Essen. . Kölsch zu sprechen macht ihn glücklich. Ab Samstag singt Wolfgang Niedecken auch wieder im Domstadt-Dialekt - dann startet die Tour mit BAP.
In Soest starten Wolfgang Niedecken und seine Band BAP am Samstag den zweiten Teil ihrer diesjährigen Tournee. Das Konzert ist ausverkauft, aber unter anderem in Oberhausen ist noch Platz in der Arena. Über drei Stunden stehen die Kölner auf der Bühne. Im Interview mit Bandchef Niedecken (67) wollte Stefan Moutty wissen, ob das nicht ganz schön anstrengend ist.
Ihre aktuelle Tournee trägt den Titel „Live & deutlich”. Was bedeutet „deutlich“ – dass Sie jetzt auf Hochdeutsch singen?
Nein, auf keinen Fall. (lacht) Dass die Tour nun einen Titel hat, kommt daher, weil wir nun doch noch ein Live-Album herausbringen. Nach dem ersten Tournee-Teil häuften sich die Forderungen der Fans danach. „Live & Deutlich“ gefiel uns als Wortspiel – und ich finde man muss deutlich sein in dieser Zeit der Populisten. Wir gehen nicht zum Lachen in den Keller, es gibt auch viel Spökes auf der Bühne. Aber wir beziehen schon deutlich Stellung. Das muss ich einfach, man darf jetzt nicht kneifen und den Rechten das Feld überlassen.
Vor über 25 Jahren haben Sie das „Arsch huh, Zäng ussenander!“ -Konzert organisiert – als Reaktion auf die rechtsextremen Taten in Rostock und Solingen. Jetzt gab‘s in Chemnitz ein ähnliches Konzert …
Ich weiß noch, wie ich damals vorm Fernseher gesessen habe und sah, wie das Sonnenblumenhaus in Rostock-Lichtenhagen brannte. Wir waren alle total geschockt. Das „Arsch huh“-Konzert haben wir gemacht, um ein Zeichen zu setzen und der Bevölkerung die Möglichkeit zu geben, sich zu positionieren: An uns müsst ihr vorbei! Wir haben gehofft, dass es 20 000 würden auf dem Chlodwigplatz, und es waren dann über 100 000. Das war eine wichtige Geschichte. Wenn man dasselbe Rezept allerdings immer wieder anwendet, kann es sein, dass es inflationär wird. Das, was jetzt aber Kraftklub, K.I.Z., Marteria, Casper, Feine Sahne Fischfilet und die Toten Hosen gemacht haben, fand ich ganz, ganz großartig und wichtig.
Der erste Teil der Tournee ging im Juni zu Ende. Was haben Sie im Sommer gemacht – Kraft getankt für den zweiten Teil?
Ich war eine Zeit auf Kreta und habe dort am Live-Album gearbeitet – es ist ja mittlerweile möglich, die Mixe übers Internet abzuhören. Der Austausch mit unserem Grafiker zum Artwork lief auch per Mail. Ich hab mich also schön auf Kreta in mein Lieblingscafe mit Meerblick gesetzt und konnte da arbeiten. Ich weiß, ich bin privilegiert (lacht). Aber es ist schon schön, dass ich auf diese Weise mein Brot verdienen kann.
Was vermissen Sie an Köln, wenn Sie auf Kreta oder woanders fern des Doms sind?
Leute zu treffen mit denen ich Kölsch sprechen kann. Die kölsche Sprache ist ja dabei auszusterben – das muss man klar sagen, ohne dabei großartig sentimental zu werden. Ich liebe meine Muttersprache und ich freu mich total, wenn ich sie mit jemandem sprechen kann. Es tut mir gut, wenn der Müllfahrer morgens die Scheibe runterkurbelt und mich fragt: „Wat maache mir dann jetz miet däm FC?“ Dann halten wir schön den Verkehr auf und diskutieren erstmal ausführlich auf Kölsch die Lage beim FC. (lacht)
Auf der Tournee spielen Sie regelmäßig Drei-Stunden-Konzerte. Wie fühlt man sich danach?
