Oberhausen. . Der Niederländer Bram Jansen serviert sein Kabinettstück auf der Bühne im Oberhausener Malersaal. Seine Charakteranalyse begeistert das Publikum. Gelungene Schauspielkunst.

Daumen hoch: Das Oberhausener Theater zieht junge Regie-Talente an Land und punktet. Mit seiner Inszenierung von Arthur Schnitzlers „Anatol“ beweist der Niederländer Bram Jansen (Jahrgang 1988) Gespür für Charakteranalyse. Seine erste Regie-Arbeit in deutscher Sprache ist äußerst gelungen.

Wie eine Praline mundet sein Kabinettstückchen dem Publikum, serviert auf der kleinen Bühne im Malersaal. Diese Interpretation des um 1893 entstandenen Schauspiels fasziniert in fantastischer Kulisse mit beeindruckenden Ton- und Klang-Effekten, hervorragendem Schauspiel und einer unter die Haut gehenden Schlüsselszene der extremen Selbstliebe des Anatol, die in Erinnerung bleibt.

Sechs Spiegel und eine Trennwand

Den Erfolg seiner Aufführung verdankt Jansen seiner Einstellung, dass Erfahrung (Bühne: Guus van Geffen, Dramaturgie: Rüdiger Bering) und der Drang, mit Neuem überraschen zu wollen, gut miteinander vereinbar sind.

Eine Analyse des menschlichen Verhaltens

Bei einem Festival in Amsterdam sah Dramaturg Rüdiger Bering zufällig die Diplom-Inszenierung „Fräulein Julie“ des Regisseurs Bram Jansen und nahm Kontakt mit ihm auf. Da wusste er noch nicht, dass diese Arbeit Aufsehen erregen und auf mehreren Festivals gezeigt werden würde.

Wie Australier
Simon Stone, der „Die Orestie“ im Großen Haus inszenierte, ist Jansen ein Regisseur mit Hang zur Analyse des menschlichen Verhaltens.

Jansens Anatol-Inszenierung
ist zu sehen: 13. u. 15. Februar sowie am 13., 15. u. 22. März. Karten unter Tel. 8578-184.

Das Entscheidende der Inszenierung sind sechs Spiegel mit Verzerreffekt und eine Trennwand. Sie sind so geschickt auf der Bühne platziert, dass der Zuschauer die Akteure meist indirekt, manchmal auch mehrfach sieht und auf jeden Fall von jedem Platz aus anders.

Jansen stellte den „Fall Anatol“ einem Psychoanalytiker vor. Der diagnostizierte eine narzisstische Persönlichkeitsstörung.

Dieser Dandy Anatol, der im Stück ständig seine Geliebten und sich selbst betrügt und dessen Verhalten Freund Max kommentiert und analysiert, hat also schlicht eine Behinderung.

Eine Erkenntnis, die vielleicht hilft, Anatol so zu geben, wie es Konstantin Buchholz gelingt. Der Mann, der sich rastlos ständig selbst inszeniert und während er das macht schon spürt, dass er die jeweilige Rolle nicht mehr will, wirkt trotz seiner Schwächen, Höhen, Tiefen und Ängste durchaus anziehend und sympathisch.

Anatol braucht Mitspieler, das sind die Geliebten. Sechs von ihnen treten auf. So unterschiedlich sie sind, so sehr durchschauen sie Anatols Unfähigkeit, Beziehungen einzugehen oder gar eine Frau zu lieben. Angela Falkenhan schlüpft in all ihre Rollen und haucht ihnen die jeweils passende emanzipatorische Komponente ein. Das reicht von Katze über empört und aufmüpfig bis wütend. Dass alle Frauen Anatol überlegen sind, macht sie deutlich - spritzig, witzig, sehr selbstbewusst.

Permanenter Zuschauer

Doch Affären reichen dem Selbstdarsteller Anatol nicht. Er braucht den permanenten Zuschauer Max (Peter Waros). Diagnose: Co-Gestörter. Genau das ist das Neue an der Inszenierung. Sie stellt heraus, dass Max, der Erklärer, Anatol genauso braucht wie er ihn und von seiner Rolle als Beobachter und Kommentator von Anatols Allüren abhängig ist. „Wer bin ich, der Autor, ein Statist, einer von Ihnen (Publikum)?“ Max nutzt seine Präsenz in Anatols Leben aus, zum Beispiel für die eigene sexuelle Befriedigung. Als sie sich ergibt, ergreift er die Gelegenheit, eine von Anatols Ex-Geliebten zu verführen. Da ist er immerhin noch eine eigene Persönlichkeit, später versucht er gar, Anatol zu kopieren. Anders als im Originaltext, trifft Max, nicht Anatol, beim Weihnachtseinkauf eine von Anatols Verflossenen und kommt mit ihr ins Gespräch – über die angeblich neue Liebe – seine oder Anatols?

Bleibt die Frage, wer mehr zu bedauern ist, die gestörte Co-Person oder das Original? Fest steht, dass Jansens „Anatol“ etwas Besonderes ist. Unbedingt anschauen.