Oberhausen. Fallzahlen sind im ersten Vierteljahr in Oberhausen um fast zehn Prozent gestiegen. Polizeipräsidentin Wittmeier im NRZ-Interview: Druck auf Rocker groß halten.
Kriminelle nehmen Wohnungen Oberhausener Bürger wieder verstärkt ins Visier. Nach einem entgegen dem Landestrend leichten Rückgang der Wohnungseinbrüche um 3,1 Prozent auf 831 Taten im vergangenen Jahr sind die Fallzahlen zu Beginn dieses Jahres wieder gestiegen: Von Januar bis März 2013 verzeichnete die örtliche Polizei bei den Wohnungseinbrüchen einen Anstieg von 9,5 Prozent auf 366 Fälle im Vergleich zu 334 Fällen im gleichen Vorjahreszeitraum – versuchte Einbrüche sind in diesen Zahlen enthalten.
„Auch wenn wir im letzten Jahr einen Rückgang bei den Wohnungseinbrüchen zu verzeichnen hatten, sind wir nicht so weit, dass wir Entwarnung geben könnten“, sagte Polizeipräsidentin Kerstin Wittmeier im NRZ-Interview. Mit Blick auf eine erweiterte Arbeitnehmer-Freizügigkeit innerhalb der EU sagte sie: „In der Europäischen Union sind die Lebensbedingungen sehr unterschiedlich. Deshalb habe ich die Sorge, dass wir in diesen Bereichen eher mit steigenden Fallzahlen zu rechnen haben. Im ersten Quartal 2013 hat sich das bestätigt.“
Wohnungseinbrüche und Taschendiebstähle zum Schwerkpunkt gemacht
Bei den Taschendiebstählen setze sich dagegen der positive Trend des vergangenen Jahres fort, als die Zahl der Fälle um 9,1 Prozent auf 631 Taten zurückging. Hatte es die Polizei im ersten Quartal 2012 noch mit 195 Taschendiebstählen zu tun, sank die Zahl in den ersten drei Monaten dieses Jahres auf 134. Die Oberhausener Polizei hat Wohnungseinbrüche und Taschendiebstähle zu den Schwerpunkten in ihrem neuen Sicherheitsprogramm für 2013 bis 2017 gemacht.
Auch den Druck auf Rockergruppen, deren Fehde mehrfach auch Oberhausen zum Schauplatz bis hin zu einer Schießerei am Sterkrader Tor hatte, will Wittmeier hoch halten. „Wir sind sehr genau informiert über die Entwicklung, auch durch verdeckte Ermittlungen“, sagte die Chefin der Polizeibehörde. „Wir sind jederzeit in der Lage zu zeigen, wer das Sagen hat. Und das sind wir.“ Die Polizei nehme die Ängste der Bürger „sehr ernst. Wir werden alles tun, um für die Sicherheit in der Stadt zu sorgen. Wir werden jeden Versuch von Rockergruppierungen verhindern, Terrain zu besetzen. Hier gibt es Null Toleranz.“
Rotlichtviertel weiter im Blick haben
Die Polizei-Chefin kündigte an, auch das Rotlichtviertel an der Flaßhofstraße weiter im Blick zu haben: „In diesem Milieu darf sich keiner vor staatlichen Konsequenzen sicher fühlen.“
Im Kampf gegen das Komasaufen von Jugendlichen, das zuletzt im Karneval zu einem Problem wurde, bringt Wittmeier Bereichsbetretungsverbote für auffällig gewordene Jugendliche sowie ein Glasverbot und Alkoholverbote in bestimmten Bereichen bei den Karnevalszügen ins Spiel. Ein Runder Tisch, an dem auch der Hauptausschuss Groß-Oberhausener Karneval teilnimmt, wird erstmals am 21. Mai tagen.
Das Interview im Wortlaut
Frau Wittmeier, Sie haben Ihrer Behörde als Arbeitsschwerpunkte den Kampf gegen Wohnungseinbrüche sowie Taschendiebstähle verordnet. Andere Polizeipräsidien setzen in ihren Sicherheitsprogrammen mehr als nur zwei Schwerpunkte. Schaffen Sie nicht mehr?
