Neviges. Der 100-jährige Stararchitekt Gottfried Böhm inspizierte das Dach „seines“ Doms in Neviges. Der Ausflug in luftige Höhe hat alle beeindruckt.
Sein Dom in Neviges liegt dem weltweit renommierten Stararchitekten Gottfried Böhm besonders am Herzen. Daher lässt er es sich auch nicht nehmen, ab und zu persönlich auf der Baustelle nach dem Rechten zu schauen: Mit 100 Jahren fuhr jetzt der Erbauer einer der bedeutendsten Kirchenbauten des 20. Jahrhunderts hoch aufs Dach, um gemeinsam mit Sohn Peter die höchst aufwendige und komplizierte Sanierung des undichten Dachs zu inspizieren. Zwar begleitet in erster Linie dieser ebenfalls renommierter Architekt aus Köln die Arbeiten, aber ab und zu schaut auch spontan der Senior selbst vorbei. Sein Fazit am Telefon: „Das ist alles sehr gut geworden, die Männer haben tolle Arbeit gemacht.“ Die höchst aufwändige Sanierung der C-Pyramide läuft auf Hochtouren, dieser Abschnitt wird voraussichtlich im Dezember beendet sein.
Drei Treppen statt Aufzug
„Das ist Wahnsinn, er war ganz oben auf den Gerüst.“, erzählt Polier Frank Wiemhoff von der Firma Torkret beeindruckt. „Der Senior war zufrieden, und uns allen hat das Spaß gemacht.“ Die körperliche und geistige Fitness des Hundertjährigen findet auch Erzdiözesanbaumeister Martin Struck „beachtlich“. Seit Beginn der ersten Planungen steht er in engem Austausch mit den Böhms. Dass der Bauaufzug nicht bis ganz oben fährt, konnte Gottfried Böhm nicht von seinem Vorhaben abhalten. „Ja, die letzten drei Treppen muss man zu Fuß gehen“, so Martin Struck, der sich nicht genug über die Energie des Ausnahme-Architekten wundern kann. Der Aufstieg hat sich gelohnt: Gottfried Böhm war hochzufrieden.
Auch die Abbés waren beeindruckt
Und auch „die Neuen“ haben ihm gefallen, wie Andrea Rehrmann, Verwaltungsleiterin der katholischen Kirchengemeinde Maria, Königin des Friedens, erzählt. Zwischen den drei Priestern des Klosters und den zwei Architekten habe sich schnell eine muntere Unterhaltung ergeben. „Herr Professor Böhm war ganz glücklich, dass wieder eine neue Glaubensgemeinschaft eingezogen ist, die Herren hatten sich viel zu erzählen.“ Abbé Thomas war noch lange beeindruckt, wie „spritzig und humorvoll“, so der Abbé, der hochbetagte Domerbauer sei. Grund zur Freude hatten die Böhms hoch oben auf dem Dach auch aus einem ganz persönlichen Grund.
Sechs Jahre Forschung
Denn bei der Konstruktion der C-Pyramide, so erläutert Martin Struck, habe sich Dom-Architekt Gottfried Böhm von einer Familientradition leiten lassen: So gehe die C-Pyramide mit den herumgruppierten, pultbedachten Apsiden auf einen Entwurf seines Vaters Dominikus Böhm zurück, der diese besondere Konzeption bereits 1927 für die Frauen-Friedenskirche in Frankfurt vorgeschlagen hatte. Beim Mariendom liegt die C-Pyramide über dem Gemeindebereich, also dort, wo die Gottesdienstbesucher sitzen. Auf 800 Quadratmetern wird der carbonfaserverstärkte Spritzmörtel auch hier in fünf genau aufeinander folgenden Arbeitsschritten aufgetragen: Jenes Material, das Experten des Instituts für Bauforschung der Technischen Hochschule Aachen nach sechs Jahren mit vielen Versuchen für geeignet hielten.
Das ausgeklügelte Grundprinzip der dauerhaften Dach-Abdichtung: Die Risse im Beton werden verkleinert auf viele kleinste Haarfugen, die nicht mehr wasserführend sind. Bereits die Forschungsarbeit in Aachen geschah in enger Zusammenarbeit mit Gottfried Böhm, seinem Sohn Peter und Diplom-Ingenieur Martin Struck. Der übrigens vor 36 Jahren bei Gottfried Böhm in Aachen einen Teil seines Studiums absolviert hat.
Mindestens 40 verschiedene Winkel
Sanierung startete 2016
Die Gesamtkosten belaufen sich auf 6,85 Millionen Euro. Das Erzbistum Köln trägt mit nahezu fünf Millionen Euro den Löwenantei l. Zuschuss gibt es von der Wüstenrot-Stiftung, der Deutschen Stiftung Denkmalschutz und vom Bund. Auch haben einzelne Bürger gespendet.
Die Sanierung begann 2016 mit einem Probelauf über dem Rosenfenster. Bei den Arbeiten wurde als erstes die Kunststoffabdichtung, die 1986 nachträglich aufgetragen worden war, wieder entfernt.
Keine Fläche im Dom sei wirklich gleich, so Martin Struck, es gebe mindestens 40 verschiedene Winkel. Die Sanierung der C-Pyramide ist aus diversen Gründen besonders kompliziert: Denn das Zeltartige, diese besondere Geometrie – also das, was Architekturfans aus aller Welt an dem Mariendom so fasziniert – ist hier besonders ausgeprägt. „Mit dem Dach aus einem Guss wollte ich eine Einheit schaffen, eine Einheit aus Wand und Dach. Das habe ich in Neviges am stärksten von all meinen Objekten gemacht“, sagte der Träger des Pritzker-Preises, des weltweit wichtigsten Architektur-Preises, 2018 anlässlich des 50-jährigen Domjubiläums. Zu den Feierlichkeiten reiste er damals nicht an, wünschte aber allen viel Vergnügen: „Der Peter kommt, feiert schön“, so sagte er damals im Gespräch mit der WAZ.
Im Sommer 2021, so ist der Plan, soll das gesamte Domdach fertig sein. Die neue Farbe hatte Gottfried Böhm vor zwei Jahren selbst ausgesucht – natürlich nicht im heimischen Köln, sondern an Ort und Stelle hoch über den Dächern von Neviges.