Am Dienstag (19.9.) will die Uni die Weichen für ihre erste allgemeinmedizinische Hochschulambulanz stellen. Dafür erntet sie auch Kritik.
- Uni will Forschung, Lehre und Praxis nun auch in ambulanten Versorgung stärker verzahnen
- Lehrstuhlinhaber für Allgemeinmedizin fühlt sich übergangen und verlässt Fakultätsausschuss
- Niedergelassene Ärzte sehen durch die Konkurrenz auch ihre Lehrpraxen beeinträchtigt
Die Uni Witten/Herdecke plant eine Hochschulambulanz – und macht sich damit nicht überall Freunde. Es gibt Kritik innerhalb der Professorenschaft und von niedergelassenen Ärzten.
Zu den Hauptkritikern zählt Prof. Dr. Andreas Sönnichsen, der seit 2012 den Lehrstuhl für Allgemein- und Familienmedizin inne hat, ein solches Institut leitet und damit schon an einem Konzept für eine Hochschulambulanz beteiligt war. Die Betonung liegt auf „war“. Der 60-Jährige fühlt sich übergangen.
Professor schreibt bösen Brief an den Senat
In einem bitterbösen Brief an den Senat schreibt er: „Leider wurden wir von Universitätsleitung und Dekanat (...) abgestraft und aus der weiteren Realisierung ausgeschlossen.“ Den Grund sieht Sönnichsen in seiner Forderung, die Hochschulambulanz könne man nur im Einvernehmen mit den niedergelassenen Ärzten aufbauen und das nur für einen unterversorgten, vor allem ländlichen Bereich.
Am Dienstag (19.9.) will der Senat darüber abstimmen, ob die Uni ein „Institut für Integrative Gesundheitsforschung“ samt Lehrstuhl gründet, was Voraussetzung für die Ambulanz ist. Institutsleiter und Lehrstuhlinhaber soll Tobias Esch werden (47), der 2016 als Professor für Integrative Gesundheitsversorgung berufen wurde.
Esch, der eine Gastprofessur in Harvard hatte, habe die Pläne für die Ambulanz mit vier Ärzten schon im Fakultätsrat vorgestellt, so Sönnichsen, aus dem er selbst verärgert ausgetreten ist. Es gehe demnach um eine „hausärztliche Primärversorgung der Bevölkerung mit einer Vernetzung von Gesundheitsberufen“.
„Witten mit Hausärzten überversorgt“
Doch Witten sei nicht das Sauerland und mit Hausärzten überversorgt, sagt Sönnichsen, der zweimal halbtags in der Woche selbst noch in der Praxis von Dr. Martin Schmelzer arbeitet. Er spricht wie Schmelzer von einer Überversorgung in Witten von 116 Prozent. Eine Ambulanz würde nicht nur Konkurrenz für niedergelassene Ärzte bedeuten, sagt er. Der Professor sieht auch die Gefahr von Überdiagnostik und Übertherapie, weil der Kuchen nicht für alle reiche.
Wie früher schon bei der Zahnklinik weist die Hochschule auf die Bedeutung für die Ausbildung der 560 Medizinstudenten hin. Trotz der Kooperation mit Kliniken und Praxen „hatten wir bisher noch keinen direkten Zugang zur Versorgung, den die Studierenden mitgestalten können“, sagt Dr. Marzellus Hofmann (50), Prodekan für Lehre der Fakultät Gesundheit. „Wenn sie eine innovative Versorgung in der Ausbildung abbilden wollen, brauchen Sie eine Ambulanz“, sagt Prof. Dr. Esch.
„Der Kuchen ist groß genug“
Damit wolle man auch dazu beitragen, das Nachwuchsproblem zu lösen. Kaum ein Mediziner wolle noch Hausarzt werden. Selbst in Witten könne das Verhältnis schnell Richtung Versorgungsuntergrenze kippen. Von den 57 Allgemeinmedizinern seien 16 älter als 64, fünf älter als 69.
Den Ärzten, betont Esch, wolle man nichts wegnehmen. Der Kuchen sei groß genug. Die Hochschulambulanz müsse sich selbst tragen, wolle aber keinen Gewinn machen. Verhandelt werde direkt mit den Kassen über ein eigenes Budget. Die Töpfe der niedergelassenen Kollegen, die ihr Geld von der Kassenärztlichen Vereinigung bekommen, seien nicht berührt.
Dr. Kurt-Martin Schmelzer sieht die zahlreichen Lehrpraxen der Uni (90) durch eine neue Ambulanz „massiv beeinträchtigt“. Er frage sich auch, wie sie Patienten kontinuierlich betreuen wolle. Seinem Vorwurf, nichts sei abgesprochen worden, widerspricht die Uni. Sie verweist auf laufende Gespräche mit der Ärztlichen Qualitätsgemeinschaft Witten (ÄQW).