Oberhausen. . Ein Patient geht zum Arzt, zahlt die anstehende Rechnung und reicht diese anschließend zur Rückerstattung bei der Krankenkasse ein. Doch seine Kasse, die KVB, ist mit den Zahlungen in Verzögerung geraten. So sehr, dass viele Patienten nicht mehr wissen, wie sie die offenen Arztrechnungen finanzieren sollen.
Um seine Arztrechnungen bezahlen zu können, verkaufte Erwin Rech seinen letzten Goldschmuck. 1750 Euro bekam er dafür. Das deckt die rund 1500 Euro an Außenständen, die er noch hat. Der 76-Jährige tritt damit in Vorleistung, weil seine Krankenkasse sich mit der Rückerstattung seit drei Monaten Zeit lasse.
Doch nun seien seine Reserven erschöpft. Der Oberhausener war bis zu seiner Pensionierung als Bundesbahn-Hauptschaffner tätig. Seit der Scheidung erhält er eine monatliche Pension in Höhe von 730 Euro. „Die Krankenversorgung der Bundesbahnbeamten (KVB) war ursprünglich gegründet worden, um den Beamten und Versorgungsempfängern der Bahn die Kosten der medizinischen Betreuung zu erleichtern“, so Rech.
Schulden in Höhe von 10.000 Euro
In die Kasse laufen die Beihilfe des Staates und die eigenen Beiträge der Beamten aus dem einfachen und mittleren Dienst ein. Der übliche Weg: „Der Arzt stellt ein Rezept aus, der Patient legt den zu zahlenden Betrag bei der Apotheke vor und reicht dann das Rezept zur Erstattung bei der KVB ein“, erläutert Rech. Das Gleiche gelte für die Rechnungen aller behandelnden Ärzte, auch bei Klinikaufenthalten. Rech ist Diabetiker und zu 80 Prozent schwerbehindert. „Da kommt monatlich was zusammen.“ Mittlerweile verschiebe er seine Arzttermine so weit wie möglich. „Denn die sind für mich kaum noch finanzierbar.“ Und damit stünde er keineswegs alleine da.
„Vielen Kollegen geht es genauso, einer hat schon Schulden in Höhe von 10.000 Euro.“ Besonders schlimm treffe es die Witwen, denn da falle die Pension ja noch kleiner aus. Erwin Rech ist inzwischen zu einer Anwältin gegangen. Die klärte ihn auf: „Mahngebühren und anfallende Zinsen muss die Kasse zurückerstatten.“ Doch die KVB, in seinem Fall Region West Wuppertal, wolle davon nichts wissen.
Klage wird vorbereitet
„Da werde ich wohl den Klageweg beschreiten müssen“, ärgert sich Rech. Rechtlich überprüfen lassen will er auch das grundsätzliche Verfahren: „Es kann doch wohl nicht sein, dass sich eine Krankenkasse derartig viel Zeit mit den Rückerstattungen lassen kann.“
Falls nötig will Rech bis zur höchsten Instanz kämpfen. Dafür will er nun seine alten Kollegen und Gewerkschaftsmitglieder ins Boot holen. Zumal: „Die KVB muss durch die Verzögerungen bereits Millionen gehortet haben“, meint Rech. Tatsächlich habe die KVB kürzlich ihre Mitglieder darüber informiert, „dass sie den Beitrag im kommenden Jahr um ein Prozent senken will“.
Negativ-Spitzenrekorde
Die KVB betreut bundesweit 205.055 Mitglieder. Zusammen mit den mitversicherten Angehörigen haben annähernd 329.660 Versicherte Anspruch auf Leistungen der KVB (Stand 31.12.2011). „Es gehen relativ viele Beschwerden bei uns ein“, räumt KVB-Sprecher Jürgen Rothe ein. Besonders betroffen: die Mitglieder der Region West Wuppertal. Bereits 2011 hätten sich die Bearbeitungszeiten dort auf mehrere Wochen erhöht.
„Aber in diesem Jahr sind leider Negativ-Spitzenrekorde von bis zu sechs Wochen erreicht worden.“ Von Wartezeiten bis zu drei Monaten will Rothe aber nichts wissen. Verursacht würden die Verzögerungen vor allem durch die Umstellung auf ein neues elektronisches System. Verschärfend wirke: „Durch die langen Wartezeiten sammeln unsere Mitglieder ihre Belege nicht mehr, sondern reichen sofort jede Rechnung ein – dadurch haben unsere Sachbearbeiter immer mehr einzeln zu prüfende Fälle auf dem Tisch.“
Ein Ende ist nicht in Sicht
In Wuppertal gingen inzwischen pro Woche rund 7000 Schreiben ein. „Wir haben gerade erst wieder 30 zusätzliche Mitarbeiter eingestellt, aber die müssen auch erst einmal eingearbeitet werden.“
Ein Ende des Dilemmas sei nicht in Sicht. „Wenn ich mutig wäre, würde ich behaupten, Ende 2013 ist die Durststrecke vorbei“, so Rothe. Den Mitgliedern bleibe nur: „Augen zu und durch.“ Einen Kassenwechsel halte er für eine rein theoretische Lösung. „Die meisten sind Pensionäre, die nimmt doch keine private Kasse mehr.“