Essen. In bewegten Zeiten meldet sich Altmeister Dylan mit neuer Musik zurück. Sein 39. Album verbeugt sich vor Größen, aber ohne klare Statements.

Feuilleton-Liebling Bob Dylan verleitet mit seinem neuen Album „Rough And Rowdy Ways“, das morgen erscheint, zu Wortspielen à la „Bob, der Schlaumeister“ oder Jubeltönen wie „ein Fest für Dylanologen“. Vom Großteil der Weltbevölkerung wird er als Stimme seiner Generation und Galionsfigur der Bürgerrechtsbewegung verstanden. Nur: Das wollte Dylan nie sein – und rebelliert dagegen seit fast 60 Jahren, in denen er kaum Interviews gibt, selbst die Auszeichnung mit dem Literaturnobelpreis schwänzt, lieber auf Endlostournee geht oder sich in seinem Strandhaus in Malibu verschanzt, um zu malen oder seltsame Metallinstallationen zusammenzuzimmern. Ein Verweigerer, der macht, was er will – nicht, was seine devoten Jünger von ihm erwarten. Dazu zählen auch mal drei Alben mit Coverversionen des Great American Songbooks – wohlwissend, dass er damit Kopfschütteln und weitreichendes Unverständnis hervorruft.

Der Helmut Schmidt des Rock erwähnt Liberace, Little Richard und Allen Ginsberg

Mit seinem neuen Werk, das zum ersten Mal seit acht Jahren wieder auf Eigenkompositionen setzt, präsentiert sich Robert Allen Zimmerman als Helmut Schmidt der Rockmusik: Eine graue Eminenz, die zwar nicht raucht, aber mit Kennerschaft in Literatur, Film, Musik und Politik glänzt. Einfach, weil er (mit Ausnahme von Julius Caesar, US-Nationaldichter Walt Whitman und Anne Frank) die meisten der von ihm erwähnten Ikonen wohl noch persönlich gekannt hat. So erscheinen die zehn Songs auf „Rough And Rowdy Ways“ wie ein Blick in Dylans privates Fotoalbum, das ihn mal mit Mitgliedern der Eagles, mit Präsident Kennedy, mit Liberace, Little Richard, Charlie Parker, Harold Lloyd, Jack Kerouac oder Allen Ginsberg zeigt. Alles gute Freunde, die längst ins Gras gebissen haben, an die er sich aber nur zu gerne erinnert, und mit denen er nun ein charmantes Namedropping betreibt. Einfach, weil sie für eine andere Zeit, ein anderes Lebensgefühl und eine klare Meinung stehen. Für ausgeprägte Charaktere und für einen Typ Mensch, den es in der Form nicht mehr gibt – und den Dylan schmerzlich vermisst.

Namedropping mit Charlie Pakrer, The Who und den Stones

Allein das ist bei dem 79-Jährigen bereits eine konkrete Aussage und ein Weg, um seine Unzufriedenheit mit dem blutarmen, aalglatten Hier und Jetzt zu äußern – ihm fehlen die Unikate von früher. Weshalb er eines nach dem anderen auffährt, hier und da eine kleine Anekdote von „Charlie Parker and all that jazz“ erzählt, „Tommy, can you hear me, I’m the acid queen“ von The Who zitiert oder die „british bad boys The Rolling Stones“ erwähnt – in einem Satz mit Indiana Jones, mit dem er bestimmt auch schon auf Schatzsuche war.

Kein Zeigefinger zur Ära Trump

All das ist kurzweilig, unterhaltsam und geradezu schelmisch. Es hat etwas von Schabernack, von einem Spiel mit großen Namen und den dazugehörigen Images. Aber: Es ist kein Statement zur Lage der Nation, nicht der mahnende Zeigefinger zur Ära Trump und keine praktische Lebenshilfe in Zeiten von Corona und nationalem Aufruhr. Weil er weder Leitfigur noch Sprachrohr irgendeiner Bewegung sein will. Natürlich könnte man einige Textpassagen so interpretieren, wenn man sie radikal aus ihrem Kontext reißen würde. Etwa die Frage „tell me what’s next, what shall we do?” im Opener „I Contain Multitudes”, oder auch „another day of anger, bitterness, and doubt” in „False Prophet”. Doch die sind in Stücke eingebunden, die mal von der eigenen Vergänglichkeit, von Blues-Legende Jimmy Reed, von weiblichen Musen oder vom hippen Altersruhesitz Key West handeln. Übrigens durchaus mit Humor: „Key West is the place to be if you’re looking for immortality“, würdigt er den Ort, an dem sich Hemingway am Rum vergnügte.

Der Mord an John F. Kennedy

Konkrete politische Tendenzen lassen allenfalls die fast schon zu offenkundige Trump-Parabel „False Prophet“ oder die Aufarbeitung des ‘63er Attentats auf J.F.K. in „Murder Most Foul“ erahnen – doch auch da ist Vorsicht geboten, wenn Dylan plötzlich mit Zeilen wie „You make me dizzy, Miss Lizzy“ oder „I’m just a patsy – like Patsy Cline“ um sich wirft. Nach dem Motto: Er hat zwar viel zu sagen, aber nur weniges davon ist ernst, hat wirkliche Tragweite und Tiefe. Er betätigt sich eher als Schelm, der mit seinem Status kokettiert, statt auf den Pfaden von Woody Guthrie oder Pete Seeger zu wandeln. Ein Protestsänger will er ganz offensichtlich nicht sein – nicht einmal in Zeiten, wie diesen, da man sich wünscht, er würde in die Rolle schlüpfen, die Amerika wie die Welt so nötig hätten: Als jemand, der Vernunft und Wahrheit statt immer nur Lügen, Terror und Krawall serviert.

Krächzende Authentizität

Doch Dylan mag nicht. Und Dylan liefert auch nicht die Musik, die eine Zielgruppe diesseits der 60 erreichen würde. Die zehn Songs auf „Rough And Rowdy Ways“ erweisen sich als Melange aus ruppigem, rauem Blues, Piano-Balladen, Folk und gefühlvollen Leisetreten, gewürzt mit wahlweise Walzer, TexMex und Country. Sehr bodenständig, sehr bieder, sehr unspektakulär und mit einer Spieldauer zwischen vier und fast 17 Minuten stellenweise auch zu langatmig, zu berechenbar.

Genau wie Neil Young, aber anders als Leonard Cohen

Ganz im Gegensatz zu seinem Gesang, der – neben den Texten – das zweite denkwürdige Element dieses Doppel-Albums ausmacht. Ob im positiven oder negativen Sinne, obliegt dem Geschmack des Hörers. Denn Dylans markanter Nasalgesang erweist sich zuweilen so brüchig und krächzend, als würde er keine Luft mehr bekommen oder könne sein Organ nicht mehr richtig kontrollieren. Da stellt sich die Frage, warum er das in Stücken wie „Black Rider“ oder „False Prophet“ nicht nachträglich korrigiert hat. Geht es ihm um Authentizität, um das Bekenntnis zu seinen altersbedingten Gebrechen? Oder ist das ein Statement gegen das moderne Streben nach scheinheiliger Perfektion mit Hilfe der Technik? Da ist Dylan wie sein Kollege Neil Young – er steht zum Imperfekten, zum Rauen und Wütenden, um den Albumtitel zu zitieren. Nur: Beim Spätwerk eines Leonard Cohen war die Gänsehaut intensiver. Dylan setzt mehr aufs Schlaue, Hintergründige als auf Gefühl.