Oberhausen. Das Bunker-Projekt „Bartsch, Kindermörder“ konfrontiert den Zuschauer mit abartig Krankem.

Bartsch, Kindermörder. Aus Tonbandprotokollen und Briefen, die der pädophile Serienmörder in der Haft verfasste, hat Oliver Reese ein Theaterstück gemacht, das 1992 am Ulmer Theater uraufgeführt wurde. Regisseur Martin Kindervater wählte es jetzt für sein Außenprojekt aus.

Im Keller des Bunkers am Theater erlebten 30 Zuschauer die Premiere der inszenierten Konfrontation mit dem unvorstellbar abartigen psychisch Kranken – im Wortsinn hautnah.

Die hässliche Fratze der 60er Jahre

Die Bereitschaft, sich mit einem so schwer verdaulichen Stoff zu beschäftigen, sei bereits der erste Schritt des Gelingens dieser Arbeit, hatte Kindervater gesagt. Er belohnt sie mit einem vom Betreten des Bunkers an beginnenden dramaturgisch ausgefeilten Erlebnis. In zwei Gruppen geteilt, werden die Zuschauer in zwei voneinander durch einen leeren Raum getrennte Zimmer geleitet. In bedrückender spießiger Wohnstubenkultur der 60er Jahre mit viel Gelsenkirchener Barock, Kitsch, Krippe, Christbaum, Wohnzimmertisch mit (noch) leerem Papp-Weihnachtsteller und laufendem Schwarz-Weiß Fernseher nehmen sie Platz.

Der muffige Geruch des Bunker-Kellers unterstreicht die beklemmende Atmosphäre. Dann kommt „Er“ (Martin Müller-Reisinger) und füllt schweigend, betont langsam den Teller spärlich auf, Apfelsine, Apfel, Schoko-Nikolaus, ein paar Plätzchen, bloß nicht zu viele, die Keks-Tüte wird wieder sorgsam im hässlichen Side-Board verstaut. Spätestens jetzt ist sie zurück, die hässliche Fratze der Zeit zwischen 1962 und 1966, in der Bartsch seine grausamen Taten verübte.

„Er“ reflektiert nun sein Leben, fasst die grausamen Fantasien des Mörders in Worte, seine Taten, die Psychologie eines Serientäters und bespielt beide Wohnzimmer sowie den Zwischenraum. Drei Orte, drei Bühnen. Der Zuschauer verfolgt, was sich im jeweils anderen Zimmer abspielt, im Fernseher. Dadurch wird deutlich, dass trotz der Benennung des Abscheulichen und aller Versuche einer Begründung der Taten – furchtbare Kindheit, entsetzliches Elternhaus – das Unergründbare bleibt. Eine starke und faszinierende Inszenierung auf der Grenze zwischen aushaltbar und „Ich will hier raus“.

Die Chance, ihre Arbeit zu belohnen, verwehren die Macher am Ende dem Zuschauer. Sie verbeugen sich nicht, wollen keinen Applaus. Stattdessen bedanken sie sich beim Publikum fürs Kommen: Der Regisseur Martin Kindervater, Dramaturg Tilman Raabke, Bühnenbildnerin Anne Manß, Jan Krämer (Video), und der Solo-Darsteller Martin-Müller-Reisinger sagen einfach Tschüss, das war’s.