Velbert. Nach dem Ersten Weltkrieg besetzten Franzosen und Belgier 1923 Rheinland und Ruhrgebiet. Auch die Velberter hatten mit den Folgen zu kämpfen.
Es ist heute kaum noch vorstellbar: Für die Fahrt nach Elberfeld brauchte der Velberter einen Reisepass, denn der heutige Wuppertaler Stadtteil war Ausland. Und wenn die heimische Schloss- und Beschlägeindustrie ihre Waren ins restliche Deutschland verkaufen wollte, wurden hohe Zölle fällig. Das galt umgekehrt auch für die Einfuhr von Rohstoffen. Das alles ist gerade einmal 100 Jahre her. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs besetzen Franzosen und Belgier Anfang 1923 Rheinland und Ruhrgebiet und damit auch Neviges und Langenberg, Velbert wurde Durchgangsstation für die Truppen, musste Soldaten und Pferden Quartier bieten.
Der Krieg ging weiter mit anderen Mitteln
Die Kampfhandlungen des Ersten Weltkrieges endeten am 11. November 1918, doch danach ging der Krieg mit anderen Mitteln weiter. Die Alliierten und vor allem die Franzosen verlangten von den besiegten Deutschen hohe Reparationszahlungen für die angerichteten Schäden, 269 Milliarden Goldmark sollte Deutschland in 42 Jahresraten zahlen. Wegen einer „eigenen Notlage“ setzte Deutschland im Winter 1922/23 die Reparationen im Rahmen von Holz- und Kohlelieferungen aus. Franzosen und Belgier schickten Truppen und besetzen Rheinland und Ruhrgebiet. In Deutschland erreicht die Inflation daraufhin unerreichte Höhen.
Velberter Historiker widmete der Besetzung ein Buch
Der Velberter Historiker Henri Schmidt hat in seinem Buch „Velbert in französischer Hand“ die Ereignisse von vor hundert Jahren gründlich erforscht. Danach kamen am 14. Januar 1923 Dragoner aus Metz in Velbert an: 34 Offiziere, 500 Soldaten und 600 Pferde mussten untergebracht werden. Zeitweise bis zu 3000 französische Soldaten hielten sich in Velbert auf. Sie wurden in Turnhallen und angemieteten Sälen von Gaststätten untergebracht. Die Offiziere wohnten in den Villen des gehobenen Velberter Bürgertums.
Velberter zeigten ausgeprägten Rassismus
Die Franzosen verboten den Velbertern Waffen zu tragen und Hymnen zu singen. Die Sperrstunde wurde auf 24 Uhr festgelegt. Unter den Franzosen waren auch Soldaten aus den Überseegebieten Guadeloupe und Martinique. Unter den Velbertern zeigte sich ein ausgeprägter Rassismus, sie protestierten gegen „die farbige Besatzung“ und die „schwarze Schande“, die auch noch als Wachen vor dem Rathaus postiert wurden.
Polizisten mussten emigrieren
Die bewaffneten Polizisten waren der Besatzungsmacht nicht geheuer, sie wurden mit ihren Familien ins Ausland nach Elberfeld überwiesen. Ersatzpolizisten wurden eingestellt. Die Reichsregierung in Berlin hatte zum passiven Widerstand aufgerufen, vielfach weigerten sich Eisenbahner zu fahren. Weil die Franzosen die Transportkapazitäten brauchten, wurde der Lkw-Verkehr von und nach Velbert eingeschränkt. Wegen der hohen Zollschranken für ihre heimischen Waren und auf die notwendigen Rohstoffe kam die Industrie in der Schlossstadt fast völlig zum Erliegen. So waren im Oktober 1923 mehr als 14.000 Velberter ohne Job. Fast die gesamte Velberter Bevölkerung war auf staatliche Unterstützung angewiesen.
Fachkräfte wandern nach Brasilien aus
Wie die Velberter Zeitung damals berichtete, wurde in der Stadt von Russland gespendetes Brot an die Bedürftigen verteilt, es wurden Notküchen eingerichtet. Die Inflation stieg immer weiter, die Not auch. Geschäftsleute verteilten Nahrung an die Notleidenden, um Plünderungen zuvorzukommen. Einige Ladenbesitzer mussten bereits unliebsame Bekanntschaft mit Plünderern machen. Aus Mangel an Brennholz rodeten Frierende den Langenhorster Wald. Einige Velberter Facharbeiter folgten dem Lockruf und wanderten nach Südamerika aus. Brasilien beispielsweise hatte gezielt Fachkräfte angeworben.
Velberter Wirtschaft bekam Konkurrenz
Nach dem Ende des passiven Widerstandes, der Einführung der neuen Währung sowie Verhandlungen fielen im September 1924 die Zollschranken. Mit der Wirtschaft ging es langsam wieder bergauf, die Zahl der Arbeitslosen sank wieder drastisch. Im August 1925 endete die Besetzung dann, das Leben normalisierte sich. Die nach Wuppertal ausgewiesenen Polizeibeamten und ihre Familien kehrten in die Schlossstadt zurück. Die Velberter Kleineisenindustrie hatte allerdings viel Konkurrenz bekommen, denn während der Zeit der hohen Zölle sind Unternehmen in anderen Teilen Deutschland in die Produktlücke gesprungen.
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