Oberhausen. Wer – etwa wegen einer psychischen Erkrankung – von Grundsicherung oder auf Taschengeldbasis in einem Wohnheim lebt, leidet mitunter doppelt: weil auch das Geld fehlt, am „normalen“ Leben teilzunehmen
Die zweite Monatshälfte kann quälend lang werden – etwa wenn man von Grundsicherung oder auf der Basis von rund 90 Euro Taschengeld lebt, wie viele psychisch Erkrankte, die in Wohnheimen untergebracht sind oder ambulant in den eigenen vier Wänden betreut werden. „Am Monatsende geht die Kopfkirmes los“, nennt Sebastian (24) diesen Zustand, in dem sich die Gedanken immer wieder um eines drehen: um Geld, das man nicht hat. „Man kann nicht richtig an der Gesellschaft teilnehmen“, empfindet Sebastian seine Lage als ausgrenzend und belastend. „Man fühlt sich irgendwie zweiter Klasse.“
Dabei ist der junge Mann beileibe kein Jammerer und auch keiner, dem es an Antrieb fehlt, was sonst häufig als Begleiterscheinung psychischer Erkrankungen anzutreffen ist. Im Gegenteil: „Ich will nicht einfach rumhängen. Ich darf 100 Euro dazuverdienen und arbeite deshalb seit einiger Zeit bei Piccobello. Das ist toll.“
Mit Kohle ins Kino
Eigentlich komme er mit dem Taschengeld und dem, was er in dem Caritas-Secondhand-Laden dazuverdient, auch ganz gut zurecht: „Aber man braucht ja auch mal was Neues zum Anziehen, Bettwäsche und so weiter. In Freizeitparks würde der 24-Jährige gern mal gehen, ins Kino, in den Zoo oder ins Sealife: „Aber das ist ja alles teuer.“ Eine willkommene Abwechslung sind deshalb die Freizeitangebote, die die Caritas für die von ihr betreuten Menschen selbst auf die Beine stellt: Ausflüge, Klettertrainings, Kinotage, Grillfeste. Und doch ist das nicht das Gleiche.
Das „Schwarzgeld“-Projekt des Theaters vor einigen Wochen fand Sebastian deshalb richtig klasse: „Da hab’ ich eine Stunde ehrenamtlich gearbeitet und dafür 20 Kohle bekommen. Damit konnte ich ins Kino gehen, ins Theater, konnte einfach so mal Currywurst essen, was ich mir sonst dreimal überlegen muss. Das war super. Ich konnte an der Gesellschaft teilnehmen. Mitmachen. Das ist sonst schwer.“
Das Gefühl, nicht richtig dazuzugehören
Auch Michael (41), gelernter Maler, derzeit wegen einer psychischen Erkrankung aber nur stundenweise arbeitsfähig, kennt das Gefühl, nicht richtig dazuzugehören: „Ich hab’ mich entschlossen, bei der VHS den Realschulabschluss nachzumachen. Aber wenn ich allein an die Bücher denke – das geht schon ins Geld.“ Gleiches treibt derzeit auch seinen Kollegen Bernhard (38) um, der in einer betreuten Werkstatt arbeitet, sich aber mit dem Gedanken trägt, sich per Abendschule weiterzubilden.
Nicht „normal“ am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können, vielfach außen vor zu bleiben – das lastet vielen auf der Seele, die mit der Erkrankung ihrer Psyche eigentlich schon genug beschwert sind. Dass Armut aber nicht nur psychisch belastet, sondern auch im wahrsten Wortsinn krank beziehungsweise noch kranker machen kann, haben Sebastian und seine Leidensgenossen in Heimen wie in ambulanter Betreuung schon im eigenen Umfeld erfahren. „Mancher, der erst am Monatsende krank wird, kann dann nicht zum Arzt gehen, weil er definitiv keine zehn Euro mehr für die Praxisgebühr übrig hat“, erzählt Sozialarbeiterin Christiane Defte, die psychisch Kranke in deren eigenen Wohnungen betreut – mal, was Haushaltsführung angeht, mal in Finanzdingen, ansonsten als Ansprechpartnerin in allen Lebenslagen.
„Manch einer schämt sich“
„Und manch einer, der das Geld nicht mehr hat, schämt sich ganz einfach, jemanden danach zu fragen“, weiß Margot Bischoff, Leiterin des Christophorus-Hauses in Buschhausen, in dem 20 psychisch kranke junge Menschen wohnen und von dem aus 17 weitere ambulant durch Sozialarbeiter betreut werden: „Außerdem wären das wieder zehn Euro Miese, die man mit in den nächsten Monat nimmt. Hinzu kommt, dass möglicherweise weitere Kosten entstehen könnten – für Zuzahlungen oder Medikamente, die frei verkäuflich sind. Deshalb geht mancher dann erst gar nicht zum Arzt. Wir hatten schon Fälle, wo sich auf diese Weise Erkältungen zu Lungenentzündungen ausgewachsen haben, bei denen nur noch Antibiotika halfen.“