Witten. Der Amazon-Schutzwall sorgt immer noch für Ärger bei den Kleingärtnern vom Mellmausland – und hat auch einen Keil in die Gemeinschaft getrieben.

Seit mehr als einem Jahr ragt der riesige Lärmschutzwall um das neue Amazon-Logistikzentrum in Witten-Rüdinghausen nun schon in den Himmel. Und genau so lange zehrt das rund 15 Meter hohe Gebilde aus Erdwall und Mauer an den Nerven der Kleingärtner der Anlage Mellmausland, an die er angrenzt – bei den einen mehr, bei den anderen weniger. Ein Besuch vor Ort.

Nur ein höhnisches Lachen, ringt die Frage, ob man sich mittlerweile an den Anblick gewöhnt habe, Friedhelm Schönekeß und Sarah Broll ab. Die Garten-Nachbarn haben ihre Parzellen direkt am Wall. „Ich darf da nicht mal dran denken, dann bekomme ich einen dicken Hals“, sagt der 69-Jährige. Er könne gar nicht richtig in Worte fassen, wie sehr er sich ärgere. „Das geht ganz tief nach innen.“ Seit 1988 hegt und pflegt er seine Parzelle, die er nun im Ruhestand gerne entspannt mit seiner Frau genossen hätte.

Schatten im Schrebergarten im Frühjahr ab halb drei

Dass der Wall den Gärtnern vor allem im Frühjahr und Herbst sehr früh – teilweise schon um halb drei – die Sonne raubt, ist nur ein Ärgernis. „30 Jahre hatte ich einen glatten Rasen, jetzt ist er voller Löcher“, erzählt Schönekeß. Und in der Tat muss man bei einem Gang durch seinen Garten vorsichtig sein, will man nicht stolpern oder umknicken. Denn seit dem Bau von Logistikzentrum und Mauer sind anscheinend zahlreiche Maulwürfe in Richtung Mellmausland geflüchtet.

Das Amazon-Logistikzentrum aus der Luft. Links im Bild die Kleingartenanlage Mellmausland mit ihren insgesamt 53 Parzellen.
Das Amazon-Logistikzentrum aus der Luft. Links im Bild die Kleingartenanlage Mellmausland mit ihren insgesamt 53 Parzellen. © www.blossey.eu | Hans Blossey

Auch interessant

Das bestätigt auch Philipp Standke, der seine Parzelle ebenfalls in erster Linie zum Wall hat. Seit 2017 ist er hier Kleingärtner. Dass ihm Maulwürfe Teile des Rasens umgraben, gebe es erst seit der Ansiedlung des Versandriesen. „Ich bin ja froh, dass wir nicht auf Amazon und die ganzen Lkw schauen müssen“, sagt der 28-Jährige. „Aber es stört mich, dass der Wall so tierisch ungepflegt ist.“ Unzählige Disteln und anderes Unkraut überwuchert den Erdhügel. „Und nur der Wall hätte doch auch gereicht, warum noch die Mauer?“

Amazon-Wall spaltet die Kleingärtner-Gemeinschaft

Für Sarah Broll und ihre Familie sind neben dem unschönen Anblick aktuell vor allem Stechmücken ein Problem. Direkt zwischen Wall und den Außenhecken der Schrebergärten soll ein Biotop für Frösche und Kröten entstehen, die zuvor auf der Siemens-Brache gelebt haben. Schön für die Amphibien, aber schlecht für die Kleingärtner: Denn das stehende Wasser lockt Mücken an, die hier ihre Larven ablegen. „Wir waren alle schon richtig schlimm zerstochen“, erzählt die zweifache Mutter.

Insgesamt 15 Meter hoch ragt der Lärmschutzwall des Logistikzentrums von Amazon in Witten-Rüdinghausen inklusive Mauer in die Höhe. Direkt davor die ersten Kleingärten.
Insgesamt 15 Meter hoch ragt der Lärmschutzwall des Logistikzentrums von Amazon in Witten-Rüdinghausen inklusive Mauer in die Höhe. Direkt davor die ersten Kleingärten. © FUNKE Foto Services | Barbara Zabka

Auch interessant

Der gigantische Wall hat auch einen Keil in die Kleingartengemeinschaft getrieben. Denn einige Mitglieder des Vereins stören sich wenig daran – so auch dessen Vorsitzender, der sichtlich genervt auf die Klagen reagiert. „Seit es die Anlage gibt, war doch schon klar, dass da irgendwann Gewerbe angesiedelt wird“, sagt Andreas Schütrump. Ihn störe etwa der an seinen Garten angrenzende Bauer. Laut Schütrump habe die Anlage sogar gewonnen. Denn frühere Zugänge sind nun verschlossen. „Seitdem ist es hier viel ruhiger, sauberer.“

Kleingärtnerin ist enttäuscht vom Bürgermeister

Ganz neu im Mellmausland ist Jaqueline Rexin. Erst Ende Juni ist die 33-Jährige unter die Schrebergärtner gegangen – trotz Lärmschutzwall. „Schön ist natürlich anders“, räumt sie ein. Eine riesengroße Weide am Rande ihrer Parzelle versperrt aber ohnehin weitgehend den Blick. Abends habe sie auf dem Wall auch schon Rehe und Füchse beobachtet.

Auch interessant

Sarah Broll ist vor allem enttäuscht von der Stadt. Auf Facebook hat sie schon im Februar Bürgermeister Lars König angeschrieben. Dieser antwortete und stellte ein Telefonat in Aussicht. Doch trotz mehrmaliger Nachfragen sei bis zum heutigen Tag weder ein persönliches Gespräch noch ein Besuch vor Ort zustande gekommen.

Und über all dem schwebt weiterhin die Frage, warum der Lärmschutzwall diese Ausmaße angenommen hat. Eine frühere Anfrage unserer Redaktion blieb dahingehend unbeantwortet. Die Stadt verweist lediglich auf ein Lärmschutzgutachten, welches Maßnahmen zur Lärmminderung vorgesehen habe. Dass der Wall nicht mehr verschwinden wird, ist im Mellmausland allen klar. Aber Antworten, die hätten sie doch gerne.

Bürgerforum hat Anfrage zum Wall gestellt

Die Fraktion Bürgerforum+ hat Ende Mai eine Anfrage an die Stadt zum Thema gestellt. Bei allen anderen Logistikern im Gewerbegebiet gebe es keine derartigen extremen Lärmschutzwände und Wälle, schreibt Fraktionsvorsitzender Harald Kahl. „Wodurch begründen sich diese Unterschiede?“, möchte er von der Stadt wissen.

Eine Antwort von Bürgermeister Lars König auf die Anfrage des Bürgerforums liegt zwar vor – die Frage nach der Höhe des Walls bleibt darin aber ebenso unbeantwortet wie mehrere andere unklare Punkte. Das Bürgerforum hat deshalb eine weiter Anfrage nachgelegt – und wartet nun auf Antwort.

Der Bebauungsplan, der dem Gelände des Logistikzentrums zugrunde liegt, wurde 1971 vom damaligen Rat beschlossen. Im Vorfeld wurden Rat und Fraktion nun nicht erneut eingebunden. Auch das bemängelt das Bürgerforum.