Oberhausen. Gerade während der Fußball-EM rückt Europa immer ein Stück näher zusammen. Eine Einigkeit, die neben Euro-Querelen und Finanzkrise nicht selbstverständlich ist. Im Ensemble von “Dirty Dancing“ in Oberhausen ist das jedoch völlig normal. Denn dort sind fast alle europäischen Nationen vertreten.
Wenn auf Oberhausens Straßen Autos mit schwarz-rot-goldenen Fähnchen das Stadtbild prägen, die Kneipen an gewissen Abenden berstend voll sind und in vielen Büros Tipp-Tabellen aushängen, gibt es nur eine Erklärung: Es ist Fußball-Europameisterschaft. Und die ist nicht nur ein sportliches Großereignis, sondern Euro-Querelen und griechischer Finanzkrise zum Trotz auch Symbol für ein enger zusammenrückendes Europa.
Ein Ort, an dem der europäische Geist eigentlich immer weht, ist das Metronom-Theater. Fast alle europäischen Nationen sind in der Besetzung des Erfolgsmusicals „Dirty Dancing“ vertreten – eine bunte Mischung der Kulturen. Auf der Dachterrasse des Theaters wird in vielen Sprachen gescherzt und geplaudert, doch ist Englisch für die meisten der kleinste gemeinsame Nenner. „Wir sind hier wie eine große Familie“, sprudelt die italienische Tänzerin Sabrina Sepe hervor. Muss man bei so vielen Nationen auch Kompromisse eingehen? „Ein wenig, aber das ist für uns eher eine Bereicherung. Mal kochen wir bulgarisch und mal holländisch. Beim Essen wird es bei uns nie langweilig.“ Nur manchmal packe sie ein wenig Heimweh, sagt Sepe. Dann tut sie, was wohl die meisten in ihrer Situation tun würden: Mit der rechten Hand deutet sie einen Telefonhörer an und sagt mit schönstem italienischen Einschlag: „Mama!“
Schwedische Verkehrspraxis für Einsteiger
Sabrina Sepe stammt aus einem Vorort von Rom. Anfangs sei es schwer gewesen, die Sonne Italiens gegen die wechselhaften Wetterverhältnisse Oberhausens einzutauschen, doch das tolle Team bei Dirty Dancing tröste darüber hinweg. Zwar sei sie sonst kein großer Fußball-Fan, aber bei den Länderspielen drückt sie die Daumen für „Italia“ – Ehrensache.
Dirty Dancing
Ein wenig Patriotismus gönnt sich auch Johan Bech aus Schweden. „Beim Fußfall hat’s bei uns ja nicht so richtig geklappt, aber dafür haben wir den Gesangs-Grandprix gewonnen!“ bemerkt der Sänger süffisant und in perfektem Deutsch. Seit dem Start der Produktion im August vergangenen Jahres lebt er wie die anderen Künstler in Oberhausen. Über die eine oder andere Eigenart der Deutschen muss er gelegentlich schmunzeln: „Wenn sie an der Fußgängerampel stehen, warten die Deutschen immer brav, bis es Grün ist. In Stockholm rennen alle wild über die Straße.“ Und: „Bei Unfällen hat bei uns immer der Autofahrer schuld.“ Schwedische Verkehrspraxis für Einsteiger.
Fußball als Völkerverständigung
Und noch einer kämpft mit der Schmach des Fußballs: Der Niederländer Mike Ho-Sam-Sooi pendelt zwischen Oberhausen und Amsterdam hin und her und hat gemeinsam mit seinem Sohn alle Spiele von „Oranje“ verfolgt – bis zum bitteren Ende. „Ich habe schnell geahnt, dass das nichts wird“, sagt er sichtlich deprimiert. Mit Lieblingsnachbarland Holland verbindet die Deutschen gerade in Sachen Fußball eine innig gepflegte Hassliebe – das spürt Ho-Sam-Sooi auch in seinem Heimatland. „Fährst du wieder zu den Moffen?“ Diese Frage durfte er sich von Freunden schon öfter anhören – doch kleine Frotzeleien gehören eben dazu. An Oberhausen schätze er die Offenheit und Hilfsbereitschaft der Menschen. „Wenn du ein Problem hast, sind die Leute sofort zur Stelle.“ Zustimmendes Nicken in der Runde.
Für Carly Miles aus England hat die EM gar das Zeug zur Völkerverständigung: „Wir fühlen uns manchmal ein wenig aus der europäischen Gemeinschaft ausgegrenzt, weil wir nicht den Euro eingeführt haben. Beim Fußball gehören wir endlich mal richtig dazu“, sagt die zierliche Tänzerin. Es kam schon vor, dass sie zwischen den Auf- und Abgängen in einer Show einen verstohlenen Blick auf den Fernseher warf – wenn Wayne Rooney gerade zauberte. „Italien schlagen wir locker“, behauptet sie selbstbewusst und grinst neckisch Richtung Sabrina Sepe.
Doch in einem Punkt sind sich die Künstler einig: So viel Europa auf einem Fleck wie hier gibt es sonst wohl nur in Brüssel.