Oberhausen.

Als Jörg Baumgärtl von der Oberhausener Polizei im September Hauptsachbearbeiter der neu eingerichteten Stelle für Taschendiebstähle wurde, haben ihm seine Kollegen versichert: „Wenn die Weihnachtsmärkte durch sind, wird’s ruhiger.“ Davon hat er nicht viel bemerkt. Im Gegenteil. „Seit Anfang des Jahres ist eine neue Form des Taschendiebstahls dazugekommen“, berichtet er: aggressives, betrügerisches Spendensammeln. „Das dient ausschließlich dazu, Geld in die eigene Tasche zu befördern. Die Organisationen, für die angeblich gesammelt wird, existieren meist gar nicht. Und selbst wenn: Die Gelder gingen nie dahin“, sagt Baumgärtl.

Und es ist nicht nur so, dass die Spendengelder gutwilliger Menschen in dunkle Kanäle fließen. Darüber hinaus werden sie oft um viel größere Geldbeträge erleichtert – weil ihnen die gut geschulten Trickdiebe die Scheine aus dem noch offenen Portemonnaie ziehen, während sie ihre Opfer durch eine vorgehaltene Spendenliste ablenken und damit gleichzeitig den Griff in die Börse verdecken. Sechs Taschendiebinnen, die mit dieser Masche arbeiteten, konnte die Polizei allein in der vergangenen Woche in Oberhausen festnehmen.

25 Prozent mehr Taschendiebstähle

Im Jahr 2010 wurden 454 Taschendiebstähle bei der Oberhausener Polizei registriert, im vergangenen Jahr 694 – eine Zunahme von 25,3 Prozent. Ein Trend, der in den Polizeibehörden landauf, landab registriert wurde und dazu geführt hat, dass man derzeit einen besonderen Fokus auf diese Delikte richtet – zumal die Aufklärungsquote mit deutlich unter zehn Prozent nicht gerade ermutigend ist. In Oberhausen hat man auf die Zunahme schon im vergangenen Jahr reagiert und im September eine neue Stelle eingerichtet, die sich ausschließlich mit Taschendiebstählen und ihren Folgedelikten befasst.

Dort hat man in jüngster Zeit noch eine neue Masche festgestellt: das Ablenken und Bestehlen von Menschen, die Geld am Bankautomaten abheben. „Wir hatten zwar erst vier Fälle, aber die Masche ist auf dem Vormarsch, wie wir aus anderen Städten wissen“, sagt Baumgärtl. „Die Täter warten, bis die EC-Karten eingeschoben und die Geheimnummer eingegeben ist“, erzählt der Experte: „Das dann folgende Zeitfenster nutzen die Täter: Einer hält dem Opfer ein Prospekt, einen Zettel oder irgendeinen Flyer hin und lenkt es damit ab. Der oder die andere drückt schnell die Taste mit einem möglichst hohen Geldbetrag, zieht das Geld aus dem Ausgabeschacht und verschwindet.“ Das Opfer merke oft nicht direkt, dass es bestohlen wurde, weil „Vorgang abgebrochen“ oder ähnliches auf der Anzeige erscheine. Und genau das sei einer der Knackpunkte, die zu der schlechten Aufklärungsquote führten: „Wenn die Taten angezeigt werden, sind oft schon Stunden vergangen und die Täter, die heute in einer, morgen in einer anderen Stadt agieren, sind längst weg“, so Baumgärtl.

"Anzeigen! In jedem Fall anzeigen"

Um möglichst vielen Bürgern solche unliebsamen, mitunter traumatisierenden Erlebnisse zu ersparen, setzt die Polizei neben der Strafverfolgung auch auf Vorbeugung.

Egal, ob man Opfer von betrügerischen Spendensammlern, am Bankautomaten bestohlen wurde oder im Lokal einen Spendenzettel vorgehalten bekommt und anschließend sein teures Handy vermisst: „Anzeigen! In jedem Fall anzeigen“, rät Kriminalhauptkommissarin Claudia Pütz vom Bereich Prävention. „Nur so bekommen wir ein zutreffendes Lagebild und erfahren von neuen Maschen, vor denen wir die Menschen warnen können.“

Gezielt Menschen um Hilfe bitten

Sobald man sich in irgendeiner Form bedrängt fühle, sollte man Öffentlichkeit herstellen, rät die Expertin: „Ruhig laut werden. Denn je höher das Entdeckungsrisiko, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass die Tat abgebrochen wird.“ Man solle auch gezielt andere Menschen um Hilfe bitten. Wer eine solche Situation beobachte, solle helfen, ohne sich jedoch selbst in Gefahr zu bringen: „Etwa, indem man die 110 anruft. Oft hilft es auch, noch andere zu mobilisieren“, so Pütz. Beobachten, dem Opfer zur Seite stehen, aber nicht an den Täter rangehen, rät sie. Wichtig sei es auch, sich später als Zeuge zur Verfügung zu stellen.

Ute Craemer, Leiterin des Kommissariats Prävention, weist darauf hin, dass sich die Täter in aller Regel Einzelpersonen ausgucken – häufig ältere Frauen. Ihnen rät sie, brenzlige Situationen schon mal im Geiste oder in Rollenspielen durchzugehen, um sich zu wappnen: „Im Stressmoment kann das Gehirn nur auf das Zurückgreifen, was man kennt.“ Wenn möglich, sollten Senioren nicht alleine losgehen, um ihre Rente abzuholen – und besser nicht die ganze Summe auf einmal. Und wenn man am Geldautomaten von Fremden gestört wird – was nicht nur Ältere trifft: erstmal die Abbruchtaste drücken.