Witten. Der integrative Ansatz der Ambulanz der Uni Witten interessiert immer mehr Patienten. Die Einrichtung will weiter wachsen. Was sie anders macht.
Vor rund einem Jahr hat die Universitätsambulanz in Witten offiziell ihre Türen geöffnet – und schreibt seitdem eine Erfolgsgeschichte. Über 10.000 Patientenkontakte hatte die Gesundheitseinrichtung auf dem Campus in den vergangenen zwölf Monaten. Die anfängliche Kritik seitens der niedergelassenen Hausärzte ist abgeflaut.
„Wir sind zeitlich und personell gut ausgelastet“, sagt der Mediziner Prof. Tobias Esch, Leiter der Ambulanz. „Und wir planen bereits, weiter zu wachsen.“ Seit der Eröffnung seien die Patientenzahlen stetig gestiegen. Inzwischen behandele das medizinische Team zwischen 40 und 50 Patienten am Tag.
Schon im letzten Jahr ist eine zusätzliche Ärztin hinzugekommen. Noch in diesem Jahr wolle man weiter personell aufstocken, um der stark gestiegenen Nachfrage gerecht zu werden, so Esch. Umziehen muss die Ambulanz dafür aber nicht. Die bisherigen Räume im Universitätsgebäude an der Alfred-Herrhausen-Straße bieten Platz für weiteres ärztliches und therapeutisches Personal.
Besonders chronisch Kranke suchen die Universitätsambulanz in Witten auf
Besonders häufig würden Menschen die Gesundheitseinrichtung aufsuchen, die chronisch erkrankt sind und eine vergleichsweise lange Leidensgeschichte hinter sich haben. „Häufig sind das zum Beispiel Menschen mit chronischen Kopf- oder Rückenschmerzen“, sagt Ärztin Christina Bullermann-Neust. Die Patienten hätten „mitunter schon zahlreiche Ärzte besucht, nehmen seit Monaten oder Jahren Schmerzmittel und finden keine Lösung, um ihr Problem an der Ursache zu behandeln“.
Hier setzt die Ambulanz mit ihrem Konzept einer integrativen Versorgung an. „Wir stellen den Menschen und seine individuelle Situation in den Fokus“, sagt die 44-jährige Medizinerin. Auch der Faktor Zeit spiele dabei eine wichtige Rolle. „Es ist allgemein bekannt, dass die Zeit bei Ärzten heute leider eine knappe Ressource ist“, so die Fachärztin für Allgemeinmedizin. „Das tut den Ärzten nicht gut und natürlich ist es auch für die Patienten kein schönes Gefühl, wenn der Behandler nach drei Minuten schon anfängt, auf die Uhr zu schauen.“
Universitätsambulanz nimmt Patienten in die Verantwortung
Auch der Patient selbst wird beim ganzheitlichen Ansatz der Ambulanz in die Verantwortung genommen. Wie kann man durch eine Änderung seiner Lebensgewohnheiten seinen Gesundheitszustand selbst verbessern? Vermittelt wird dies in Kursen zur individuellen Gesundheitsförderung.
„Die Nachfrage nach diesen Kursen ist mittlerweile enorm, so dass wir derzeit Wartelisten führen“, sagt Therapeutin Irina Wagner. Das Angebot vermittelt den Patienten auf Basis der sogenannten Mind-Body-Medizin Techniken in den Bereichen Verhalten und Gedankenmuster, Bewegung, Entspannung und Ernährung. Über 150 Frauen und Männer haben im letzten Jahr bereits einen solchen Kurs besucht.
Ärzte-Sprecher wünscht sich engere Zusammenarbeit mit der Ambulanz
Bevor die Ambulanz an den Start ging, stand sie vor allem bei niedergelassenen Hausärzten, aber auch innerhalb der Universität selbst in der Kritik. Die größte Sorge war, dass die Ambulanz zur Konkurrenz für andere Ärzte werden könnte. Es habe unter den Kollegen viele kritische Stimmen gegeben, sagte Dr. Arne Meinshausen, einer der Geschäftsführer der Ärztlichen Qualitätsgemeinschaft Witten (ÄQW), in seinem Grußwort bei der Eröffnung der Ambulanz.
Ambulanz rechnet direkt mit Krankenkassen ab
Die Ambulanz rechnet ihre Leistungen über einen Direktvertrag mit den Krankenkassen ab – egal ob gesetzlich oder privat. Sie wird in dieser Hinsicht wie ein Krankenhaus behandelt, beeinflusst also nicht das hausärztliche Budget.
Über ein verschlüsseltes Online-Portal können Patienten jederzeit ihre persönliche Gesundheitsakte einsehen, haben also etwa Zugriff auf Befunde und Medikamentenpläne. Die meisten Patienten würden das Portal nutzen, mehrmals zwischen ihren Terminen hineinschauen, heißt es seitens der Ambulanz.
Die Ambulanz versteht sich selbst als wissenschaftliches Pilotprojekt. Das Institut für Integrative Gesundheitsversorgung und Gesundheitsförderung mit derzeit neun festen Mitarbeitern beschäftigt sich – im Hintergrund – wissenschaftlich und organisatorisch mit der Einrichtung.
Nach einem Jahr hat sich diese Befürchtung nicht bestätigt. „Ich begrüße es, dass wir die Ambulanz haben“, betont Meinshausen. Alles laufe, wie abgesprochen. „Dass Patienten abgefischt werden und nicht mehr zu uns zurückkommen, das passiert überhaupt nicht“, so der 62-Jährige. Vielmehr würden Hausärzte und Ambulanz „nebeneinander“ existieren.
Der Facharzt für Allgemeinmedizin wünscht sich eine engere Kooperation mit der alternativen Einrichtung. Etwa, dass der jeweilige Hausarzt ähnlich wie bei einer klassischen Überweisung Patienten zur Ambulanz schickt und nach Abschluss der Behandlung auch einen Bericht über die Ergebnisse erhält.
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