Oberhausen. Wenn ein Medikament statt zehn Euro plötzlich 85 Euro kostet, kann man verstehen, dass viele Oberhausener über die neuen Aufschläge empört sind. Kostengünstige Ersatzmedikamente (Generika) kommen für viele auch nicht in Frage. Auch Medikament-Hersteller gehen an der neuen Reglung zugrunde.

Über 80 Euro musste die 77-jährige Oberhausenerin plötzlich in der Apotheke für ihr Herzmittel aus eigener Tasche zahlen. Da sie kostengünstigere Austauschmedikamente nicht verträgt, hatte ihr Hausarzt auf dem Rezept angekreuzt, dass ihr das Originalpräparat ausgehändigt werden soll. Entrüstet wandte sich die Seniorin an ihre Krankenkasse BKK RWE. Doch dort erfuhr sie nur: „Auf dieser Aufzahlung bleibe ich künftig jeden Monat alleine sitzen.“

Kein Einzelfall, wie Ulrich Fisahn, stellvertretender Vorsitzender des Apothekerverbandes Essen Mülheim Oberhausen, bestätigt. Fast täglich kämen Patienten in seine Apotheke, denen er erklären muss, weshalb ein Medikament, für das sie bis zum Sommer nur zehn Euro zuzahlen mussten, jetzt 85 Euro kostet.

Verschriebene Medikamente häufig betroffen

„Zum 1. Juli sind für 13 Wirkstoffgruppen abgesenkte Festbeträge in Kraft getreten“, erläutert Fisahn. Da aber nicht alle Pharmahersteller zeitgleich die für eine Zuzahlungsbefreiung geforderte Preissenkung in Höhe von 30 Prozent unter dem Festbetrag mitmachen wollten, werden Arzneien, die vorher komplett von der Zuzahlung befreit waren, wieder zuzahlungspflichtig. Davon betroffen sind häufig verschriebene Medikamente wie die Blutdrucksenker Metoprolol und Candesartan. Dazu kommt: Es gibt etliche Mittel, die über diesem neuen Festbetragsniveau liegen – und für die nun saftige Aufzahlungen fällig sind.

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Fisahn nennt ein Beispiel: „Nehmen wir den Blutdrucksenker Votum in 40 ml Stärke.“ Der kostet für BKK RWE-Versicherte 116,20 Euro (jede der knapp 140 Krankenkassen schließt ja auch noch eigene Rabattverträge mit den Pharmaherstellern ab). Für BKK RWE-Versicherte war bislang für diese Arznei eine Zuzahlung von 10 Euro fällig. „Inzwischen aber wurde für diesen Wirkstoff der Festbetrag auf 35,03 Euro abgesenkt.“

Für manche Medikamente gibt es keine Austauschpräparate

Folge: Patienten müssen die Differenz von 81,17 Euro selbst tragen. Fatal, denn: „Es gibt für Votum überhaupt kein günstigeres Austauschpräparat.“ Im Gegensatz zu den Zuzahlungen seien Aufzahlungen außerdem von keiner Härtefallregelung erfasst. „Die Krankenkasse übernimmt keine Rückerstattung, der Patient bleibt auf den Kosten sitzen.“

Peter Kaup, Vorsitzender der Ärztekammer-Kreisstelle Oberhausen, sieht auf die meisten Patienten dennoch keine neue Kostenwelle zurollen. Es gebe in Deutschland viele Medikamente aus einer einzigen Stoffgruppe. „Damit ist rein theoretisch – von wenigen Ausnahmen abgesehen – immer ein Wechsel zu einem kostengünstigeren Medikament möglich.“ Gerade bei Blutdrucksenkern oder auch Schilddrüsenpräparaten sollte dies stets gemeinsam mit dem Hausarzt geschehen. „Der kennt seine Patienten seit Jahren und weiß am besten, welche Mittel in Frage kommen.“

Viele Arzneien kamen gar nicht erst auf den Markt

Setzt ein Arzt übrigens das Aut-idem-Kreuz auf dem Rezept, darf der Apotheker keinen Austausch von Original und Import – also den kostengünstigeren Nachahmern (Generika) – vornehmen. Darauf weist Fisahn hin.

Festbeträge, Rabattverträge – so wollte der Gesetzgeber die Kostenexplosion im Gesundheitswesen bremsen. Seit ca. zwei Jahren prüft ein Ärzteausschuss, ob ein neues Medikament einen Zusatznutzen hat. Hat es keinen, ist der Hersteller verpflichtet, seinen Preis nach unten anzupassen. „Was dazu führte, dass viele Arzneien erst gar nicht auf den Markt kamen“, erläutert Torsten Dette (Vorstand der BKK RWE).

Viele Unternehmen schmeißen das Handtuch

Festbetragsanpassungen und Rabattverträge verursachten außerdem einen so hohen Preisdruck, dass etliche Unternehmen das Handtuch schmissen. Zwischen 15 und 30 Prozent der heute noch in den Apotheken vorhandenen Generika werden Ende des Jahres aus dem Markt verschwinden, berichtete die Ärzte Zeitung. Damit dürften Kunden in den Apotheken noch häufiger zu hören bekommen: „Ausverkauft.“

Kommt aber ein neues Mittel mit Zusatznutzen auf den Markt, dürfen die Pharmafirmen den Preis erst einmal frei festlegen. Dette: „Ein neues Präparat gegen Hepatitis C kostet uns für einen Behandlungszyklus 10.000 Euro.“ Folge: Die Ausgaben der Kassen für Medikamente liegen bereits um bis zu fünf Prozent über den Arztkosten.