Kerstin Wittmeier (lacht): Böse Frage. Wir haben bei der Aufstellung des neuen Sicherheitsprogramms 2013 bis 2017 genau analysiert, was sich in den letzten Jahren in Oberhausen getan hat. Angesichts steigender Zahlen bei Wohnungseinbruch und Taschendiebstahl haben wir ganz bewusst entschieden, dass wir hier Schwerpunkte bilden. Wir werden deutlich mehr Personal in diesen Bereichen einsetzen. Gerade bei vollendeten Wohnungseinbrüchen ist der seelische Schaden oft schlimmer als der materielle Verlust. Wir möchten, dass sich die Oberhausener Bürgerinnen und Bürger in ihren eigenen vier Wänden sicher fühlen können. Auch gegen Taschendiebe werden wir unser Personal sehr konzentriert einsetzen – ohne andere Dinge zu vernachlässigen.
Vergleicht man die Entwicklung 2012 in Oberhausen mit der Landesstatistik, können Sie mit dem bisher Erreichten doch – auch mit Blick auf Kritiker – sehr zufrieden sein.
Wittmeier: Zufriedenheit ist immer subjektiv und hängt stets vom Betrachter ab. Wenn ich als Chefin der Oberhausener Polizei auf die Leistung meiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schaue, habe ich Grund genug, stolz zu sein, wir sind auf einem guten Weg. Wenn Sie aber sehen, dass wir bei den Wohnungseinbrüchen knapp 79 Prozent der Fälle nicht aufklären, werden die Betroffenen das sicher ganz anders bewerten. Das ist Ansporn für uns in den nächsten Jahren, noch besser zu werden und die Wohnungseinbruchszahlen zu senken.
Machen es die Oberhausener den Dieben noch zu leicht?
Wittmeier: In deutlich mehr als jedem dritten Fall scheitern Einbruchsversuche. Das heißt, viele Bürger haben ihr Eigenheim schon gesichert. Die Täter haben aber vermehrt Mehrfamilienhäuser mit Mietwohnungen zum Ziel. Hier sind die Eigentümer gefragt. Wir sind darüber hinaus auch auf die Hilfe der Bevölkerung angewiesen. Wir nehmen jeden Hinweis sehr ernst und werden dem sofort nachgehen. Es gibt keinen Anruf, der zu viel ist.
Müssen wir mit einer Verschärfung der Situation durch eine erweiterte Arbeitnehmer-Freizügigkeit innerhalb der EU rechnen?
Wittmeier: Das kann keiner seriös vorhersagen. Auch wenn wir im letzten Jahr einen Rückgang bei den Wohnungseinbrüchen zu verzeichnen hatten, sind wir nicht so weit, dass wir Entwarnung geben könnten. In der Europäischen Union sind die Lebensbedingungen sehr unterschiedlich. Deshalb habe ich die Sorge, dass wir in diesen Bereichen eher mit steigenden Fallzahlen zu rechnen haben. Im ersten Quartal 2013 hat sich das bestätigt. Wir haben im Verhältnis zum ersten Quartal des letzten Jahres bei den Wohnungseinbrüchen einen Anstieg von 9,5 Prozent.
Positiver Trend setzt sich im ersten Quartal fort
Wie wollen Sie die Zahl der Taschendiebstähle weiter drücken?
Wittmeier: Im Bereich des Taschendiebstahls setzt sich der positive Trend im ersten Quartal 2013 fort. Insoweit bin ich hier ganz positiv gestimmt. Beim Taschendiebstahl haben wir drei Brennpunkte: das Centro, die Marktstraße und Sterkrade Mitte. Hier können wir durch Präventionsarbeit unter anderem über unsere Seniorensicherheitsberater eine ganze Menge bewirken. Wir setzen gleichzeitig auf deutlich verstärkte Präsenz uniformierter Kräfte und verdeckte Ermittlungen.
Zu Karneval ist das Thema Komasaufen von Minderjährigen wieder ins Blickfeld gerückt. Sowohl Karnevalisten wie auch Sie haben erklärt, ein Runder Tisch könne vor der nächsten Session sinnvoll sein. Was tut sich da?
Wittmeier: Ja, es hat sich was bewegt. Wir werden am 21. Mai das erste Mal im Präsidium tagen. Die Einladungen des Hauptausschusses des Groß-Oberhausener Karnevals sind bereits raus. Wir haben zudem innerhalb der Polizei eine Arbeitsgruppe gebildet, die den Auftrag hat, bestmögliche Maßnahmen zu finden. In Aachen gibt es sehr interessante Ansätze mit Bereichsbetretungsverboten. Wir prüfen derzeit alle rechtlichen Möglichkeiten. Wir werden auch um eine Diskussion über ein Glasverbot nicht herum kommen und müssen im Extremfall auch über Alkoholverbote in bestimmten Bereichen nachdenken.
