Velbert. Die Zahl der Kirchenaustritte im Amtsgerichtsbezirk Velbert hat 2021 einen Höchststand erreicht. Was die Gründe dafür sind.
Die Recherche über Kirchenaustritte in Velbert ist nicht so einfach – jedenfalls dann, wenn man konkrete Zahlen für das Jahr 2021 zugrundelegen und diese idealerweise auch noch mit dem Vorjahr vergleichen möchte.
Die Anfrage beim Erzbistum Köln – recht ernüchternd: „Die Zahlen für das Jahr 2021 liegen noch nicht vor“, teilt Dagmara Kowalkowski vom Newsdesk des Generalvikariats in Köln mit. Mit diesen sei auch erst im Sommer dieses Jahres zu rechnen. Ein genauer Termin stehe noch nicht fest. Lediglich die Zahlen für 2020 kann sie liefern: In jenem Jahr wurden in den beiden Velberter Pfarreien laut Erzbistum 146 Kirchenaustritte und fünf Kircheneintritte verzeichnet. Erzbistums-weit war die Zahl der Austritte von fast 24.300 im Jahr 2019 auf etwa 17.300 gesunken.
735 Kirchenaustritte im Bezirk des Amtsgerichts Velbert
https://www.waz.de/politik/missbrauchsskandal-hohe-nachfrage-nach-kirchenaustritten-id234422145.htmlZuständig für die Kirchenaustritte in Niederberg ist das Amtsgericht Velbert. Das Problem hier: Es erfolgt keine Differenzierung nach Konfession und die Zahlen sind für den Gerichtsbezirk. Und dieser schließt Heiligenhaus mit ein. Dennoch sind die Zahlen alarmierend. Gab es 2020 noch 434 Austritte, waren es im vergangenen Jahr 735, so Amtsgerichtsdirektor Dr. Stephan Katerlöh auf WAZ-Anfrage. Und dass dieser Trend offenbar anhält, zeigt der Versuch, einen Termin beim Amtsgericht zu buchen: Für die kommenden Wochen stehen keine buchbaren Termine zur Verfügung. Die nächsten Termine werden am 1. April freigeschaltet. Derzeit biete das Amtsgericht rund 80 Termine pro Monat an, so Katerlöh.
Klarer werden die Zahlen in einem Gespräch mit dem Tönisheider Pfarrer Wolfhard Günther, der im Kirchenkreis Niederberg derzeit Superintendent Jürgen Buchholz vertritt. Er kennt die Zahlen für die evangelische Seite: 227 Austritte gab es in Velbert, 89 in Heiligenhaus. Zusammen also 316. Eine Zahl, die bei Günther ein Magengrummeln verursacht. „Natürlich stellt man sich als Pfarrer dann die Frage, was man hätte anders machen können“, sagt er. Bei Personen, die er persönlich kennt, ruft er auch schon mal an – nicht um die Austritts-Entscheidung zu kritisieren, sondern um die Gründe zu erfahren.
„Das Geld ist oft ein Thema“, sagt er – gerade in Zeiten, in denen das Leben an vielen anderen Stellen teurer wird. Darauf reduzieren könne man es aber nicht: Günther hört auch Geschichten, in denen Kirche und Glaube im Leben von Menschen einfach keine Rolle (mehr) spielt – oder Situationen, in denen sich Menschen über Kirche geärgert haben. Oft sind es Dinge auf überregionaler Ebene – „das ist dann etwas ernüchternd, wenn man vor Ort viel macht“, so Günther – auch und gerade in der Corona-Pandemie, „und die Austrittszahlen dann trotzdem so hoch sind“.
