegt ne Bratwurst, wenn er sich impfen lässt. Wo sind wir denn? Es wäre ein Zeichen der Solidarität mit ganz vielen Berufsgruppen, die momentan auf dem Zahnfleisch robben, wenn man sich impfen lässt.

Wie stehen Sie zur Impfpflicht?

Man kann keinen dazu zwingen, aber man kann es rumdrehen. Wer sich nicht impfen lässt, muss dann halt bei einigen Sachen einfach draußen bleiben. Das ist nun mal so. Der 1. FC Köln hat es gemacht, Dortmund hat es gemacht – wer nicht geimpft oder nachweislich genesen ist, muss draußen bleiben. Das ist das Normalste der Welt. Mein Enkel würde keinen Kindergartenplatz bekommen, wenn er nicht gegen Masern geimpft wäre. Und dann kann ich es nicht verstehen, dass Menschen eine Impflicht für unverschämt halten. In anderen Bereichen ist das schon lange so. Ich mache viel mit ehemaligen Kindersoldaten in Afrika. Lasse ich mich nicht impfen, komme ich gar nicht erst ins Land. Den Vorteil aus der modernen Forschung sollte man mitnehmen. Nochmal: Impfen ist ein Solidaritätsbeweis.

Sie sind bekannt dafür offen Ihre Meinung zu sagen. Allerdings sprechen Sie sich dagegen aus, Politrock zu machen.

Politrock bevormundet. Ich werde den Teufel tun, den Leuten in einem Song zu sagen, welche Partei sie wählen sollen. Politrock machte sowas in den 70ern. Ich singe über das, was mich interessiert und was mir in meinem Alltag an Material begegnet. Die Leute sollen sich von der Poesie einholen lassen und selbst überlegen. Ich möchte ihnen nichts über den Umweg Musik vorschreiben. Ich selbst bin zum Beispiel nie in eine Partei eingetreten, weil Künstler ganz frei denken und keiner Parteiraison folgen sollten.

Kommen die Wahlen zum richtigen Zeitpunkt?

Der Zeitpunkt ist furchtbar. Als es mit Corona losging, war mir der Ernst der Lage bewusst, weil alle Politiker plötzlich an einem Strang gezogen haben. Das hat mich beeindruckt. Je näher die Wahl rückt, desto mehr Gezerre gibt es wieder. Warum muss das jetzt wieder sein? Nur, weil man es sich mit keiner Klientel verderben will? Ich bewundere Politiker, die in der Lage sind, die Überbringer schlechter Nachrichten zu sein. Es ist völlig dämlich, den Überbringer der schlechten Nachricht zu bestrafen.

Haben Sie ein Beispiel?

Ich bin mit Karl Lauterbach befreundet und bewundere ihn. Er hat Nehmerqualitäten ohne Ende. Er ist Wissenschaftler und weiß, wovon er redet. Natürlich ist er auch ein Überbringer schlechter Nachrichten. Aber er lässt sich nicht unterkriegen und spricht die Wahrheit aus, auch wenn sie den Menschen unangenehm ist. Rumlavieren ist feige.

Dafür musste er auch einiges einstecken.

Er musste ohne Ende einstecken. Er läuft ständig mit zwei Beamten vom BKA rum, die ihn schützen. Er wird ja auch körperlich angegriffen. Den Mann muss man würdigen und darf ihn vor allen Dingen nicht allein lassen – Hut ab.

Kommen wir wieder zur Musik. Sie haben schon erwähnt, dass Sie mit einem kleineren Ensemble unterwegs sind – und in Sachen Bob Dylan.

Im Coronasommer habe ich ein Buch für die Reihe „KiWi-Musikbibliothek“ geschrieben. Das ist eine Reihe, in der Künstler, Schriftsteller und Musiker über den Act schreiben, der sie am meisten beeinflusst oder beeindruckt hat. Thees Uhlmann hat beispielsweise über Die Toten Hosen geschrieben, bei denen er mal Roadie war. Und ich wurde gefragt, ob ich das Buch über Bob Dylan schreiben möchte. Der Coronasommer hat mir die Zeit dafür gegeben. Mit BAP können wir nichts machen, weil die Planungssicherheit fehlt und so habe ich meinen alten Freund Mike Herting angerufen. Den kenne ich schon länger, als es BAP gibt. Er ist ein fantastischer Pianist. Wir haben dann gemeinsam ein Programm zu Bob Dylan und dem Buch entwickelt. Das war alles sehr kurzfristig. Wir haben uns erst zwei Monate vor dem Tourstart dazu entschlossen. Es entsteht bei den Lesungen eine sehr gemütliche Atmosphäre. Ich lese immer ein Stück und dann gibt es den entsprechenden Dylan- oder BAP-Song. Ich erzähle in dem Buch eine Reise, die ich für den Sender Arte gemacht habe. Damals bin ich quer durch die USA gereist – auf den Spuren von Bob Dylan. Die Geschichten sind sehr kurzweilig und man kann auch hingehen, wenn man kein Dylan-Aficionado ist. Manchmal rockt es richtig und manchmal ist es auch ganz leise. Man kann die Reise einfach in Ruhe nachvollziehen.

