Wattenscheid-Mitte. Der “Leicher-Bau“ in Wattenscheid-City wird derzeit zum Callcenter mit 150 Arbeitsplätzen umgebaut. Hier stand mal ein Teil der WAT-Altstadt.
Der Kahlschlag für die große Leicher-Bebauung in Wattenscheids City vor rund drei Jahrzehnten sorgt jetzt noch für Emotionen. "Das war nicht richtig und ohne Weitblick durchgezogen, da wurde historische Bausubstanz für immer zerstört. Andere Städte sind jetzt stolz auf ihre Altstadt. In Wattenscheid ist davon nicht mehr viel übrig geblieben", meint rückblickend der engagierte Wattenscheider Bürger Klaus Hölscher (71).
Das Rosenviertel war Teil der Wattenscheider Altstadt mit etlichen Fachwerkhäusern, die größtenteils der radikalen Modernisierung zum Opfer fielen. 1990 ging hier ein sehr altes Haus als Altstadt-Relikt sogar auf Wanderschaft: Erbaut 1611 und um 50 Meter versetzt, steht Old Wattsche 9 seitdem immer noch im Rosenviertel.
Ein altes Haus wurde versetzt
Das Fachwerkhaus überlebte die radikale Sanierung im einstigen Kattenort. In der Gegenwart liegt das Haus eher versteckt im Herzen der Innenstadt. Damit blieb Old Wattsche 9 das Schicksal der anderen Gebäude auf historischem Grund und Boden erspart. Bei einem Ortstermin im Januar 1988 stufte der damalige NRW-Städtebauminister Christoph Zöpel das marode Objekt als denkmalwürdig ein - nur nicht an angestammter Stelle. Nummer 9 ging wie beschrieben auf Wanderschaft, Kritiker bemängelten damals, dass von der ursprünglichen Bausubstanz nur wenig wiederverwendet wurde.
Etliche Fachwerkhäuser wurden abgerissen
Für die restlichen Zeitzeugen des Rosenviertels war das Ende dagegen absehbar. Das Abrissurteil fiel etwa für das Musikhaus Hehnen und das Haus Grabenstraße 8, ein direkter Nachbar der geretteten Nummer 9. In der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre machten Abbruchunternehmen dem Ensemble im Rosenviertel den Garaus. Und ebneten den Weg für eine höchst kontrovers diskutierte neue Bebauung.
Stadthistoriker Franz-Werner Bröker charakterisierte die einst verwinkelte Meile in der WAZ-Serie "Wattenscheider Straßengeschichten" als einen der ursprünglichen Siedlungsschwerpunkte im Umfeld der Gertrudiskirche. Der Autor verwendete den Begriff Entstehungsstadt im Schutz der Kirchenburg.
Denkmalschutz als Fremdwort
Der Denkmalschutz führte in Wattenscheid bereits zu selbstständigen Zeiten ein Schattendasein. Im Jahr 1967 beschließt der Rat die Aufstellung eines Generalentwicklungsplans für die Innenstadt. Federführend beauftragt wird Professor Kühn, zu jener Zeit Rektor der Technischen Universität Aachen und Leiter des Instituts für Städtebau. Der Experte mahnt damals vor großer Kulisse: Sanierung heiße mehr als abreißen und neu bauen. Sie müsse der Struktur der Gesamtstadt dienen.
"Bierstall" schloss 1996
Die Struktur im Rosenviertel erlebt die letzte Zäsur dann am 13. Oktober 1996. An diesem verkaufsoffenen Sonntag zapft Töne Bomers zum letzten Mal das begehrte kühle Blonde. Die weit über die Grenzen Wattenscheids bekannte Gaststätte "Bierstall", im Dezember 1900 vom legendären Großvater Anton Bomers eröffnet, schließt für immer die Türen. Bereits im Frühjahr des folgenden Jahres folgt der Abriss der kompletten Zeile in der Hagenstraße. Das gern und augenzwinkernd als Mittelpunkt der Welt beworbene Kultlokal weicht einem monströsen, mehrgeschossigen Nachfolger direkt gegenüber vom Alten Rathaus: Der so genannte Leicher-Bau dominiert nun das Viertel.
INFO: Ehemaliger Leicher-Bau wird zum Callcenter umgebaut
Die Triple S-Gruppe setzte kürzlich mit dem Kauf der seit rund fünf Jahren leer stehenden, markanten City-Immobilie (rund 3000 Quadratmeter) gegenüber vom Alten Rathaus ein Signal zur Belebung und Aufwertung der Innenstadt. Im historischen Siedlungsschwerpunkt wird das ehemalige Hochhaus mit der dunklen Spiegelglasfassade von Architekt Edgar Leicher derzeit zum Callcenter mit rund 150 Arbeitsplätzen umgebaut; Eröffnung soll im Frühjahr 2021 sein.