Wir spielen Minimum eine Dreieinviertelstunde lang, manchmal – je nachdem wie die Plauderlaune ist – auch dreieinhalb. Aber wenn ich auf der Bühne stehe, vergeht die Zeit wie im Flug. Oft gucke auf die Setliste und denke: „Sind wir schon wieder kurt vor den Zugaben? Ist doch nicht wahr …“
Der Auftritt strengt Sie gar nicht an?
Nein. Ich bin ja nicht der Campino, der da wild rumrennt. Ich moderiere, ich bin mit den Leuten in Kontakt. Ich bin auf der Bühne in erster Linie schließlich der Gastgeber – ich muss dafür sorgen, dass sich alle wohl fühlen.
Spielt Ihr Schlaganfall vor sieben Jahren noch eine Rolle für Sie?
Nicht wirklich, nein. Ich lebe ja gesund, sehr eingebettet in meine Familie. Ich ernähre mich gesund, bin sogar Vegetarier. Ich trinke in Maßen, rauche nicht und kiffe schon mal gar nicht. Ich treibe Sport – jeden Morgen sitze ich eine Stunde auf dem Heimtrainer, meine Hotels müssen ein Schwimmbad haben. Wenn man das im Rentenalter macht, muss man halt seine Sollbruchstellen im Auge haben. Ich weiß ja inzwischen, wo ich aufpassen muss. Vor drei Jahren hatte ich einen Bandscheibenvorfall. Beim winterfestmachen unserer Terrassenpflanzen hab ich mich verhoben …
Das machen Sie noch selbst?
Ich genieße das, die Zeit nehme ich mir. Alles was bei uns mit Blumen und Pflanzen zu tun hat mache ich sehr, sehr gerne. Aber kaum macht man eine falsche Bewegung, hat man den Salat! Deswegen kann ich’s mittlerweile nicht mehr selbst machen. Jetzt steh ich neben dem Mann, der’s für uns übernimmt und denke „Mist“. Aber so ist es nun mal. Immerhin haben wir damals einen Arzt gefunden, der mir ohne Operation helfen konnte. Ich muss nun aber immer darauf achten, sonst kann ich bald nur Konzerte im Sitzen spielen.
Über Bob Dylan haben Sie mal gesagt, er sei derjenige, „der dem Rock’n’Roll das Hirn verpasst hat”. Wenn Sie sich die aktuelle deutsche Popmusik anschauen, wäre es da mal wieder nötig, dass jemand großzügig Hirn verteilt?
Es gibt ja gute Leute, aber die werden nicht im Radio gespielt. Nehmen wir mal Clueso, der hat gerade ein wunderbares Album herausgebracht, „Handgepäck“. Darüber habe ich mich sehr gefreut, weil ich beim Album davor dachte, dass er jetzt auch zu sehr auf die Radiotauglichkeit schielt. Aber jetzt hat er ein ganz, ganz sparsam produziertes Album gemacht, auf dem die Songs wichtig sind. Ich bin gespannt wie „Handgepäck“ im Radio läuft.
Haben Sie das Video von Jan Böhmermann gesehen, in dem er sich über Tim Bendzko, Max Giesinger & Co. lustig macht?
Ich hab davon gehört. Da hat mir für die Jungs auch leidgetan, ich kenne ja einige von denen. Die versuchen natürlich auch alles so gut zu machen wie’s geht. Aber das müssen Sie sich gefallen lassen – das ist Satire, da kommt man nicht immer gut bei weg. Das war schon ein klasse Geschichte von Jan Böhmermann, aber wohlgemerkt: Clueso oder Thees Uhlmann fallen nicht in diese Kategorie.
Letzte Frage: An Ihren Bart haben Sie sich inzwischen richtig gewöhnt, oder?
Ja, ich hätte ja niemals gedacht, dass ich einen Bart erlaubt bekomme von meinen Damen. Nach dem Schlaganfall konnte ich mich aber nicht rasieren, deshalb musste ihn wachsen lassen. Und siehe da: Sie fanden es super und deshalb durfte er bleiben.
Niedeckens BAP auf „Live & Deutlich“-Tour: 29.9. Soest (ausverkauft ausverkauft),
4.10. Wuppertal (ausverkauft ausverkauft),
5.10. Bielefeld (Stadthalle),
9.10. Oberhausen (Köpi-Arena),
29.10. Münster (Halle Münsterland),
31.10. Köln (Palladium). Karten ab ca. 40 € im Vorverkauf.