Velbert. Vom Tricksen und Täuschen im Krieg: Die Kruppsche Nachtscheinanlage war die erste von drei Aktionen in Velbert bzw. von 75 ! zum WAZ-Geburtstag.

„Wir wissen seit 50 Jahren, dass es das gibt, hatten es aber woanders vermutet“, sagt Jürgen Eilert. Er gehört zu den WAZ-Lesern und -Leserinnen, die an der Besichtigung der Kruppschen Nachtscheinanlage auf dem Rottberg teilnehmen. Die WAZ feiert in diesem Jahr ihren 75. Geburtstag mit 75 spannenden Aktionen, drei davon auf Velberter Stadtgebiet.

Die erste, die Veranstaltung auf dem Rottberg, war schnell ausgebucht: 20 Plätze standen zur Verfügung, kurz nach der Ankündigung waren schon 75 Anmeldungen eingegangen. Das Los entschied. Wer dabei Glück hatte, der erhielt spannende und bewegende Einblicke in Ereignisse während des 2. Weltkriegs in Velbert.

Bei Abwürfen auf Velberter Anlage Schäden und Brände melden

Der Leitbunker steht seit zehn Jahren unter Denkmalschutz. Er ist deutschlandweit einer der ganz wenigen Überreste einer solchen Scheinanlage. Und davon gab es damals hunderte.
Der Leitbunker steht seit zehn Jahren unter Denkmalschutz. Er ist deutschlandweit einer der ganz wenigen Überreste einer solchen Scheinanlage. Und davon gab es damals hunderte. © FUNKE Foto Services | Alexandra Roth

Bereits der Start der Führung am Freitagnachmittag am so genannten Einmann-Bunker, der sich wie ein überdimensionales Ei aus der Landschaft abhebt, lässt etwas von den Schrecken des Krieges erahnen. Er war für ein bis zwei Personen konstruiert, die bei einem Bombenangriff beobachten sollten, ob und wo Schäden und Brände entstehen. „Vor einem direkten Bombentreffer waren die Menschen darin nicht geschützt“, erläutert Wolfgang Erley, einer von neun Ehrenamtlern der Arbeitsgruppe „Kruppsche Nachtscheinanlage“ im LVR-Amt für Bodendenkmalpflege im Rheinland. Fünf Tonnen wiegt das „Ei“ und noch einmal fünf Tonnen das Fundament, das die Konstruktion bei Druckwellen vor dem Umstürzen schützen sollte. Denn wäre der Bunker auf seine Türseite gekippt, es hätte kein Entkommen gegeben.

Über Jahrzehnte vergessen – und dann wiederentdeckt

Weiter geht’s über ein Feld zu dem Leitbunker der Anlage. „Was am Rottberg passierte, ist Jahrzehnte in Vergessenheit geraten“, erläutert der ehrenamtliche Bodendenkmalpfleger Jürgen Lohbeck. „Es gab Legenden über Männer, die nachts Feuer auf Feldern anzündeten.“ Seit zehn Jahren kümmert sich die Arbeitsgruppe um das, was von damals übriggeblieben ist.

Sogar das Wasser vom Baldeneysee abgelassen

Im Innern des Bunkers ist manches noch vorgefunden worden, vieles haben die LVR-Mitstreiter aber liebevoll mit Originalteilen wieder rekonstruiert. Zum Tag des Denkmals im September ist die Nachtscheinanlage wieder mit von der Partie.
Im Innern des Bunkers ist manches noch vorgefunden worden, vieles haben die LVR-Mitstreiter aber liebevoll mit Originalteilen wieder rekonstruiert. Zum Tag des Denkmals im September ist die Nachtscheinanlage wieder mit von der Partie. © FUNKE Foto Services | Alexandra Roth

Die Kruppschen Werke lagen zwölf Kilometer Luftlinie entfernt. „Das sind im Flugzeug 100 Sekunden gewesen“, erläutert Lohbeck. „Und die Flugzeuge standen unter Beschuss.“ Errichtet wurde die Nachtscheinanlage 1941, betrieben bis 1943. Um den aus England kommenden Bomberpiloten die Orientierung zu erschweren, wurde sogar der Baldeneysee abgelassen.

