Witten. Die Wittener Jusos sind mit einem Antrag gescheitert, die SPD möge aus der GroKo in Berlin aussteigen. Viele Stimmen fehlten ihnen aber nicht.
Wenige Stunden vor Bekanntgabe der neuen SPD-Spitze im Bund haben die Wittener Genossen am Samstagmorgen (30.11.) über den Ausstieg aus der Großen Koalition diskutiert. Am Ende sprach sich eine knappe Mehrheit dagegen aus, die GroKo in Berlin frühzeitig zu verlassen. Es war eine intensive, teils emotional geführte Debatte.
Die Delegierten der SPD-Hauptversammlung waren nach gut zwei Stunden der Wortmeldungen eigentlich müde, als Patricia Podolski, Vorsitzende des Ortsvereins Innenstadt, als Letzte das Wort ergriff. Vehement warb die junge Ratsfrau für den Antrag der Jusos, die Koalition mit der CDU aufzukündigen. Es sei nicht glaubwürdig, für solidarische Werte einzutreten und gleichzeitig „Steigbügelhalter für eine Politik der Reichen“ zu sein, heißt es in dem Antrag.
13 Prozent? „Es kann noch weiter nach unten gehen“
Die GroKo sei nicht zukunftsfähig, sagte Podolski. Die SPD habe nur eine Chance, wenn sie sich wieder stärker an sozialdemokratischen Werten orientiere. Es sei „frustrierend“, wenn sie als Vorsitzende erlebe, wie immer mehr Mitglieder die Partei verließen, „sechs seit August“, darunter solche, die sie gerade erst für 25 Jahre in der SPD geehrt habe. Sie seien unzufrieden mit der Bundespolitik. „Und wir können nichts dagegen tun, dass sich Menschen schämen, Sozialdemokraten zu sein“, so Podolski. Sie appellierte an den Parteitag, die Koalition zu beenden. „Geht in euch. Welches Zeichen können wir sonst setzen.“ Umfragewerte von 13 Prozent müssten noch nicht das Ende der Fahnenstange sein. „Es kann noch weiter nach unten gehen.“
Der starke Applaus für Podolskis Redebeitrag ließ die Befürworter der GroKo wohl ahnen, dass es bei der Abstimmung über den Juso-Antrag eng werden könnte. Tatsächlich stimmten am Ende 26 Delegierte für den geforderten Ausstieg, 31 dagegen. Es waren überwiegend die Jüngeren, der linke Flügel der Partei, die kein gutes Haar an der GroKo ließen.
21 Prozent der Stimmen seit 2005 verloren
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„Seit 2005 haben wir 21 Prozent der Wählerstimmen verloren“, sagte Juso Sören Hellmonds. Der 24-Jährige sprach von Kinderarmut sowie einer immer weiter auseinandergehenden Schere von Arm und Reich. Gleichzeitig sei die Vermögenskonzentration weiter gestiegen. „Die Leute erwarten von uns, dass wir dagegen Politik machen.“ Der junge Borbacher forderte: „Raus aus der GroKo. Und zwar jetzt!“ Die 13 Prozent, die der SPD jetzt noch die Treue hielten, „wählen uns nicht wegen, sondern trotz der GroKo“. Die jetzige Halbzeit sei eine gute Gelegenheit auszusteigen und eine neue Politik zu machen, sagte Hellmonds.
Wittener Parteichef vermisst bei der Bundes-SPD die „klare Kante“
Doch es werde keinen sofortigen Austritt geben, sagte Stadtverbandsvorsitzender Axel Echeverria,. „Das würden die Leute auch nicht verstehen, nur weil es uns gerade schlecht geht.“ Er vermisse in der Regierungspolitik der SPD die klare Kante. „Die kriegen es in Berlin nicht hin, rote Linien deutlicher zu definieren.“ Gemeint war etwa die Debatte um eine Bedürfniskeitsprüfung bei der Grundrente. „Dann kommt auf einmal die CDU um die Ecke und will einen Sonderweg.“ In solchen Fällen dürfe die SPD nicht wackeln und müsse notfalls sagen dürfen, „jetzt steigen wir aus“, so der neue Parteichef.
GroKo-Befürworter wie der SPD-Bundestagsabgeordnete Ralf Kapschack warben mit einer positiven Halbzeitbilanz. Die SPD habe 60 Prozent ihrer Ziele erreicht, vom sozialen Arbeitsmarkt über die Grundrente bis hin zu einem Klimapaket, das in die richtige Richtung weise. Den Kritikern an einer zu niedrigen CO2-Bepreisung entgegnete Kapschack: „Der Preis ist ein zentrales Element der neoliberalen Wirtschaft. Die, die viel haben, können sich deutlich teureren Sprit, Strom oder Mieten leisten.“ Die SPD aber müsse beim Klimaschutz alle Bürger mitnehmen.
Kapschack: „Die SPD wird auch als Bollwerk gegen Rechts gebraucht“
„Die SPD wird gebraucht“, sagte Kapschack, „auch als Bollwerk gegen Rechts.“ SPD-Urgestein Dietrich Kessel (78) warnte ebenfalls vor einem Ausstieg zum jetzigen Zeitpunkt. Er erinnerte daran, dass zwei Drittel der Partei vor zwei Jahren für die GroKo gestimmt hätten.
Der ehemalige Landtagsabgeordnete mahnte, die Partei dürfe sich nicht permanent an diesem Thema abzuarbeiten. Und Opposition bedeute nicht automatisch Erneuerung, wie sie sich die GroKo-Gegner erhofften. „Die Erfolge sind zwar klein, aber wesentlich“, sagte Günter Boden. Er forderte die SPD auf, nachvollziehbare Lösungen bei den Themen Ökologie, Umwelt, Wirtschaft und Soziales zu entwickeln. „Klima allein reicht auch nicht.“
Wittens Bürgermeisterin warnt vor ideologischen Debatten
Die Bürgermeisterin warnte vor ideologischen Debatten. Die Partei müsse sich auf ihre Werte besinnen. „Sozial, demokratisch und gerecht.“ Sie sei in die SPD eingetreten, um als Arbeiterkind studieren zu können, sagte Sonja Leidemann. IG-Metall-Chef Mathias Hillbrandt forderte als weiterer Gastredner dazu auf, die Kollegen in den Betrieben zurückzugewinnen. Er warnte vor einer Spaltung innerhalb der Partei. „Das wäre das Schlimmste, wenn wir uns entzweien würden.“
Einig war sich der Parteitag, dass die SPD ihre Erfolge in der Regierung zu schlecht verkauft. Aber es sei zu einfach, in diesem Zusammenhang immer nur auf das Willy-Brandt-Haus zu schimpfen, sagte Bundestagsabgeordneter Ralf Kapschack. „Wir sind die Botschafter der Partei in die Bevölkerung und Erneuerung, das sind wir selber“, rief der ehemalige Wittener Parteichef den Genossen zu. Steige man jetzt Hals über Kopf aus der GroKo aus, „spielen wir keine große Rolle mehr“.