Wolfgang Niedecken hat Bob Dylan gleich zweimal getroffen. Das Image des Unnahbaren kann der Kölner nicht bestätigen.
Wolfgang Niedecken hat Bob Dylan gleich zweimal getroffen. Das Image des Unnahbaren kann der Kölner nicht bestätigen. © dpa | Thomas Frey

Sie haben Bob Dylan auch selbst getroffen, oder?

Das kommt im Programm natürlich auch vor (lacht). Ich habe ihn zweimal getroffen. Beim ersten Mal hat Wim Wenders mich ihm vorgestellt. Die beiden kennen sich seit Mitte der 70er. Das war sehr angenehm – wenn ein Kumpel dem anderen seinen Kumpel vorstellt. Beim zweiten Mal hatte er sich eine Gitarre bei einer Firma aus Hannover bestellt und ich habe ihm die überreicht. Ich habe ihn beide Male, entgegen seinem Image, als sehr nahbar empfunden. Er war überhaupt nicht abweisend oder arrogant.

Sie haben auf dem Album „Leopardefell“ zum Beispiel Dylan Songs übersetzt oder neu arrangiert. Hat er die Sachen jemals gehört?

Ja, hat er.

Und?

Ich habe ihn nicht gefragt, wie er meine Sachen gefunden hat. Das wäre mir zu eitel vorgekommen. Ich weiß aber von Bruce Springsteen, dass er sie gehört hat.

Wie?

(lacht). Das ist ganz einfach. Ich habe Bruce Springsteen Mitte der 90er Jahre in New York kennengelernt. Damals habe ich ihn für die ARD interviewt und wir haben uns angefreundet. Als ich ihm dann „Leopardefell“ gab, sagte er: „Gib‘ mir da mal zwei von. Ich muss dem Meister auch eins geben.“ Wir sind beide Dylan Fans, aber die beiden haben natürlich einen viel engeren Kontakt. Kurz danach kam bei uns im Büro ein Fax an, wir sollten doch eine ganze Kiste davon für das Dylan-Archiv schicken. Deshalb weiß ich, dass er sie gehört hat.

Wie war es die Songs zu übersetzen?

Die ersten Texte habe ich vor über 40 Jahren übersetzt. In all den Jahren gibt’s natürlich auch einen Wandel. Es gibt ernste Songs und welche, die einen eher surrealistischen Humor haben. Bei denen kann man schon etwas freier übersetzen. Bei Songs wie „Mighty Quinn“ und „You Ain’t Goin‘ Nowhere“ kann man sich ein paar Scherzchen erlauben, die nicht im Originaltext sind. Bei einem Song wie „A Hard Rain’s A Gonna Fall“ muss man hingegen schon bei der Sache bleiben. Ich hänge grundsätzlich schon sehr an Werktreue.

Gibt es ein Dylan-Lied, das Ihnen ganz besonders am Herzen liegt?

Das ist schwer. Ich bin durch „Like A Rolling Stone“ erst auf Bob Dylan aufmerksam geworden. Vorher hörte man die Peter, Paul und Mary Version von „Blowin‘ In The Wind“ im Radio und das war überhaupt nichts für mich. Das war mir zu soft. Als ich dann zum ersten Mal „Like A Rolling Stone“ gehört habe, war es wie ein Blitzeinschlag. Zu der Zeit haben die Beatles noch gehobene Schlager gesungen. Das war alles „Boy meets Girl“-Zeug und nicht unbedingt der Stein der Weisen. Plötzlich sang da ein Kerl „Like A Rolling Stone“, wo es richtig zur Sache ging. Das hat mich mitgenommen. Der Tag, an dem ich das gehört habe, war mein letzter Auftritt als Bassist meiner Schülerband. Ich wollte dann lieber so etwas machen wie der Typ mit der Sonnenbrille.

