Oberhausen. Herr Al-Rajab, um die Vierzig, ist viel herumgekommen in der Welt, als syrischer Maschinenbauingenieur. Dann geriet er mit seiner Familie zwischen die Fronten des Bürgerkriegs in seinem Heimatland. Im Containerdorf an der Weierstraße haust er mit sechs anderen Männern zusammen und erzählt seine Odyssee nach Oberhausen.

Welche Geschichte erzählt man zuerst? Die Geschichte der 16 Männer, wie sie da stehen, mit Kleidungsstücken in Plastiksäcken vor der Tür des Hausmeisterbüros, Zettel zeigen, sich drängen um die beiden Journalistinnen?

Aus Hemer wurden sie nach Oberhausen verwiesen, 16 Flüchtlinge aus dem Kriegs- und Krisenland Syrien, um an der Weierstraße unterzukommen. Ausgerechnet in dem Männerheim, das seit Tagen wegen der massiven Überbelegung der Schlafräume in der Kritik steht, sollen sie schlafen. Zu zehnt auf 20 Quadratmetern? Die Männer schütteln mit dem Kopf, einer habe Asthma. Die anderen Bewohner wehren ab, „too full“, zu voll, sagen sie, bis sich Sprachen mischen.

Stress im Hausmeisterbüro

Im Hausmeisterbüro mit dem Au­to des Ordnungsamtes davor versteinern sich die Mienen. „Die Männer sind hier hergewiesen worden, wir bieten ihnen doch ein Bett an“, heißt es. Andere Heime seien voll. Der Asthmatiker könne auch ins Krankenhaus gehen, zu Fuß oder mit dem Bus, in einem fremden Land.

Dann fällt ein Satz, der nicht so gemeint sein kann, der vielleicht der Überlastung, dem Drängen der Presse, der Hilflosigkeit einer Stadt geschuldet ist, die ein Dach finden muss für Hunderte, die ihre Heimat verlassen mussten: „Das sind doch freie Menschen. Die können auch einfach gehen.“

Enorme Kosten

Bisher 751 Flüchtlinge hat das Land NRW der Stadt Oberhausen in diesem Jahr zugewiesen, das sind rund 250 Menschen mehr als vor einem Jahr. Ablehnen darf das Rathaus niemanden. Das Sozialamt muss also Platz finden, wo längst keiner mehr ist. 551 Schlafplätze stehen in den überfüllten städtischen Heimen, 200 Betten in privaten Wohnungen.

Mit einem Großteil der Kosten für Kleidung, Lebensmittel, Unterkunft werden die Kommunen alleingelassen. 5,5 Millionen Euro gibt Oberhausen in diesem Jahr aus, um Flüchtlinge aufzunehmen, 1,6 Millionen mehr als 2013. Zuschuss vom Land: 1,25 Millionen Euro.

Eine politisch interessierte Familie

In dem Containerraum von Herrn Al Rajab ist es leise. Es riecht nach Essen, weil einer der sechs Männer, mit denen er sich das Zimmer samt Nasszelle teilt, gerade gekocht hat. Mit einem Papiertaschentuch wischt Herr Al Rajab über den Holztisch, der vor seinem sauber bezogenen Metallbett steht. Erst dann stellt er die beiden Kaffeetassen hin. Eine große weiße Tasse für den Gast, die kleinere ohne Henkel nimmt er selbst.

Syrien, sagt Herr Al Rajab, sei einmal ein schönes Land gewesen. Zumindest habe das für die gegolten, die nicht politisch interessiert waren. Die Eltern von Herrn Al Rajab waren politisch, schon immer.

Die Universität besucht

Herr Al Rajab und seine sechs Geschwister konnten die Universität besuchen, er ist studierter Maschinenbauingenieur, spricht Englisch, Mandarin, Arabisch, sogar Deutsch. Weltweit habe er gearbeitet, zuletzt in China. Dann wollte er etwas anderes machen, ein kleines Restaurant eröffnen, mit westlichem Essen im fernen Osten.

Dann kam der Tag im August 2012. Über ein Jahr dauerten die Kämpfe zwischen den Truppen des Regimes von Präsident Baschar al-Assad und den Oppositionsgruppen da schon an. Raketen trafen das Haus, in dem Herrn Al Rajabs Familie lebte. Ein Bruder, Neffen, Nichten seien gestorben. „Ich wollte zurück, aber ich kam nicht weit.“ An der syrischen Grenze sei er aufgehalten worden, eineinhalb Jahre habe er im Gefängnis gesessen. Man wolle nicht wissen, was dort geschehen sei, hinter diesen Mauern. Viele, viele Sätze später krempelt er das rechte Hosenbein hoch, zeigt die Narben aus dem Gefängnis. Und man weiß alles.

Vom Bruder nur noch ein Foto

Herr Al Rajab sagt: „Das Schlimmste, was sie mir nehmen konnten, war meine Erinnerung.“ Fotos und Dokumente seien ihm genommen, sein Studium aberkannt worden. Nur einen blaustichiges Foto als Kopie kann er vorlegen, farblose Bilder eines zerbombten Hauses, die jemand aus dem Fernsehen abfotografiert habe: „Da lebte mein Bruder.“

Andere Verwandte hätten ihn mit viel Geld aus dem Gefängnis freigekauft, doch frei sollte Herr Al Rajab nicht sein. Er sei zum Dienst an der Waffe ausgebildet worden, um die Oppositionellen zu bekämpfen. „Ich nahm die erste Chance wahr, um zu fliehen“. Nach wochenlanger Planung im Juni über die türkische Grenze, mit dem Boot nach Griechenland, weiter in die Schweiz und immer mit illegalen Papieren. „Was sollen wir machen? Wir haben keine andere Chance, als auf illegalem Weg zu fliehen.“ Über Konstanz kam er nach München. Bayern habe ihn nach NRW verwiesen. Aus Essen sei er dann nach Oberhausen gekommen.

So schnell wie möglich zurück

Und wie die 16 Syrer, die an diesem Freitagnachmittag am Hausmeisterbüro vor Mitarbeitern des Ordnungsdienstes stehen statt vor sozialen Betreuern, sei auch er zunächst abgewiesen worden. „Zwei Tage ging das hin und her, dann bekam ich diesen Platz.“ Dafür sei er dankbar, auch dafür, dass Europa Flüchtlinge aufnehme, ihnen Kleidung, Essen, ein Bett gebe. Doch Herr Al Rajab will eigentlich keine Hilfe. „Wir Syrer lieben unser Land, wir wollen in unserem Land leben. Wir können es im Moment nur nicht.“ Und er hoffe, dass Europa helfe, den tobenden Bürgerkrieg, den neuen IS-Terror zu beenden.

Auf dem Tisch neben den Kaffeetassen zeigt Herr Al Rajab das Kursbuch der Volkshochschule. Drei Monate wird er einen Deutschkurs besuchen, möchte in eine richtige Wohnung ziehen. Er will wieder wach werden, sagt Herr Al Rajab.