Bochum-Wattenscheid. Jahrelang prägte Steilmann die Wattenscheider. Heute blicken frühere Beschäftigte mit Wehmut zurück. Was das mit der Globalisierung zu tun hat.
Im Gespräch mit ehemaligen Beschäftigten der Klaus Steilmann GmbH schwingt Wehmut und stets ein Stück Bitterkeit mit. Dabei ist die Bedeutung des Unternehmens auf die Wattenscheider Stadtgesellschaft der vergangenen Jahrzehnte kaum zu unterschätzen.
Bochum: Warum der Aufstieg und Fall von Steilmann die Globalisierung widerspiegelt
Mit leuchtenden Augen schwärmen sie von großen Geschäftserfolgen, dem goldenen Zeitalter der Textilindustrie im Revier, – und blicken dann mit ebenso großer Unversöhnlichkeit auf die letzten Jahre des Wattenscheider Betriebs zurück. Laut ihnen hängt das zum einen mit unternehmerischen Entscheidungen der letzten Jahre, mit der Übernahme durch die Miro-Radici-Gruppe 2006 und der Insolvenz zusammen. Im größeren Rahmen spiegelt der Aufstieg und Fall von Steilmann aber auch den Gang der gesamten Textilbranche im Ruhrgebiet wider – und hängt eng mit der Globalisierung zusammen.
„Mode für Millionen“, zitiert Jürgen Dieckmann, bis zum Schluss Betriebsrat bei Steilmann, den einstigen Slogan des Wattenscheider Modehauses. „Es gab kaum einen Laden, der keine Ware von uns hatte“, erinnert er sich. „Steilmann hat wirklich für alle produziert: C&A, Peek & Cloppenburg, Sinn-Leffers“, sagt auch Katrin Lorenz-Wehmeyer, frühere Steilmann-Mitarbeiterin.
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Textilbetriebe verlagerten Produktion ins Ausland, wo die Löhne niedriger waren
Nach einer kurzen intensiven Boom-Phase in den 50ern und 60ern – in der die Bekleidungsbranche ebensoviele Menschen beschäftigte wie der Bergbau – ging es bereits ab den 70er Jahren bergab. Das ging insbesondere mit der Verlagerung der Produktionsstätten ins Ausland einher, die später auch Steilmann ereilen sollte. Betriebe lagerten erst nach Süd- und Osteuropa, dann nach Asien ihre Produktion aus – und selbst das genügte nicht, um im weltweiten Textil-Wettbewerb mitzuhalten.
In den 90ern seien bei Steilmann dann nach und nach alle deutschen Produktionsstätten geschlossen worden. „Es begann mit den Fertigungsbetrieben in Dülmen oder an der Blücherstraße in Wattenscheid und unser Ausbildungsbetrieb in Essen, wo zuvor Industrienäherinnen ausgebildet wurden“, so Lorenz-Wehmeyer. Zwischenzeitlich habe man mit Produktionsstätten in Griechenland und der Türkei zusammengearbeitet, dann wurden auch diese Länder – relativ – zu teuer.
Die Industriekauffrau hat zahlreiche Abteilungen und Untermarken des Textilkonzerns durchlaufen, die Zentrale, die hochpreisige Marke KS Selection oder der Bereich Young Fashion. „Dann wurde dem gesamten Young Fashion Betrieb gekündigt und die Marke vom Markt genommen. Ich blieb dann übrig.“
Übergangsweise habe es hierzulande noch „Feuerwehrbetriebe“ gegeben. „All der ,Schrott’, der aus China kam, wurde da überarbeitet“, so die ehemalige Steilmann-Mitarbeiterin. „Später gingen auch diese Überarbeitungsbetriebe nach Polen oder Tschechien.“ Bis heute hält sie die Verlagerung der Produktion ins asiatische Ausland für nicht nachvollziehbar. „Die Passform stimmte nicht. Da wir anspruchsvolle Kunden hatten, wurden wir mit Retouren überhäuft.“
„Für mich ist da eine Welt zusammengebrochen“
Die gesunkene Wettbewerbsfähigkeit führte in Wattenscheid zu mehr und mehr Kündigungswellen. Von ihrer Lehre zur Industriekauffrau 1987 bis 1990 bis zu ihrer Kündigung im April 2002 hatte Lorenz-Wehmeyer für Steilmann gearbeitet. „Für mich ist da eine Welt zusammengebrochen.“ Die damals 34-jährige Mutter hatte nach ihrer Kündigung keinen Plan B in der Tasche.
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Seit über 20 Jahren wird Kleidungsproduktion unter schlechten ökologischen und menschenunwürdigen Bedingungen immer noch und noch günstiger produziert. Das „Fast Fashion“-Geschäftsmodell wurde im letzten Jahrzehnt noch weiter intensiviert: Trends ändern sich nicht mehr wie früher in der Saison, sondern im Wochenrhythmus – die Zahl der Kollektionen vervielfacht sich.
„Fast Fashion“ wird immer schneller und billiger
Früher habe es nur vier Kollektionen im Jahr gegeben, erinnert sich Jürgen Dieckmann. Dann gab es acht Kollektionen, dann mehrere im Monat. Heutzutage werden auf Internetseiten wie „Shein“ täglich neue Kleidungsstücke zum Verkauf gestellt. „Die Krux war die ,Geiz-ist-geil’-Mentalität der 2000er“ – so sieht es Dieckmann.
Die früheren Mitarbeitenden bei Steilmann sind sich einig: Die Verlagerung der Textilbranche ins Ausland, brachte kaum Gewinner hervor. Hierzulande gingen Arbeitsplätze verloren. Und die miserabele Qualität und die menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen in den heutigen Produktionsländern sorgten anderenorts für Elend.