Mülheim.

Um an das Geld ihrer Opfer zu gelangen, lassen sich Taschendiebe immer neue Tricks einfallen. Seit Jahresbeginn sind auch in Mülheim verstärkt Tätergruppen unterwegs, die sich als Spendensammler für eine Taubstummen-Einrichtung in Rumänien ausgeben – und sich selbst als von dieser Behinderung Betroffene.

„An zwei, drei Wochenenden seit Anfang März hatten wir in der Innenstadt eine Häufung von Taschendiebstählen mit jeweils zehn, zwölf Anzeigen“, sagt Jürgen Achterfeld, Leiter des Mülheimer Regionalkommissariats. Er rechnet mit einer höheren Opferzahl – „das ist nur die Spitze des Eisbergs“ – weil viele sich aus Scham scheuten, Anzeige zu erstatten, oder weil sie glaubten, das Geld verloren zu haben. Ob Trickdiebstahl, Taschendiebstahl oder betrügerisches Spendensammeln: Täter brauchen belebte Orte, um unauffälliger zuschlagen zu können, daher werden sie häufig freitags und samstags aktiv.

Drei junge Frauen wurden festgenommen

In diesem Fall gerieten als Tätergruppe rasch mehrere junge Frauen ins Blickfeld der Polizei, die sich unter dem Vorwand des Spendensammelns an Passanten heranmachten und ihnen eine Tafel mit der Bitte um eine Spende vorhielten. Drei junge Frauen wurden in der Altstadt nach Zeugenbeobachtungen festgenommen. „Wir bekommen häufig Hinweise von aufmerksamen Mitbürgern“, sagt der Erste Kriminalhauptkommissar Achterfeld. „Die Opfer bemerken den Diebstahl zum Tatzeitpunkt oft gar nicht.“

Mit dem Spendentrick hat ein Täter kürzlich sogar einen Mülheimer am Geldautomaten geleimt: Der Mann hatte schon seine PIN eingegeben. Er wurde vom Täter mit einer Spendentafel so geschickt abgelenkt, dass dieser eine – quasi unter der Spendentafel – eingetippte Geldsumme entnehmen und unbehelligt sowie unbeachtet weggehen konnte.

Handydiebstahl konnte nachgewiesen werden

Mitte März nahm die Polizei zwei junge Osteuropäer unter 18 fest, die in der Innenstadt den Taubstummentrick angewandt hatten und beim Diebstahlsversuch beobachtet wurden. Sowohl die vorgezeigte Spendenbescheinigung als auch das Taubstummenheim in Rumänien – alles erfunden. „Die Masche wird nur dazu genutzt, an die Opfer heranzukommen“, betont Jürgen Achterfeld. Wenn Bürger dann ihre Börse zückten, „sei die Möglichkeit zur Tat schon geschaffen“. Bei der Festnahme, so der Kripomann, „wurde die Taubstummheit dann abgelegt“. Dem Duo wurde außerdem der Diebstahl eines Handys nachgewiesen.

Mit der Taubstummen-Masche arbeiten Täter nicht nur in Mülheim, sondern in allen Ruhrgebietsstädten. Oft hätten die Täter keinen festen Wohnsitz, würden eine Stadt nach der anderen abklappern. So war das zwar immer schon, die Taubstummen-Masche ist der Polizei aber neu. Wenn die Polizei der Täter habhaft wird, kann sie oft andere, länger zurückliegende Delikte zuordnen. So wurde den beiden Jungen nachgewiesen, dass sie mit einer gestohlenen EC-Karte in Bochum Geld abheben wollten. Wenige Tage vor ihrer Festnahme waren die Heranwachsenden in Duisburg und in Wuppertal aufgefallen.

"Bandenmäßiges Vorgehen"

Häufig stammten die Tatverdächtigen aus Osteuropa, seien in Großstädten nur unter einer Scheinadresse gemeldet, so die Polizei. Die Täter, erklärt Achterfeld, seien keine Amateure. Sie arbeiteten stets zu mehreren, seien gut vernetzt und achteten darauf, ungestört „arbeiten“ könnten. „Nach einem polizeilichen Zugriff haben wir eine gewisse Zeit lang Ruhe.“ Er spricht von „bandenmäßigem Vorgehen“.

Die Tat an sich ist nicht neu, neu ist immer die Geschichte, die Legende, die sich Täter ausdenken. „Ein gesundes Misstrauen sollte vorhanden sein“, empfiehlt Jürgen Achterfeld den Bürgern zu ihrem Schutz.

Platzverweise gegenüber Verdächtigen

Die Polizei spricht gegenüber Verdächtigen Platzverweise aus, selbst wenn es noch zu keiner Straftat gekommen ist. Auch Mitarbeiter des Ordnungsamtes nehmen die Personalien auf, wenn der Verdacht besteht, dass es sich um betrügerisches Sammeln handeln könnte, erklärt Bernd Otto, stellvertretender Amtsleiter. Das helfe oft schon, solche Gruppen zu vertreiben.

Beim versuchten Spendenbetrug jedoch wird ein Verfahren eingeleitet. Der Erste Polizeihauptkommissar Ralf Küper sorgte in der letzten Woche selbst mit dafür. In Zivil unterwegs, sah er eine junge Frau beim Spendensammeln auf der Schloßstraße. Wie sich herausstellte, war sie kurz zuvor erwischt und erkennungsdienstlich behandelt worden. Küper, der den Bezirks- und Schwerpunktdienst der Polizei in der ehemaligen Wache Speldorf leitet, betont, dass Streifen diese mobilen Täter im Auge behalten: „Wir werden entsprechend reagieren.“ Zur Zeit sei die Stadt „sauber“.

Wer spenden möchte, raten Verbraucherschützer, sollte es nicht spontan tun, sondern sich eine Broschüre geben lassen und in Ruhe überlegen. Die Polizei empfiehlt, Geld nah am Körper zu tragen. Wer bestohlen wurde, sollte Anzeige erstatten. „Nur so“, erklärt Kommissar Achterfeld, „können wir Serientätern zurückliegende Taten zuordnen.“