Witten. Das Gesundheitsamt nimmt künftig keine Corona-Abstriche mehr ab - das machen nun Hausärzte. Amtsärztin: Überblick über Lage wird schlechter.
Wer sich in Witten auf das neuartige Corona-Virus testen lassen will, muss dafür ab Mittwoch seinen jeweiligen Hausarzt aufsuchen. Das Kreisgesundheitsamt legt das Drive-In am Kreishaus in Schwelm auf Eis und beendet auch den Einsatz der mobilen Testfahrzeuge weitgehend. Hintergrund ist, dass die Kassenärztliche Vereinigung (KVWL) nicht mehr für vom Gesundheitsamt durchgeführte Corona-Tests bezahlen will.
Das gilt sowohl für Abstriche bei Menschen mit Symptomen als auch bei Personen ohne Krankheitsanzeichen. Zu Beginn der Pandemie hatte das Gesundheitsamt die Tests bei erkrankten Menschen übernommen - auch weil in den Arztpraxen die entsprechende Schutzkleidung fehlte. Dazu hatte die Behörde von der Kassenärztlichen Vereinigung eine sogenannte Betriebsstättennummer erhalten, um mit den Krankenkassen abrechnen zu können. Diese wurde ihr nun wieder entzogen.
Kassenärztliche Vereinigung sieht Hausarztpraxen gerüstet für Corona-Tests
Mit „Blick auf das Infektgeschehen sowie die Ausstattung der Praxen mit persönlicher Schutzausrüstung“ könnten die Tests nun wieder direkt in den Praxen der niedergelassenen Ärzte durchgeführt werden, argumentiert Dr. Dirk Spelmeyer, erster Vorsitzender der KVWL. In Witten etwa ist die Zahl der Infektionen seit Anfang Mai nahezu konstant, derzeit gibt es nur vier Menschen, die Symptome der Krankheit zeigen.
Auch interessant
Dr. Arne Meinshausen, Sprecher der Ärztlichen Qualitätsgemeinschaft Witten (ÄQW), hält die neue Regelung für „sehr gefährlich“. Denn nun liege keine Koordination und Steuerung mehr vor. „Letztlich tappen wir bei der Früherkennung eines ‘Hot-Spots’ mit der jetzt getroffenen Vorgabe im Dunkeln“, so der Mediziner.
Arzt: „Wir dürfen zweite Welle nicht verschlafen“
Er empfehle daher den in der ÄQW organisierten Ärzten, jeden Patienten mit leichten grippeähnlichen Symptomen zu testen. „Wenn wir nicht konsequent abstreichen, verschlafen wir sonst die zweite Welle“, warnt der 62-Jährige. So habe er in der eigenen Praxis etwa schon den Fall erlebt, dass sich ein Patient mit Durchfall am Ende als Corona-Fall entpuppt habe.
Kreis hat 4018 Abstriche abgenommen
Seit Beginn der Pandemie hat das Gesundheitsamt insgesamt 4018 Abstriche vorgenommen, 1046 davon am stationären Test-Zentrum in Schwelm. Dieses werde im Stand-by-Modus bleiben, so Klinke-Rehbein. Wenn die Fallzahlen wieder steigen, könnte es dann wieder hochgefahren werden.
Der Kreis ist weiterhin für die Ermittlung von Kontaktperson bei einem Covid-19-Fall zuständig. Auch die Corona-Hotline (02333/4031449) bleibt in Betrieb. Dort werden alle Fragen rund um das Virus beantwortet - aber keine Termine für einen Abstrich mehr vergeben.
Die aktuellen Zahlen sind für die Amtsärztin „sehr erfreulich“, aber kein Grund euphorisch zu sein. „Das Virus ist weiterhin da und nur wenige Menschen waren bislang infiziert und sind deshalb immun. Es kann sich also schnell wieder ausbreiten. Wir müssen weiter wachsam sein.“
Auch Dr. Sabine Klinke-Rehbein bedauert die Entscheidung. „Wir hatten bislang einen guten Überblick über die Zahlen und das Infektionsgeschehen“, so die Amtsärztin des EN-Kreises. Nun würden dem Gesundheitsamt nur noch die positiv ausgefallenen Tests übermittelt. „Wir sind jetzt nicht mehr so nah dran“, sagt Klinke-Rehbein. Das erschwere die Einschätzung der Lage.
Gesundheitsamt hat auch viele Menschen ohne Symptome getestet
Auch Menschen ohne Symptome hatte das Gesundheitsamt in den letzten Wochen getestet, etwa im Umfeld von Covid-19-Patienten in Altenheimen. Die Leistungspflicht der Krankenkassen bestehe aber „derzeit ausschließlich für die Testung symptomatischer Patienten“, stellt die KVWL in einer Stellungnahme klar. Nur für solche Fälle will der Kreis auch weiterhin mit seinen Test-Fahrzeugen ausrücken - und selbst dafür aufkommen.
Auch interessant
Eigentlich sieht das zweite Infektionsschutzgesetz von Gesundheitsminister Jens Spahn, das vergangenen Freitag verabschiedet wurde, vor, dass die gesetzlichen Krankenversicherungen Corona-Tests grundsätzlich finanzieren müssen - auch ohne Symptome. Das Gesetz werde aber „erst durch eine entsprechende Rechtsverordnung wirksam“, so die KVWL. Diese werde derzeit erst erarbeitet. Dem wolle man nicht vorgreifen.