Witten. Corona hat die Wittener Wirtschaft hart getroffen. Besonders Auto-Zulieferer kämpfen ums Überleben, sagt die IG Metall. Eine Pleitewelle drohe.
Die Corona-Krise hat die Wirtschaft in Witten und dem EN-Kreis schwer getroffen. Seit März haben 953 Betriebe allein in der Ruhrstadt bei der Arbeitsagentur Kurzarbeit angezeigt – für bis zu 14.000 Arbeiter und Angestellte. „Wir sind, was Kurzarbeit angeht, auf einem Niveau wie vom anderen Stern“, sagt Ullrich Brauer, Sprecher der Arbeitsagentur Hagen. Selbst im Krisenjahr 2009 seien die Zahlen nicht annähernd so hoch gewesen. Auch die Arbeitslosenzahlen klettern immer weiter nach oben.
Die Krise zieht sich dabei durch fast alle Branchen. Auch Einzelhandel, Handwerk und die Gastronomie seien derzeit teils erstmalig mit Kurzarbeit konfrontiert, so der Agentur-Sprecher. Aber auch das produzierende und verarbeitende Gewerbe ist nicht verschont geblieben. Bei rund 60 Wittener Betrieben, die alle von Aufträgen aus der Automobilbranche abhängig sind, stünde es derzeit Spitz auf Knopf, sagt Matthias Hillbrandt, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes im EN-Kreis und der IG Metall Witten.
IG Metall: Kurzarbeit könnte in vielen Betrieben nicht mehr lange ausreichen
Und die Prognose für die Zukunft ist düster: „Wir befürchten, dass Kurzarbeit an vielen Stellen nicht mehr lange ausreicht“, so der Gewerkschafter. Nur eine Handvoll Betriebe in der Stadt sei unabhängig von den großen Autobauern. Die Branche sei schon vor Corona auf dem absteigenden Ast gewesen. Als dann auch Daimler, VW und Co im Lockdown ihre Werke stillgelegt haben, seien auch die Betriebe in Witten „auf Null runter gegangen“, so Hillbrandt.
Derzeit befinde man sich in einem permanenten „Abwehrkampf“. Denn die einfachste Antwort auf die Krise sei für viele Unternehmen, die Personalkosten zu senken, klagt Gewerkschaftssekretärin Jennifer Schmidt. Einige Firmen würden gerne noch weiter als bisher vom Tarif abweichen. Doch ein solches Vorgehen sei „zu kurz gesprungen“.
„Firmen in Witten haben den Transformationsprozess verschlafen“
„Viele Firmen im EN-Kreis und Witten haben einfach den Transformationsprozess verschlafen“, sagt Matthias Hillbrandt. Oft seien die Maschinenparks veraltet, es gebe keine Möglichkeit zur Investition. Für Heinz-Josef Bontrup, Wahl-Wittener und emeritierter Wirtschaftsprofessor, liegen die Gründe hierfür im System.
„Die produzierenden Firmen in Witten sind nur verlängerte Werkbänke“, sagt der 67-Jährige. Sie seien vollkommen von der Nachfrage der großen Player abhängig, die durch ihre Marktmacht die Preise bei ihren Zulieferern bis an die Schmerzgrenze nach unten drücken. So könne das abhängige Unternehmen keine Gewinne erzielen, nicht investieren und werde so „ausgezehrt“.
Unternehmen hangeln sich von Monat zu Monat
Für Witten werde die Corona-Krise eine „katastrophale Wirkung haben“, sagt Bontrup voraus. „Die Unternehmen fahren jetzt schon alle auf Sicht, hangeln sich von Monat zu Monat.“ Im kommenden Jahr werde es eine Welle von Insolvenzen geben.
3300 Betriebe im EN-Kreis haben Kurzarbeit angezeigt
Im ganzen EN-Kreis haben seit März 3300 Betriebe für bis zu 45.000 Betroffene Kurzarbeit angemeldet. Wie viele Betriebe am Ende aber für welche Zahl von Arbeitern tatsächlich Kurzarbeit beantragt haben, wird die Arbeitsagentur erst in einigen Monaten sagen können.
Die Anzeigen bei der Arbeitsagentur seien lediglich ein Rahmen, den sich die Firmen selbst setzen. Die meisten Unternehmen würden aber mindestens bis Jahresende weiterhin Kurzarbeit fahren wollen, so Agentur-Sprecher Brauer.
Für März liegen der Arbeitsagentur Hagen nun die ersten Abrechnungen für das Kurzarbeitergeld vor. Danach wurden im gesamten Agenturbezirk (Hagen + EN-Kreis) Kurzarbeitergeld an 1.937 Betriebe für 14.953 Arbeitnehmer ausgezahlt. Das sei eine hohe tatsächliche Inanspruchnahme von 86,5 Prozent.
IG-Metall-Chef Hillbrandt versucht, trotz allem positiv in die Zukunft zu schauen. „Es gibt eine Chance, gestärkt aus dieser Krise herauszugehen“, so der 43-Jährige. Dazu jedoch müssten Unternehmen und Arbeiter Hand in Hand gehen. Es brauche ein Konzept mit lokalen Investoren, um in die Erneuerung der Unternehmen zu investieren.
Erarbeiten könne das ein Gremium aus Gewerkschaft, IHK, Arbeitgeberverband, Wirtschaftsförderung der Stadt und Vertretern der Universität. „Um zu analysieren, was auf unsere Stadt zukommt und wie wir damit umgehen.“ Vor zwei Jahren hatte es ein solches Gremium schon einmal gegeben. Das sei aber im Sande verlaufen.
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