Witten. Es war eine schmerzhafte Niederlage. Nun macht sie erst mal ein paar Tage Urlaub. Was bleibt von Sonja Leidemann als Bürgermeisterin in Witten?
16 Jahre lang war Sonja Leidemann Bürgermeisterin von Witten. Nach der verheerenden Niederlage bei der Stichwahl zieht sie nun die Konsequenzen und tritt von der politischen Bühne ab. Damit endet eine Ära in der Stadt. Die 60-Jährige hinterlässt Spuren – positive wie negative.
„Mit diesem Ergebnis hat keiner gerechnet“, sagt die scheidende Amtsinhaberin, die vor 14 Tagen mit einem kleinen Vorsprung von fünf Prozent noch vorne lag. Einen Tag nach ihrer Niederlage kann sie es selbst kaum glauben. Und sagt: „Nach jedem Ende gibt’s einen Neuanfang.“
Wie der aussehen wird, weiß die Wahl-Herbederin im Augenblick selbst noch nicht. „Ich muss das alles erstmal verdauen und mache ein paar Tage Urlaub. Mal sehen, was dann kommt“, sagt sie am Montag am Telefon und klingt dabei relativ gefasst. Nicht die Wahlschlappe allein macht ihr zu schaffen.
Anfeindungen in den sozialen Medien setzen scheidender Bürgermeisterin aus Witten zu
Anfeindungen in den sozialen Medien sind es, die Leidemann gerade offenbar besonders treffen. „Was da abläuft, geht unter die Gürtellinie.“ Deshalb sei es eine Art Befreiung, damit nun nichts mehr zu tun haben zu müssen. Sogar die Schuld an der Schließung von Galerie Karstadt Kaufhof gebe man ihr dort. Dabei habe sie bis zum letzten Atemzug darum gekämpft, dass die Filiale erhalten bleibt. Das können viele bestätigen: Wenn Leidemann etwas am Herzen lag, hat sie sich sehr dafür eingesetzt.
„Wir können Witten positiv nach vorn bringen“, hatte die ehemalige VHS-Chefin nach der Kommunalwahl Ende September 2004 gesagt. Zwei Wochen später setzte sich Leidemann – auch damals gab es eine Stichwahl – gegen CDU-Herausforderer Klaus Noske durch und startete erstmals als Bürgermeisterin durch. Sie sei die erste Frau seit Verleihung der Stadtrechte 1825 in diesem Amt, hatte ihr Vorgänger und politischer Ziehvater Klaus Lohmann extra nachgeschlagen.
Die gebürtige Burgaltendorferin stammt aus einfachen Verhältnissen. Der Vater war Bergmann, die Mutter Altenpflegerin. Bis sie Stadtoberhaupt wurde, war die zweifache Mutter sechs Jahre Direktorin der Volkshochschule Witten/Wetter/Herdecke. In die SPD ging sie 1986. 18 Jahre später sollte sie die Geschicke Wittens lenken.
Dabei war sie nie die größte Rednerin. Manchmal wirkte sie auch etwas unnahbar. Eine Frau des Volkes, nein, die war sie nicht unbedingt. Der Umgang mit Bürgern gelang zu oft zu bemüht. Im Rat aber vermochte Sonja Leidemann sich durchzusetzen. Vielleicht lag es daran, dass sie sehr fleißig war.
„Sie war sehr exakt, kannte jede einzelne Vorlage“, sagt etwa Alt-Bürgermeister Lohmann. Er bescheinigt ihr auch „Kontinuität“. Und dass sie „ungeheuer engagiert“ Sachen angegangen sei. Vor allem die City lag ihr am Herzen. Eines der großen Projekte, der Kornmarkt, wird sie aber nicht mehr zu Ende führen.
Als Höhepunkt ihres Wirkens nennt Leidemann selbst als Erstes die Ansiedlung der Stadtgalerie vor elf Jahren. Auch die Sanierung des Rathauses, die noch auf vollen Touren läuft und deren Ende sie gern live miterlebt hätte, geht auf ihr Konto. Der Celestian-Bau übrigens – vielen Wittenern ein Dorn im Auge – der entstand vor ihrer Zeit.
