Velbert. Das Herrenhaus des Schlosses in Velbert-Neviges ist seit 20 Jahren nicht zugänglich. So sieht es derzeit im Inneren aus – und das sind die Pläne.
Der Schlüssel dreht ja noch recht willig mit, aber die widerspenstige Tür des doppelflügeligen Haupteingangs gibt erst beim dritten, noch kräftigeren Druck von Frank Lohse nach und geht auf. Hier sind allerdings in den letzten Jahren auch sehr wenige Menschen hindurchgegangen. Mittlerweile beinahe eine ganze Generation hatte noch nie Gelegenheit, Schloss Hardenberg in Neviges von innen zu sehen. Es wurde vor nunmehr 20 Jahren aus Sicherheitsgründen geräumt; jetzt lässt es die Stadt Velbert für eine neue Zukunft herrichten.
Und Lohse, geschäftsführender Partner des Büros „Lindner Lohse Architekten BDA“ (Dortmund), hat mit seinen Fachfrauen und -männern den Auftrag für Sanierung und Umbau. Das schließt energetische Maßnahmen ein. Sowohl des Herrenhauses als auch des Mühlengebäudes, das künftig gastronomischen Zwecken dienen soll.
Projektleiterin ist in das Schloss der Stadt Velbert geradezu verliebt
Ob sich der Architekt noch erinnert, was er beim ersten Anblick des Ensembles empfunden hat? „Na klar. Spannendes Objekt“, kommt prompt die Antwort. Die Projektleiterin Corinna Cardaun aus dem aktuell 50-
köpfigen „Lindner Lohse“-Team habe sich geradezu darin verliebt, und die Bauleiterin Judith Klaas schätze „ja eh alte Gemäuer“, erzählt der 61-Jährige beim Ortstermin mit der WAZ.
Mit professioneller Phantasie ans Werk in Neviges
In dem Ende des 17. Jahrhunderts zu seiner jetzigen Form umgebauten Herrenhaus – es hat vier Bauphasen erlebt – wimmelt es geradezu von Stützen und Konstruktionen aus Metall, überwiegend aber Holz mit richtig dicken Balken, zur Absicherung. Zwischen Boden und Decke, in Durchgängen, unter Fensterwölbungen. Vor allem im Untergeschoss und im alten ersten Bauabschnitt, dem gotischen Westflügel. Insgesamt 2450 qm brutto umfasst das Gebäude; die Netto-Raum-Nutzfläche beträgt 1450 qm. „Na, haben Sie Phantasie sich hier etwas vorzustellen? Wir müssen das“, sagt Frank Lohse. Unten, gleich im ersten Raum links, fragt er das. Dieser dient künftig als Foyer und Eingangsbereich.
Blick aufs mächtige Gewölbe der Kellerdecke
Interessant ist, wie offen sich das Schloss, das vor ganz vielen Jahren mehrfach Schauplatz großartiger Ausstellungen von Künstlern wie z. B. Louise Bourgeois, Juan Munoz, Inge Morath oder auch Bauhaus-Protagonisten gewesen ist, innen überall zeigt. Es offenbart Spuren alter Zustände, Spuren von Veränderungen, ehemaliger Kaminstränge. Hier ist der Putz komplett weg, geht der Blick direkt aufs Mauerwerk aus Ziegeln und Bruchstein. Einige Meter weiter Fachwerk mit Lehm und Stroh. Im Rittersaal ist der Fußboden raus, liegen
die mächtigen, gemauerten Gewölbe der Kellerdecke frei. Bei den Innenoberflächen wird gefragt: „Welche Spuren sollen sichtbar bleiben?“ Und: „Wie bilden wir das ab?“ Konkrete Überlegungen existieren schon zu jeder Wand.
Einige der Eichenbalken gehören ausgetauscht
Die tragenden Eichenbalken, von denen einige ausgetauscht werden müssen, werden sichtbar bleiben. Die Tragfähigkeit – Stichwort Gewölbe und Holzbalkendecken – sei untersucht: „Sie muss an manchen Stellen nachgebessert werden“, berichtet der Fachmann. „Wir haben Expertise für denkmalgeschützte Objekte“, führt Lohse beim weiteren Rundgang aus, „damit beschäftigen wir uns schon sehr lange.“ Er nennt u. a. Rohrmeisterei Schwerte, Herrenhaus Opherdicke, Hilpert-Theater Lünen, Haus Kump in Münster, Gasometer Oberhausen und – ganz frisch – der Förderturm des Deutschen Bergbaumuseums in Bochum.
Befund: Herrenhaus in Neviges ist insgesamt gut erhalten
Das Dach sei „gut in Schuss“, das Gebäude „insgesamt gut erhalten: Wir hatten hier ja kein eindringendes Wasser“. Der Hauptzugang werde weiter wie gewohnt über eine (neue) Brücke erfolgen, das Treppenhaus ebenfalls weiter genutzt. „Das wird alles abgedeckt und geschützt während der Bauphase“, erklärt der Architekt beim Hinaufgehen. „Das Geländer ist zu niedrig, da brauchen wir noch eine Lösung.“
Umstrittener Anbau für Treppe nebst Aufzug ist ein Muss
Der neu zu errichtende, vor Ort nicht unumstrittene, Treppenturm dient zwei Zwecken: Er schafft Barrierefreiheit und fungiert im Fall des Falles als erster baulicher Rettungsweg. Er ist also ein Muss. Der Grund für seine Platzierung an der Nordseite? „Weil das die einzig mögliche Stelle ist, die einzelnen Ebenen der vier unterschiedlichen Bauabschnitte zu erschließen.“
Freischachten in der Gräfte
Die Dortmunder bereiten auch die Ausschreibungen vor. Aktuell geht’s um eine Vorab-Maßnahme namens Sockelabdichtung. Dafür werden in der Gräfte die Fundamente freigeschachtet. „Das soll im Sommer beginnen. Erst nach dem Abschluss dieser Arbeiten kann ich ein Gerüst stellen.“
In seiner Art ziemlich einzigartig
2026 – so der derzeitige Fahrplan – sollen beide Gebäude wieder öffentlich zugänglich sein. Dann präsentiert sich das gesamte Areal als „Erlebniszentrum Natur“, empfängt im Herrenhaus die Ausstellung „Wehrhafte Natur“ ihre Besucher. Dem Konzept und der inhaltlichen sowie semantischen Verbindung zur wehrhaften Architektur kann Frank Lohse richtig viel abgewinnen. So wie auch dem großen geschichtsträchtigen Gebäude selbst: „Das ist eine Rarität.“ Eine Wasserburg in dieser Region und dazu noch eine Burg – statt wie üblich auf einem Berg – in Tallage, „das ist ziemlich einzigartig“.
Versiert im Bereich der Denkmalpflege
Die Dortmunder haben den Auftrag für Herrenhaus und Mühlengebäude in Velbert im Zuge eines EU-weiten Vergabeverfahrens bekommen, bei dem sie sich behauptet haben. Sie arbeiten überwiegend für institutionelle und öffentliche Auftraggeber und bezeichnen ihre Architektur als „sachlich, modern und geerdet“.
Die Schwerpunkte von „Lindner Lohse Architekten BDA“ liegen in den Bereichen Bildung, Büro- und Verwaltungsbauten sowie Kultur- und Veranstaltungsgebäude. Darüber hinaus sieht das Büro Planungsaufgaben im Bereich der Denkmalpflege als seine Kernkompetenz an.