Beim Karnevalszug in Höhe des Elsa-Brändström-Gymnasiums...
Wittmeier: … zum Beispiel. Wir stellen bei den Karnevalsumzügen einen hohen Personalansatz für einen relativ kleinen Bereich. Das steht in keinem Verhältnis. An dieses Thema müssen wir ran – unabhängig davon, dass es nicht sein kann, wenn sich Jugendliche so mit Alkohol zuschütten, dass sie ins Krankenhaus eingeliefert werden müssen.
Oberhausener Landespolitiker streiten darüber, welche Regierung in Düsseldorf – vorher Schwarz-Gelb oder jetzt Rot-Grün – es zu verschulden hat, dass zu wenige Polizisten auf der Straße sind. Haben die Beamten vornehmlich mit der eigenen Überlastung zu kämpfen, anstatt für die Einhaltung von Recht und Ordnung zu sorgen?
Wittmeier: Für Oberhausen kann ich das noch nicht bestätigen. Wir haben in den letzten Jahren im Vollzugsbereich eher Stellen aufgebaut. Aber: Auseinandersetzungen im öffentlichen Bereich haben zugenommen, auch verbale Attacken auf Beamte. Häusliche Gewalt oder Auseinandersetzungen beim Fußball sorgen für eine zunehmende Belastung der Beamten. Die Diskussion auf die Zahl der Stellen zu reduzieren greift deshalb zu kurz, denn die Ansprüche an die Arbeit der Beamtinnen und Beamten sind gestiegen.
Nie komplett frei von Rocker-Aktivitäten
Die Rocker-Schießerei am Sterkrader Tor hat gezeigt: Oberhausen ist auch nach der Schließung des Bandidos-Chapters kein weißer Fleck auf der Karte krimineller Kuttenträger. Gibt es doch noch organisierte Rocker-Aktivitäten in der Stadt?
Wittmeier: Oberhausen war nie ein Pflaster, das komplett frei von Rockern war. Es gibt im Moment aber keine organisierte Struktur. Wir haben weder die Hells Angels, noch die Bandidos mit einem eigenen Clubheim und einem eigenen Verein hier. Das kann sich aber auch wieder ändern.
Das örtliche Rotlicht-Viertel wird von einem früher den Bandidos und heute den Hells Angels nahestehendem Mann dominiert. Er betreibt acht von 16 Bordellen an der Flaßhofstraße. Erklären Sie unseren Lesern doch einmal, warum die Oberhausener Behörden so etwas dulden.
Wittmeier: In Oberhausen ist das gesamte Stadtgebiet Sperrbezirk. Sperrbezirk heißt, in diesem Bereich ist die Prostitution verboten mit einer Ausnahme, und das ist der Bereich der Flaßhofstraße. Prostitution ist ein legales Gewebe, und insoweit hat die Polizei erst einmal keinerlei Handhabe – egal, wer diese Bordelle betreibt. Genau so wenig kann die Polizei gegen den Verkauf von Häusern vorgehen oder gegen den Abschluss von Pachtverträgen. Wir kommen erst dann ins Spiel, wenn wir Zwangsprostitution nachweisen könnten und zwar unabhängig davon, wer das Bordell betreibt.
NRW-Innenminister Ralf Jäger will den Kampf gegen Zwangsprostitution und Menschenhandel verschärfen.
Wittmeier: Wir werden die Flaßhofstraße weiter im Blick haben. In diesem Milieu darf sich keiner vor staatlichen Konsequenzen sicher fühlen. Leidtragende der Zwangsprostitution und des Menschenhandels sind die Frauen, die dort arbeiten. Aus meiner Sicht ist es Zeit, öffentlich zu diskutieren, ob sich die Legalisierung der Prostitution im Jahr 2002 in der Praxis bewährt hat. Ich sehe das sehr kritisch. Das Gesetz geht davon aus, dass Prostitution ein freiwillig ausgeübter Beruf ist. Meine Erfahrungen hier in Oberhausen zeigen, dass wir hier auch Zwangsprostitution haben. Leider werden die Frauen im Rotlichtbereich so unter Druck gesetzt, dass wir fast nie eine Aussage bekommen.
