Berlin. Das 20. Album von BAP ist da. Von der Originalbesetzung ist nur noch Wolfgang Niedecken dabei. Wir trafen ihn zum Gespräch.
Ich verlasse mich darauf, dass sich die Dinge schon fügen werden“, sagt ein bestens aufgelegter Wolfgang Niedecken, und angesichts dieser gesunden Einstellung gepaart mit der Pandemie habe es praktisch gar keinen passenderen Titel für das zwanzigste Studioalbum seiner Band BAP geben können als eben „Alles fließt“.
„Corona ist natürlich das Paradebeispiel dafür, dass du nichts im Leben wirklich planen kannst. Noch habe ich es mir nicht ganz abgeschminkt, meinen 70. Geburtstag am 30. März wie geplant groß in der Kölnarena zu feiern“, der Termin sei reserviert. „Doch es muss sich noch zeigen, ob man in einem halben Jahr unter vernünftigen Voraussetzungen ein Konzert wird spielen können.“ Oder, um es auf Kölsch auszudrücken: Et kütt wie et kütt.
Das Treffen mit Niedecken findet in jenem Café im Berliner Viertel Prenzlauer Berg statt, in dem er 1995 mit seiner damaligen Leopardefell-Band den mittlerweile locker befreundeten Bruce Springsteen beim Videodreh zu dessen Neuveröffentlichung von „Hungry Heart“ unterstützte. Und an den Rocker aus New Jersey fühlt man sich auch immer mal wieder erinnert beim Hören von „Alles fließt“. „Verraten und verkauft“ etwa beschäftigt sich mit Menschen, „die einfach wegrationalisiert werden, die nie mehr eine Chance kriegen, die resignieren und verzweifeln. Ich kann mit diesen Menschen mitfühlen, ich habe selbst eine Menge solcher Leute im Bekanntenkreis. Ich bin ja nicht im Villenviertel großgeworden.“
Trump, Bolsonaro? Niedecken findet das Agieren der Populisten „ekelhaft!“
Der Kaufmannssohn aus der Kölner Südstadt, der seinen künstlerischen Werdegang mit dem zähneknirschenden Segen der Eltern einst als Maler begann, bevor er mehr oder weniger zufällig mit BAP Anfang der 80er Jahre zu einem der erfolgreichsten Rocksänger Deutschlands wurde (auch wenn nur eine Minderheit überhaupt verstand, was er da sang), ist immer auch ein politischer Mensch und Künstler gewesen. „Kristallnaach“, „Arsch huh, Zäng ussenander“ oder „Widderlich“ wandten sich dezidiert gegen Antisemitismus, Ausländerhass und generell gegen rechts.
Heute beschäftigt ihn besonders der Erfolg der Populisten weltweit: „Diese ganzen Zyniker wie Trump, Erdogan und Bolsonaro dividieren die Leute auseinander, um ihre Macht zu sichern. Das ist einfach ekelhaft.“ Die Leute, die den Demagogen hinterherlaufen, bezeichnet Niedecken als „schwarmdemente Spießer“ – einer seiner Lieblingsformulierungen, auch auf dem neuen Album zu hören. Auf den runden Geburtstag blickend, ist auch Rückschau kein Tabu. Im Gegenteil:Im Album ist sie als kleines Portiönchen Nostalgie präsent, speziell im Stück „Wenn ahm Ende des Tages“.
Wolfgang Niedeckens 20. BAP-Album klingt philosophisch: „Alles fließt“
Wolfgang Niedecken tut erst gar nicht so, als gebe es in seinem Alter Dinge zu beschönigen: „Na klar mache ich mir Gedanken über die Vergänglichkeit. Alt werden ist ja nichts für Feiglinge. Die Zipperlein nehmen zu, und wenn Freunde wegsterben und du läufst hinter dem Sarg her, dann wirst du richtig nachdenklich.“ Aber grundsätzlich scheint der Musiker sehr mit sich im Reinen. „Was ich für ein Schwein im Leben gehabt habe, das ist unfassbar.“ Und sollte ihm mal alles zu viel werden, dann schaue er auf seinen geliebten Rhein und spüre förmlich „wie sich mein Pulsschlag bei dem Anblick normalisiert.“
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CD-KRITIK:
Et es wie et es: Wolfgang Niedecken macht mit seinen BAP und Album Nummer 20, Titel „Alles fließt“, den nächsten kölsch-amerikanischen Rheinbrückenschlag. Das ist musikalisch nicht schlecht, wenn auch alles andere als überraschend mit Rock, Americana, Blues, ein bisschen Reggae. Auch die Werte, für die er eintritt, sind durchaus ehrenwert: Natürlich ist er antirassistisch, gegen den Mainstream (zu dem er natürlich selbst gehört), gegen Trump. Es bleibt eben nur so, dass er eine große Bandbreite amerikanischer Einflüsse auf einen kölschen Kosmos herunterbricht, der von Knapsack bis zur Schäl Sick reicht.
Hübsch wird’s in den Momenten, in denen Niedecken sich ganz aufs Sentiment einlässt: Bei „Mittlerweile Josephine“, das er seiner Tochter widmet, oder beim melancholischen, selbstreflektierenden „Für den Rest meines Lebens“, das auch das Bild vom Fluss des Lebens aufgreift, der unweigerlich der Rhein („dä stolze Fluss, ze huss“) sein muss. Wenig originell, aber eine felsenfeste Größe wie der Dom.