Witten. Ein Kind aus Witten-Kämpen wird an der Grundschule Buchholz abgelehnt, denn die Herbeder Schule liegt näher. Dabei ist der Schulweg gefährlicher.

„Kurze Beine, kurze Wege“ lautet das Motto, nach dem auch in Witten Kinder in die nächstgelegene Grundschule eingeschult werden. Große Enttäuschung herrscht nun bei einer Familie (Name der Redaktion bekannt) aus Kämpen.

Der Stadtteil zählt zum Einzugsgebiet der Buchholzer Grundschule. Trotzdem wurde der fünfjährige Sohn der Familie dort nicht aufgenommen. Als Grund legt die Stadt eine Schulwegberechnung vor, die einige Meter kürzer ist und zur Herbeder Grundschule führt – allerdings entlang der Kämpenstraße, die unbeleuchtet ist, keinen Gehweg hat und auf der Tempo 70 gilt.

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Der Ablehnungsbescheid hat sämtliche Pläne der Familie durchkreuzt. Das jüngere Kind (3) besucht ab Sommer die Kita Buchholz, der große Bruder ist zurzeit Vorschulkind der ausgelagerten Kita-Gruppe im benachbarten Schulgebäude. Doch im Gegensatz zu seinen Freunden kann er dort künftig nicht Lesen und Rechnen lernen. Stefan Richter, Leiter der Buchholzer Grundschule, bedauert, dass er den Fünfjährigen ablehnen musste.

Anspruch auf Schulplatz in Witten hängt von der Entfernung ab

Von 35 angemeldeten Kindern kann die Grundschule Buchholz in Witten nur 29 Erstklässler aufnehmen. Die anderen wurden abgewiesen.
Von 35 angemeldeten Kindern kann die Grundschule Buchholz in Witten nur 29 Erstklässler aufnehmen. Die anderen wurden abgewiesen. © FUNKE Foto Services | Jürgen Theobald

Von 35 Anmeldungen konnte er nur 29 Kinder aufnehmen. Der Stadtrat hat diese maximale Anzahl 2009 festgelegt, um die Einzügigkeit (nur eine Eingangsklasse) der Buchholzer Schule zu bewahren. In Witten haben Kinder an der Schule einen Anspruch auf einen Platz, die die Stadt als die nächstgelegene Schule festlegt hat. Damit war die Kämpener Familie aus dem Rennen.

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Nach Daten der Stadt Witten sind es 2066 Meter von der Haustür im Kämperfeld bis zur Buchholzer Grundschule. 1815 Meter dagegen bis nach Herbede, also 251 Meter weniger. Dieser von der Stadt ermittelte Schulweg führt über die Rüsbergstraße, anschließend zirka 350 Meter an der Kämpenstraße entlang und danach über die Wilbergstraße („Hexentreppe“).

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Der Vater des angehenden Schulkindes fuhr kurzerhand die Strecke mit dem Fahrrad ab und stellte fest: Kurz vor der Schule verlief der Weg dann abgekürzt über ein Privatgrundstück. „Die Gesamtumstände lassen schon sehr daran zweifeln, dass die Entscheidung der Stadt Witten in diesem Fall sachgerecht war. Sie geht leider an jeder Realität vorbei“, so die Eltern.

Höchstgeschwindigkeit auf der Kämpenstraße von 100 auf 70 km/h reduziert

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Die Kämpenstraße ist der Knackpunkt. Sie hat keinen ausgebauten Seitenstreifen, in einer Kurve müsste der Erstklässler die Hauptstraße überqueren. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit an dieser Stelle wurde vor Kurzem von 100 auf 70 km/h begrenzt. Trotzdem: Ist das verantwortbar? Eine für ein Kind machbare Strecke führt zum Beispiel über die schmale Straße Kamperbach. „Wenn die Kämpenstraße also nicht berücksichtigt werden dürfte, wäre die Strecken nach Herbede länger als die nach Buchholz“, argumentiert der Familienvater.

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Die Stadt Witten möchte sich in der Sache nicht äußern, da hier eine Klage im Raum steht. In einem Schreiben an die Familie beruft sich das Schulamt auf Paragraf 7 der „Schülerfahrkostenverordnung“ des Landes NRW, der einen Schulwegs definiert. Der kürzeste Weg gilt demnach auch, wenn ein sogenannter gefährlicher Schulweg vorhanden sei.

Vater aus Witten: „Es wird mit zweierlei Maß gemessen“

Dass ihr Sohn höchstwahrscheinlich nicht nach Buchholz kommt, weil es eben zu viele Anmeldungen gibt, damit müssen sich die Eltern nun arrangieren. Aber der in ihren Augen nicht transparente und langwierige Entscheidungsprozess der Stadt hat die Familie dazu gebracht, gegen die Ablehnung zu klagen.

„Es wird mit zweierlei Maß gemessen“, sagt der Vater. „Entweder muss die in unserem Fall genutzte Definition aus der Schülerfahrkostenverordnung für alle gleichermaßen gelten, also immer der kürzeste fußläufige Weg – ohne Berücksichtigung weiterer Aspekte wie Sicherheit, Dunkelheit oder Waldwege. Oder es muss auf die als gefährlich bewertete Kämpenstraße als Schulweg verzichtet werden.“

Schulwegberechnung gilt auch für gefährliche Strecken

Die aus Sicht der Eltern bittere Ironie an der Geschichte: Alle Kämpener Kinder fahren mit einem Schulbus zur Grundschule Buchholz. Die Haltestelle am Franz-Wohllieb-Platz liegt 140 Meter vom Haus der Familie entfernt. Das wäre ein kurzer und sicherer Schulweg, meinen die Eltern: „Das Prinzip der kurzen Wege wird in unserem Fall mit Füßen getreten.“ Zur Grundschule Herbede fährt übrigens kein Schulbus – da Kämpen ja nicht zu deren Einzugsbereich zählt.

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