Bob Dylan ist in diesem Jahr 80 geworden und Sie 70 . . .

Ja, er hat immer Vorsprung. In der Sache liegt er immer weit vorne. (lacht laut).

Sind Sie mit Ihrem Leben zufrieden?

Ich bin sehr zufrieden. Ich lebe seit mittlerweile 43 Jahren davon, dass ich mir Songs ausdenke und die für die Leute spiele. Ich habe mein Hobby zum Beruf gemacht. Ich habe Malerei studiert und gedacht, dass ich damit meinen Lebensunterhalt verdienen würde. Und plötzlich kommt mir dieses Hobby dazwischen. Ich kann meine Familie damit ernähren und uns geht es gut. Wenn ich nicht mit meinen Leben zufrieden wäre, wäre das ziemlich unverschämt.

Hätten Sie denn etwas anders gemacht?

Ich habe bereut, dass ich nie von der Pike auf ein Instrument gelernt habe. Aber das war in den Anfangsjahren das Normalste der Welt. Man ließ sich die Akkorde zeigen und hat dann reingehalten. Es wäre schön gewesen, wenn ich mich beispielsweise mal mit Harmonielehre beschäftigt hätte. Aber das ist auch müßig (lacht). Paul McCartney hat sich damit auch nie beschäftigt und nie Noten gelernt -- und was haben die Beatles für unfassbare Songs geschrieben. Gott sei Dank habe ich immer mit Musikern zusammengearbeitet, denen ich mich komplett anvertrauen konnte. Die Crew hilft mir ungemein dabei, meine Texte so umzusetzen, wie ich das möchte.

Gab es denn zum Geburtstag ein neues Eichhörnchen für Ihre Sammlung?

(lacht herzlich) Es gibt ständig Eichhörnchen. Ich habe mal unvorsichtigerweise gesagt, dass mich Eichhörnchen gut drauf bringen. Sie erinnern mich an meine Töchter, als sie noch Pferdeschwänze hatten. Sie liefen als kleine Mädchen damit herum und das hat mich immer gut drauf gebracht. Eichhörnchen kann man einfach nicht böse sein. Und mittlerweile wimmelt es bei uns nur so vor Eichhörnchen – es ist einfach wunderbar. Das neueste ist von meiner Schwiegermutter. Sie hat mir ein Plüschtier zum Geburtstag geschenkt und das steht hier auf dem Schrank.

Wie viele sind es mittlerweile?

Puh, also 50 sind es sicherlich. Die tauchen hier überall an unerwarteten Stellen in der Wohnung auf.

Groß mit den Fans feiern konnten Sie allerdings noch nicht.

Nein, die Tournee wurde genau um ein Jahr verschoben. Irgendwann war klar, dass wir die Präsentation von ALLES FLIESST nicht live machen können. Und dann war auch klar, dass das Geburtstagskonzert nicht stattfinden kann. Jetzt geht es um die Wurst. Es nützt ja nichts zu sagen, dass bei der EM ganze Stadien vollgemacht worden sind und es nun bei Konzerten auch so sein soll. Das ist ja Kindergartenlogik – wenn der kleine Willy mit Sand schmeißt, will ich das auch. Damit kann ich nichts anfangen. Man muss, und damit kommen wir wieder an den Anfang des Gesprächs, den Leuten sagen, dass sie sich impfen lassen sollen. Entkommen kann der Krankheit nämlich niemand. Entweder man muss so dadurch oder man hat eine Impfung, die einen schützt.

Was für eine Show planen Sie?

Das Geburtstagskonzert ist natürlich ein besonderes Konzert. Da werden wir auch Gäste haben. Demnächst muss ich die geneigten Kollegen mal fragen, ob sie Lust haben, mitzumachen. Ich kenne eine Menge Leute, bei denen ich mir sicher bin, dass sie mitmachen. Wie immer wird es ein Drittel Songs geben, die jeder kennt. Ein Drittel, die wahrscheinlich die meisten kennen und ein Drittel Gewagteres. So haben alle was davon.

Niedecken live:

Termine: 9.9. Lennestadt-Elspe (Freilichtbühne), 17.9. Bochum (ZFR Strandkorb Edition, Kemnader See), 20.11. Leverkusen (Erholungshaus). Tickets ab ca. 45 €.

Auf der Freilichtbühne in Lennestadt treten im September verschiedene Künstler auf. Von Revolverheld (10.9) bis Wincent Weiss (23.9.) Infos und Tickets www.elspe.de