Oberhausen. . Warum Ostern im Friedensdorf Nebensache ist – und wiederum auch nicht.
An Schoko-Hasen und bemalten Eiern kommt man dieser Tage ja gar nicht vorbei. Überall in der Stadt wird dekoriert, ist die Osterzeit sichtbar. Überall in der Stadt? Im Friedensdorf muss man nach Vorboten der Feiertage lange suchen. Nur ein paar österliche Laubsägefiguren an einem Baum künden von dem, was da kommt. An der Rua Hiroshima hat man – mit Verlaub – andere Sorgen.
Wo Kinder mit schweren Missbildungen und Kriegsverletzungen ihre dringend benötigte Behandlung bekommen, müssen Eiersuche und Osterstimmung hintanstehen. „Die medizinische Betreuung steht im Vordergrund“, sagt der stellvertretende Friedensdorf-Leiter Kevin Dahlbruch. „Sie prägt den Alltag, der bestimmt ist durch Verbandswechsel und Krankenhausbesuche. Das Freizeitprogramm strickt sich erst drumherum.“
Friedensdorf-Patienten
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Dass das Friedensdorf vor den Feiertagen ein bisschen anmutet wie ein gallisches Osterdorf, hat freilich noch einen anderen Grund: Viele der Kinder hier sind nicht-christlichen Glaubens. Zwar stammt die Mehrzahl der derzeitigen Bewohner aus Angola, wo Katholizismus und Protestantismus dominieren. Außerdem gibt es Patienten aus dem Kaukasus, deren Eltern meist orthodoxe Christen sind. Ein Großteil allerdings stammt aus Zentralasien – aus Afghanistan, Usbekistan oder Tadschikistan – und ist muslimisch.
Glaubensfragen
Viele Überzeugungen auf kleinem Raum also. Da bleibt es auch im religiös unabhängigen Friedensdorf gar nicht aus, dass Glaubensfragen zur Sprache kommen, unter den Kindern und zwischen Kindern und Betreuern. Nur beiläufig meist, nur hier und da, oft sogar unbewusst. Aber genau deshalb kann man im vermeintlich so wenig österlichen Friedensdorf, diesem Mikrokosmos der Völkerverständigung, dieser Tage vielleicht mehr über Ostern lernen als sonst irgendwo in der Stadt.
Mit dem Thema Glauben beschäftigen müssen sich die Verantwortlichen des Friedensdorfs bei ihrer Arbeit ohnehin. Wie hältst du es mit der Religion? Das ist die Gretchenfrage, die nicht zuletzt die Eltern in aller Welt interessiert, die ihre Kinder den Helfern aus Deutschland anvertrauen.
„Wir sind eine überkonfessionelle Einrichtung“, betont Dahlbruch. Den Eltern mache man deutlich, dass man ihren Glauben respektiere – so steht im Friedensdorf etwa grundsätzlich kein Schweinefleisch auf dem Speiseplan. Gleichzeitig müssten die Eltern zum Beispiel Verständnis dafür haben, dass ihre Kinder hier auch von weiblichen Medizinern behandelt werden, was für manche gewöhnungsbedürftig ist. Den Glaubensalltag im Friedensdorf beschreibt Dahlbruch so: „Es gibt hier keine Kirche und keine Moschee, aber jedes Kind darf seine Religion ausüben.“
Interkulturelle Lerneffekte
So kommt es denn auch, dass mancher kleine Bewohner fünf Mal am Tag betet und den Koran unter seinem Kopfkissen hütet wie einen Schatz. Was bei den christlichen Mitbewohnern natürlich Fragen aufwirft. Und so wie es passieren kann, dass ein angolanisches Kind am Ende seines langen Aufenthalts im Friedensdorf von den afghanischen Spielgefährten perfekt Paschtu gelernt hat, so stellen sich neben erstaunlichen sprachlichen auch religiös-kulturelle Lerneffekte ein, ganz von selbst.
Die bestehen dieser Tage auch darin, dass Kinder von Osterbräuchen aus verschiedenen Ländern erfahren. Die Friedensdorf-Bewohner aus Armenien etwa können berichten, dass die Eiersuche in ihren Familien weitgehend unbekannt ist, sie sich dafür aber mit Elan dem so genannten „Eierkampf“ widmen. Zwei Kontrahenten stoßen dabei ihre hartgekochten Eier so lange aneinander, bis eines knackt. Derjenige, dessen Kampfgerät heil bleibt, bekommt das Ei des anderen.
Ostern lässt sich nicht aussperren
Wenn im Speisesaal des Friedensdorfes dieser Tage also fleißig Eier aneinandergehauen werden, dann hat sich der armenische Brauch unter den Kindern herumgesprochen. Also doch bunte Eier im gallischen Osterdorf? Ja, sagt Kevin Dahlbruch. So ganz lassen sich die christlichen Traditionen und ihre modernen Erscheinungsformen eben nicht aussperren. Das kann man nicht, und das will man auch gar nicht. Auch Schoko-Hasen werden schon deshalb auftauchen, weil es nach Ostern meist viele Süßigkeiten-Spenden gibt, über die man im Friedensdorf dankbar ist.
„Wir wollen die Kinder nicht verwestlichen“, sagt Dahlbruch. „Andererseits sind wir hier in Deutschland und das ist eben unsere Kultur.“ Ja, selbst eine Eiersuche am morgigen Sonntag ist nicht ausgeschlossen. Weil die – so darf man annehmen – allen Kindern Freude bereitet, ganz gleich, wo sie herkommen.
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