Wattenscheid. Im Niemandsland zwischen Wattenscheid, Essen und Gelsenkirchen verläuft die ehemalige Erzbahntrasse, die heute ein Radwanderweg ist. Und genau hier befindet sich die einzige Bude der Strecke - betrieben von einem Hamburger, den es ins Revier verschlagen hat. Hier findet man noch Bodenständigkeit.
Dreistädteeck: Hier treffen sich Wattenscheid, Essen, Gelsenkirchen. Und auch ein bisschen Herne. Himmelstreppe, Jahrhunderthalle, Zeche Zollverein, Zoom locken Radfahrer auf die Erzbahntrasse. Und genau hier am „Knotenpunkt“ trifft man sich.
Mitten im Niemandsland steht ein entspannter Mann mittleren Alters hinterm Tresen und bedient Pedalritter. Holger Kesting ist Inhaber der „Erzbahn-Bude“. Der einzigen Versorgungsstation entlang des beliebten „Radwanderweges“.
"Das beste Beispiel für eine Struktur im Wandel"
So nennt der 45-Jährige die Strecke, die sich durch Industriekultur und Natur windet. Über Umwege und durch einen Unfall fand er den Weg auf den abgelegen Posten, der dennoch kaum besser platziert sein könnte. Der gebürtige Hamburger war zwölf Jahre lang Fahrradkurier in der Hansestadt. Nach seinem dortigen Studium lockte ihn 2000 das Angebot einer Softwarefirma nach Wattenscheid. „Mit den Jahren wurde mir jedoch klar, dass ich mich permanent anpassen und verstellen muss, um dem Erfolgsdruck gerecht zu werden.“ Also stieg er aus, fiel vom Rad und so in seinen persönlichen Jungbrunnen: „Ein paar Meter weiter stürzte ich die Böschung herunter. Hätte ich mir eine ernsthafte Verletzung zugezogen, ich hätte nicht wirklich beschreiben können, wo ich mich befinde.“ Die Idee für das „Radler El Dorado“ war geboren.
Heute strahlt er Vitalität und Ruhe aus. „Da ich täglich vor Ort und mit dem Rad unterwegs bin, nehme ich sowohl Wetter als auch Leute bewusster wahr.“ Seine Art wird geschätzt, viele Kunden kommen seit der Eröffnung 2011 immer wieder. Sie teilen seine Vision, sind längst „per du“. Dabei wichtig: „Die Leute sind hier noch geerdet. Es ist das beste Beispiel für eine Struktur im Wandel. Ehemalige Beschäftige der angrenzenden Schwerindustrie schalten heute bei einer Fahrt durch die Gegend ab. Das zeigt, wie zeitgemäß Radfahren ist.“
Auch Spaziergänger sind willkommen
Die Erzbahn-Bude reflektiert dieses Lebensgefühl par excellence: Kein Prunk, sondern bewusste Bodenständigkeit. Eine kleine, unscheinbare Bude. Keine „Kirmesmusik“, keine „modernen Edelstahlkonstruktionen“. Berufspendler legen einen letzten Zwischenstopp nach dem Feierabend ein, Rennsportler sind genauso vertreten wie Rentner und Familien. Während er selbst in die Pedale trat, fiel Holger Kesting eine Gitarristin in Leithe auf, er setze sich zu ihr und hörte zu. Fast jeden Donnerstag spielt Andrea mittlerweile bei ihm auf, nachdem sie anfangs fast zu schüchtern war, das Angebot auch anzunehmen.
Kalte und warme Getränke, Obst, Joghurt und Kuchen gehören zum Standard. Am Wochenende wird ein Grill angeworfen. Alles ist auf die Zweiradliebhaber zugeschnitten, aber eben nicht auf diese begrenzt. Auch Spaziergänger finden hier ein Plätzchen im Grünen: Auf Natursteinen in der Sonne, im Liegestuhl auf der Wiese oder in geselliger Runde unterm Sonnenschirm in einem der kleinsten Biergärten der Region.