1000 Gemeindeglieder weniger pro Jahr im Kirchenkreis Niederberg
Dass die Kirche auch vor Ort Fehler mache, verhehlt der Pfarrer nicht – „solcher Kritik müssen wir uns stellen“. Als er 1999 nach Niederberg kam, gab es in der Tönisheider Gemeinde noch 2600 Gemeindeglieder – jetzt sind es nur noch 1750. Auf den Kirchenkreis Niederberg hochgerechnet verliere man derzeit 1000 Gemeindeglieder pro Jahr. Das führe notgedrungen auch zur Reduzierung von Angeboten – die Aufgaben werden auf weniger Schultern verteilt. Perspektivisch werde sich die Zahl der Pfarrer im Kirchenkreis fast halbieren, so Günther. Die folgende Pfarrer-Generation werde die des Rückbaus sein, sagt der Synodal-Assessor. Mittelfristig werde man auf dem Niveau ankommen, wie es kurz nach dem Zweiten Weltkrieg war. Man müsse aufpassen, nicht in einen Sog zu geraten – dass Gemeindeglieder, die weniger Angebote erhalten, noch eher den Weg Richtung Austritt wählen.
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Auch das Erzbistum Köln verfolgt die Entwicklung „mit großer Sorge“, so Dagmara Kowalkowski. „Jeder einzelne Austritt tut weh, da er immer auch ein Zeichen der inneren Distanzierung ist und uns schmerzlich vor Augen führt, dass unsere Botschaft von Gott viele Menschen nicht mehr erreicht. Zugleich haben aber gerade während der Corona-Krise und auch nach der Flutkatastrophe viele Menschen ganz praktisch erfahren, was die Kirche zu leisten im Stande ist, was unserem Leben einen tieferen Sinn gibt.“
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Der Velberter Pfarrer Ulrich Herz hat kein Patentrezept
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Ulrich Herz, Pfarrer in St. Michael und Paulus, sieht sehr diffuse Gründe für Kirchenaustritte, die sich im Vergleich zu 2020 etwa verdoppelt hätten. Etwa 70 Prozent der Menschen, die austreten, seien Menschen, die keinen engeren Kontakt zum Gemeindeleben vor Ort gehabt hätten – bei einigen sei die Kirchensteuer der Hauptgrund, andere würden mit ihrem Austritt auf die aus ihrer Sicht nicht ausreichende Aufarbeitung von Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche reagieren. „Das heißt aber nicht, dass wir vor Ort alles richtig machen“, so der Pfarrer, der kein Patentrezept gegen die steigende Zahl der Austritte hat, aber zumindest einige Gedanken: Kirche dürfe sich nicht als Religions-GmbH verstehen, sondern müsse wieder mehr auf die Inhalte schauen. Und zu oft seien Dinge, die in bestimmten Zeiten goldwert waren, dann nicht ausreichend hinterfragt worden, wenn der Zenit überschritten war. So seien manche Event-Veranstaltungen nicht nachhaltig gewesen, so Pfarrer Herz.
Pfarrei wird sich von Räumlichkeiten in Velbert trennen müssen
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Einen Sparkurs hat das Erzbistum den Pfarreien schon vor Jahren verordnet. Die Auswirkungen würden oft erst Jahre später sichtbar – wie jetzt durch den Bau des neuen Pfarrzentrums in der Innenstadt (St. Marien), dessen Fläche bereits auf die reduzierten Mittel ausgelegt sei – im Gegenzug werde man sich dann in St. Joseph von Flächen trennen müssen, so Herz. Das falle dann nicht leicht – aber am Ende geht es dann nicht anders, so der Pfarrer, den die steigende Zahl der Austritte traurig und nachdenklich macht.
>>> Kirchaustritte
Der Austritt aus der Kirche muss persönlich beim Amtsgericht des Wohnortes oder vor einem Notar erklärt werden. Mitzubringen ist der Personalausweis (oder Reisepass mit aktueller Meldebestätigung).
Außerdem sollte möglichst der Taufort angegeben werden. Die Gebühr für den Kirchenaustritt beträgt 30 Euro. Aus sozialen Gründen kann die Gebühr ermäßigt oder erlassen werden.