Witten. Der Protest der Herbeder gegen die drohende Einzügigkeit ihrer Grundschule stößt manchem Lehrer in Witten sauer auf. Warum das so ist.
Der Protest der Eltern gegen die drohende Einzügigkeit der Herbeder Grundschule ab Sommer 2022 hat in der Stadt Diskussionen über die Klassengröße ausgelöst. Die Reaktionen schwanken zwischen Wut und Verständnis. Denn die Zahlen in Witten unterscheiden sich tatsächlich stark: Während in Herbede im neuen Schuljahr 16 Kinder in eine erste Klasse gehen, werden es in Buchholz 30 sein.
Der so genannte Klassenfrequenzrichtwert des Landes liegt bei rund 23 Kindern, in Witten beträgt die Grenze für die Schülerzahl zur Aufnahme in die erste Klasse 29. Dass die Buchholzer Grundschule trotzdem noch ein Kind mehr aufnimmt, sei den Umständen geschuldet, so Rektor Stefan Richter. „Was soll ich machen, wenn die Familie um die Ecke wohnt?“
Schulleiter in Witten: Würde mir auch kleinere Klassen wünschen
Den Aufschrei der Herbeder Eltern und Kolleginnen, die sich gegen die Reduzierung von bisher zwei auf eine Eingangsklasse wehren, „kann ich gut verstehen“, sagt Richter. Der Vormholzer Grundschule gönne er die demnächst neue Zweizügigkeit. Nur: „Ich würde mir auch kleinere Klassen wünschen“, sagt der Rektor, dessen Schule seit Jahren aus allen Nähten bricht und der sogar noch die Notgruppe des Kindergartens im Gebäude beherbergt. Eine zweite erste Klasse war Anfang 2019 wegen Lehrermangels abgelehnt worden.
Die Klassenstärken im Überblick
Die Buchholzer Grundschule hat mit 30 Kindern die größte Eingangsklasse in Witten ab dem Sommer. Die Herbeder Grundschule hat mit 16 Kindern die kleinste Klasse, gefolgt von Vormholz mit 17, bzw. 18 Kindern in zwei Eingangsklassen.
Borbach-, Erlen-, Hüllberg-, Rüdinghauser und Hellwegschule werden im Schnitt 28 Erstklässler aufnehmen. An Bruch-, Harkort-, Dorf- und Pferdebachschule sind es 26, bzw. 27 Kinder, an der Brenschenschule etwa 25 pro Eingangsklasse. An der Gerichtsschule werden 22, bzw. 23 Kinder in die erste Klasse gehen, ebenso an der Crengeldanzschule. Bredde- und Baedekerschule starten mit im Schnitt 20 i-Dötzen pro Klasse.
31 Kinder besuchen Richters jetzige erste Klasse. Auch in der vierten sind 30 Schüler. „Das ist unser täglich Brot.“ Die Räume seien voll mit Tischen und Stühlen. „Da können Sie nicht mal eben einen Stuhlkreis bilden.“ Wie es auch anders gehen kann, erleben Stefan Richter und sein Kollegium jetzt während Corona. „Wir genießen den Wechselunterricht. Heute war ich mit 15 Kindern in der Klasse. Das ist ein völlig anderes Arbeiten. Man hat das einzelne Kind viel mehr im Blick.“ Eine Situation, wie sie die Herbeder Kolleginnen täglich erleben dürfen.
Grundschulsprecherin: Keiner zweifelt an, dass kleinere Klassen mehr Sinn machen
Deren Argument, dass dort auch betreuungsintensive Kinder aus zwei Wohngruppen des Trägers „Flow“ beschult werden, die intensive Förderung brauchen, entgegnet Richter: „Bei uns herrscht zwar schon noch eher heile Welt. Aber nebenan ist das Kinderhaus Schwalbenhof, in dem auch Flüchtlingskinder wohnen, die ihr Päckchen zu tragen haben.“ Einige dieser jungen Bewohner besuchen die Buchholzer Grundschule – und würden ebenfalls intensive Betreuung benötigen.
Das treffe ohnehin auf die meisten Wittener Grundschulen zu, sagt deren Sprecherin Susanne Daum. Sie bezweifle, dass in Herbede zwei Drittel aller Kinder ein Schulproblem hätten – wie es bei ihr an der Bruchschule der Fall sei. Auch ihr stößt der Protest der Herbeder gerade ein wenig sauer auf.
„Es geht überhaupt nicht darum, anzuzweifeln, dass kleinere Klassen Sinn machen.“ Doch gerade in der jetzigen Situation, wo Corona ohnehin an den Nerven zehrt „und wir alle am Rad drehen, ist die Zündschnur dünn“. Jeder, der das hört, der denke doch: „16 Kinder in der Klasse – das hätte ich auch gerne“.
Marion Tigges-Haar kennt es nur anders. „Wir haben immer große Klassen mit Kindern, deren Muttersprache nicht Deutsch ist“, sagt die Leiterin der Hellwegschule in Heven. Jedem Kind die richtigen Chancen bieten zu können, sei da schwierig. Zwar lobt sie die Unterstützung durch das Schulamt, dennoch wünsche sie sich eine gerechtere Verteilung. 24 oder 25 Kinder in einer Klasse – „das wäre schon gut“.
Denn die Klassengröße sei ein entscheidendes Merkmal für Bildungsqualität, sagt auch Grundschulsprecherin Susanne Daum. Sie hofft, dass auf lange Sicht ein verändertes Anmeldeverfahren zu einer besseren Verteilung verhelfen könne. Gespräche dazu habe es bereits gegeben. „Schließlich müssen wir alle Kinder in Witten im Blick haben, nicht nur einzelne Klassen oder Schulen.“