Recklinghausen. . Frank Hoffmann macht aus Gerhart Hauptmanns kleinstbürgerlichem Trauerspiel eine reine Seelentragödie, die aus dem Zusammenprall von rigider Moral und sinnlicher Sehnsucht entsteht. Die großartige Jacqueline Macaulay stattet die Titelfigur mit Abgründen aus – und doch bleibt alles sehr fern.

Gerhart Hauptmanns „Rose Bernd“ ist so etwas wie ein kleinbürgerliches Trauerspiel: Jene Moral, mit der sich einst das Bürgertum zumindest mental über den verrotteten, aber immer noch herrschenden Adel erhob, war im 19. Jahrhundert längst zum Seelengefängnis geworden. Großbürger wie Dr. Flamm allerdings hatten sich längst davon freigemacht. Eheliche Treue, Anstand, Fleiß und Gottesfurcht waren eher was für verbohrte Kleinstbürger wie Hebbels „Maria Magdalena“ und den Meister Anton, der die Welt nicht mehr versteht. Oder, ein halbes Jahrhundert später schon, für Hauptmanns alten Bernd und seine Tochter Rose.

Nur bei Kleinstbürgern war der moralische Druck noch so groß, dass eine ungewollte Schwangerschaft in einen Kindsmord münden konnte; die Bourgeoisie war längst so gut gepolstert, dass sie andere Wege gefunden hatte, mit „natürlichen“ Söhnen oder Töchtern umzugehen.

Hauptmann-Drama "Rose Bernd" requisitenleer und kühl inszeniert

Deshalb reicht es heutzutage erst recht nicht mehr, Rose Bernd und die acht Personen, die in der Fassung dieses Stücks von Frank Hoffmann und Andreas Wagner übrigblieben, in zeitlos gestrigen Kleidern und Anzügen des 20. Jahrhunderts auf die Bühne zu schicken, wie dies nun die Ruhrfestspiele in Recklinghausen tun. Die tödlichen Konflikte rund um einen rigiden Moralkodex spielen sich heute ja nicht mehr in bigott-christlichen Familien ab...

Auch der Regisseur (und Festspielchef) Frank Hoffmann ahnt, dass eine naturalistische Inszenierung dieses naturalistischen Dramas nur seine Gestrigkeit offenbaren würde. Aber statt eines beherzten Regie-Zugriffs benügt er sich mit strenger Stilisierung: Die Bühne ist meist requisitenleer und kühl, ein weißer Tisch (mit Rollen) und ein weißer Stuhl stehen da nicht so sehr als Mobiliar, sondern als Stellvertreter. Die hohen Wände haben turmhohe Fenster und Türen und sie überragen die Menschen genau wie die Ansprüche, die an sie gestellt werden.

Jubel und Bravos für die Hauptdarstellerin

Damit soll die soziale Tragödie zum Psychodrama werden. Jacqueline Macaulay ist denn auch eine Mords-Rose in jeder Hinsicht, ein bisschen unbedarftes Mädchen noch und doch längst eine Frau mit sinnlichen Sehnsüchten, lebensdurstig, liebeshungrig und ein bisschen weltfremd auch, wird sie wahnsinnig am leichtfertigen Egoismus ihres Liebhabers Flamm, am notgeilen Hallodri Streckmann, am engstirnig-frömmlerischen Vater, an ihrem sterbenslangweilig-gütigen Verlobten August, an der moralin-gedopten Meute.

Allein: Wir sehen diese Seele wie einen Petrischalen-Inhalt im Labor, durchs Mikroskop vielleicht – aber sie bleibt so fremd und fern wie ein Schreckensbild aus dem Geschichtsbuch. Zwei Stunden lang, ohne Pause. Freundlicher Premierenapplaus im Großen Haus des Festspielhauses für die Darsteller und das Regie-Team, völlig berechtigter Jubel und Bravos für die Hauptdarstellerin.

Weitere Termine: 16. und 17. Mai, 20 Uhr; 18. Mai, 19 Uhr; 19. Mai, 18 Uhr