Attrappen von Scheddächern aufgestellt und illuminiert

Mehr als 500 solcher Scheddach-Attrappen – das hier ist ein Nachbau – waren damals auf dem Rottberg platziert und wurden nachts beleuchtet.
Mehr als 500 solcher Scheddach-Attrappen – das hier ist ein Nachbau – waren damals auf dem Rottberg platziert und wurden nachts beleuchtet. © FUNKE Foto Services | Alexandra Roth

Um den Eindruck einer großflächigen Fabrikanlage zu erwecken, wurden über 500 Dachattrappen aufgestellt. „Jedes dieser Elemente war mit einer Lampe indirekt angestrahlt“, so Lohbeck. Und es gab einen 36 Meter hohen Scheinkamin. Eine Scheineisenbahn umfuhr den Rottberg. „Wenn im Dunkeln ein Angriff kam, wurde sie in Gang gesetzt.“ Lohbeck weiter: „Auf den Feldern hat man große Erfolgsfeuer gemacht.“ Das sollte den Piloten Bomben-Treffer vortäuschen.

Zugehörige Flakstellung war am Pollen

„Hier war sehr viel Luftabwehr versammelt“, berichtet Lohbeck. Denn die Anlage sollte als wichtiges Ziel erscheinen, das nach Kräften verteidigt wurde. Zwischen 1941 und 1943 wurden die Menschen auf dem Rottberg in jeder Nacht evakuiert und in Gasthöfen oder privat untergebracht. Betrieben wurde die Anlage von einer Sondereinheit der Luftwaffe. Nach 1945 wurde alles abgebaut – bis auf den massiven Leitbunker, aus dem heraus die Anlage gesteuert wurde. Lohbeck weiter: „Das ist wie der schwarze Punkt einer Zielscheibe.“

Extra dicke Decke

Der Einmann-Bunker war mit einer tonnenschweren „Krempe“ versehen: Sie sollte sein Umstürzen verhindern.
Der Einmann-Bunker war mit einer tonnenschweren „Krempe“ versehen: Sie sollte sein Umstürzen verhindern. © FUNKE Foto Services | Alexandra Roth

Um die sechs bis acht dort tätigen Soldaten zu schützen, war der Bunker mit einer eineinhalb Meter dicken Betondecke versehen. Bodendenkmalpfleger Hansgeorg Hartung schildert Details: „Die Decke hätte auch einen direkten Bombentreffer überstanden.“ Die Sehschlitze waren so konstruiert, dass sie Splitter „reflektierten“.

Haben die Schutzmaßnahmen gewirkt? „Wir glauben nicht, dass es durch die Bomben Opfer gegeben hat, wissen es aber nicht ganz genau“, so Lohbeck. Und steckten womöglich heute noch Blindgänger im Boden, fragt ein Teilnehmer. Lohbeck: „Unseres Wissens ist alles frei.“

Großes Interesse und wissbegierige Zuhörer in der Gruppe

In der Gruppe treffen die Berichte der engagierten Ehrenamtler auf großes Interesse. „Ich habe mich immer schon dafür interessiert, denn ich bin nicht weit entfernt großgeworden“, erzählt Inge Koch. Und Ursula Reinsch findet: „Das ist ein geheimnisvoller Ort.“ Schon ihre Eltern hätten in Velbert gelebt, ihr Vater habe von Bombenangriffen berichtet. Michael Herbers ist ebenfalls zum ersten Mal hier. „Mich interessiert die Geschichte der Nachtscheinanlage, und wie erfolgreich das war.“

>>> Es kommen noch viele tolle Gelegenheiten

Besichtigt werden kann die Nachtscheinanlage auf dem Rottberg wieder am 10. September beim Tag des offenen Denkmals sowie bei der Neanderland Museumsnacht am 29. September.

Eine Übersicht über sämtliche Aktionen und exklusiven Veranstaltungen zum 75. WAZ-Geburtstag mit jeweiligem Status ist hier online verfügbar: „75 Jahre WAZ: Wir feiern bei 75 Aktionen vor Ort mit Ihnen“.