Aus der Sicht von Rockern ist in Oberhausen durch den Abzug der Bandidos ein Machtvakuum entstanden. Das könnte Begehrlichkeiten wecken.
Wittmeier: Ein Machtvakuum würde nur dann entstehen, wenn wir es zulassen. Wir werden das genau beobachten und weiterhin unter Kontrolle halten. Gerade im Bereich der Rockergruppierungen arbeiten wir in NRW sehr eng und sehr gut mit anderen Behörden zusammen. Wir sind jederzeit in der Lage zu zeigen, wer das Sagen hat. Und das sind wir. Wir werden keine rechtsfreien Räume dulden.
Neben Bandidos und Hells Angels ist mit den Satudarah eine weitere Gruppe auf den Plan getreten. Mitglieder wechseln zwischen den Gruppierungen hin und her. Blicken Sie da überhaupt noch durch?
Wittmeier: Wir sind sehr genau informiert über die Entwicklung, auch durch verdeckte Ermittlungen. Aber die Verlässlichkeit, die es früher in den Rockergruppierungen gegeben hat, ist nicht mehr da. Früher galt: „Einmal Hells Angel – immer Hells Angel“. Das war eine Frage der Ehre. Das gibt es heute nicht mehr.
Für Sicherheit der Bürger sorgen
Die Bürger sind stark verunsichert.
Wittmeier: Wir nehmen ihre Ängste sehr ernst. Wir werden alles tun, um für Sicherheit in unserer Stadt zu sorgen. Wir werden jeden Versuch von Rockergruppierungen verhindern, Terrain zu besetzen. Hier gibt es Null Toleranz.
Frau Wittmeier, Sie sind jetzt seit zweieinhalb Jahren Chefin im Oberhausener Polizeipräsidium. Was unterscheidet Oberhausen von anderen Städten?
Wittmeier: Oberhausen ist auf den ersten Blick eine typische Ruhrgebietsstadt. Ich bin hier sofort angekommen, die Menschen sind sehr offen und direkt. Und es fehlt die Anonymität einer Großstadt. Die handelnden Akteure kennen sich. Das finde ich äußerst positiv.
Was würden Sie Freunden, die in Oberhausen Station machen, empfehlen – und wovor würden Sie warnen?
Wittmeier: Warnen würde ich erst einmal davor, sich von Vorurteilen gegenüber dem Ruhrgebiet leiten zu lassen. Denn die sind nicht berechtigt. Empfehlen würde ich ihnen auf jeden Fall einen Besuch des Industriemuseums Altenberg, weil dort die Geschichte des Ruhrgebiets sehr gut aufgearbeitet ist und wir viel über unseren kulturellen Ursprung erfahren.
Eigentlich sind Sie ja ein Nordlicht: in Flensburg geboren, aufgewachsen auf Sylt. Dennoch sind sie im Oberhausener Karneval jeck dabei. Wie das?
Wittmeier: Als jugendliche Norddeutsche habe ich den Karneval nur im Fernsehen erlebt. Das motiviert nicht unbedingt, den Karneval positiv zu sehen. In NRW habe ich den Karneval das erste Mal in Arnsberg kennengelernt und dann in Düsseldorf. Ich habe dabei ein ganz anderes Bild vom Karneval bekommen. Im Karneval ist es völlig egal, wer man ist, woher man kommt und was man hat. Da halten die Menschen zusammen, und das gefällt mir.
Die Stadt hat ein Imageproblem. Berechtigt – oder verkauft sich Oberhausen unter Wert?
Wittmeier: Man kann in jeder Stadt sicher Dinge besser machen. Ich erlebe Oberhausen als lebens- und auch liebenswerte Stadt. Manchmal sehen die Oberhausener das Glas halb leer und nicht halb voll. Wenn man Oberhausen aber schlecht redet, dann erkennt man die Arbeit von vielen Menschen nicht an, insbesondere derjenigen, die ehrenamtlich arbeiten. Also: Ein bisschen positiv darauf zu blicken würde helfen. Nicht nur das sehen, was man besser machen kann, sondern auch mal das sehen, was man erreicht hat. Und Oberhausen hat eine Menge erreicht.