Das war ihr immer wichtig: Als Bürgermeisterin habe sie sich für die ganze Stadt eingesetzt. Sie sah sich niemals nur im Dienste einer Partei. Ein Meilenstein ihrer Arbeit sei das Stadtentwicklungskonzept „Witten 2020“ gewesen, lobt SPD-Fraktionschef Uwe Rath. Das gelte ebenso für die Erstellung eines neuen Flächennutzungsplans und dessen stete Fortschreibung. Leidemann hat außerdem die „Soziale Stadt Annen“ sowie Heven-Ost/Crengeldanz auf den Weg gebracht.
In ihrer Amtszeit wurden Schulen saniert und Straßen instand gesetzt. Natürlich nicht alle. Das merken Autofahrer, die beispielsweise über die Herbeder Straße Richtung City rumpeln. Sie hat den Umbau der Pferdebachstraße begleitet, wenngleich sie deren Vollendung nicht mehr im Amt erlebt. Das Baustellen-Management der Stadt insgesamt wurde oft kritisiert, ihr Händchen fürs Personal war vielleicht nicht immer das glücklichste – zumindest nicht beim Stadtmarketing. Geschichte. Doch es gibt Wichtigeres.
Leidemann schreibt sich die Erweiterung der Uni auf die Fahnen, deren neuen Campus mit einem Holz-Neubau sie sicherlich noch gerne selbst eingeweiht hätte. Auch das neue Gewerbegebiet Drei Könige hat sie auf der Haben-Seite. Ihr Augenmerk galt besonders der Wirtschaft. Sie übergibt eine Stadt mit einer der niedrigsten Arbeitslosenquoten im Revier, wo zuletzt Neuansiedlungen wie Amazon, Hermes und Euziel gelangen. Es gab aber auch Rückschläge, etwa Verluste von Firmen wie Faiveley oder Brock Kehrtechnik an die Nachbarstädte.
Beim Radkonzept für Witten hätte sie sich selbst mehr Tempo gewünscht
Themen wie Klimaschutz und Nachhaltigkeit haben in ihrer Amtszeit erst relativ spät Bedeutung erlangt. Und die Umsetzung des Radverkehrskonzepts „hätte schneller vonstatten gehen müssen“, sagt sie selbst – gerade weil dieses Verkehrsmittel während Corona viel mehr genutzt wird.
Es begann mit „Wittens Wahrheit“
Daran können sich viele bestimmt nicht mehr erinnern: Sonja Leidemanns Karriere als SPD-Bürgermeisterin begann im Jahre 2004 mit einem kleinen Eklat. Die CDU hatte in einem Flugblatt, das kurz vor der Stichwahl an alle Haushalte verteilt worden war, schwere Vorwürfe gegen führende SPD-Politiker erhoben. Unter der Überschrift „Wittens Wahrheit“ bezichtigte die CDU unter anderem Sonja Leidemann der Lüge. Sie habe behauptet, die CDU sei gegen Ganztagsschulen. Auch persönlich wurde Leidemann angegangen. Die CDU warf ihr vor, beim Hausbau in Herbede von ihren Eltern unterstützt worden zu sein.
Dies war offenbar die Reaktion auf eine Kampagne der SPD mit falschen Behauptungen über das Privatleben des Bürgermeisterkandidaten Klaus Noske (CDU). Leidemann lehnte daraufhin die Gratulation von Wahl-Verlierer Noske ab. Denn dessen Entschuldigung war ausgeblieben.
Sonja Leidemann hatte zuletzt darauf gesetzt, dass die Menschen ihr gerade jetzt, in der Krise, vertrauen. Doch sie haben sich nicht darauf verlassen, dass die 60-Jährige „Witten sicher durch schwere Zeiten führen“ kann. Der Wahlkampfslogan ist Schnee von gestern. Nun muss ein anderer den Job übernehmen.
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