Oberhausen. Den Druck, der auf dem Theater lastet, spüren auch die Schauspieler. Ein Gespräch mit Michael Witte.

Wenn Intendant Peter Carp von der Arbeit des Theaters Oberhausen in Zeiten des Sparens erzählt, bemüht er gerne das Bild eines Schiffs. Obwohl die Last immer schwerer wird, soll es weiter volle Kraft fahren. „Da knirscht und knarrt es in allen Ecken.“ Will sagen: Die Sparzwänge verlangen dem Haus alles ab, während dieses weiter beste Qualität liefert. Was bedeutet das eigentlich für die künstlerische Mannschaft an Bord? Spüren die Schauspieler den zunehmenden Druck?

„Das kommt bei uns an“

Ja, sagt Michael Witte (54), „das kommt auch bei uns an“. Witte ist dieser Tage der richtige Mann, um sich über das Thema zu unterhalten. Nächste Woche steht er in der Wiederaufnahme von Dostojewskis „Der Idiot“ auf der Bühne – inszeniert von Andriy Zholdak, der von den Schauspielern bekanntermaßen körperlich wie seelisch einiges fordert. Trotzdem freut sich Witte. „Wir können bestimmte Produktionen nur schwer wieder aufnehmen, das ist ein unheimlicher Akt. Wenn weiter gekürzt wird, wäre so etwas nicht mehr möglich.“

Man kann Witte, seit acht Jahren Ensemblemitglied, nicht den Vorwurf machen, unter einer künstlerischen Käseglocke zu agieren. Witte kennt die Zahlen. Er weiß, wie viel das Theater in den vergangenen Jahren bereits eingespart hat, auf wie viele Produktionen man verzichten musste – auch wenn er zugibt, dass das nicht immer so war. Inzwischen aber sind die Rufe nach mehr Einsparungen, ist der Druck auch bei den Schauspielern angekommen. „Das Theater hat schon genug geblutet. Trotzdem tun wir alles, um innovativ zu sein und der Stadt ein kulturelles Herz zu geben – und das mit Erfolg.“

„Seelische Armut droht“

Umso mehr bereitet es Witte Sorge, dass neben der in dieser Spielzeit ohnehin einzusparenden eine Million Euro nun die Forderung nach weiteren 100 000 Euro im Raum steht. Und umso mehr erzürnen den Mimen die jüngst von einer Gruppe Autoren vorgebrachten Thesen zum Kulturbetrieb in Deutschland. Unter dem Titel „Der Kulturinfarkt“ diagnostizieren sie, die Institutionen seien zu teuer, zu sehr abhängig von staatlicher Förderung, außerdem rückständig, unmodern, ideenlos. Zum Kurieren der Missstände empfehlen sie, in der Fläche zu sparen und statt dessen an weniger Orten in mehr Qualität zu investieren.

„Das ist gefährlich“, sagt Witte. Er sei durchaus gegen Denkverbote, „jede Institution muss sich immer wieder hinterfragen“, aber: „Ohne Stadttheater würden wir geistig und seelisch verarmen.“ Das gelte für Oberhausen, wo die Kulturlandschaft dünn besiedelt sei, in besonderem Maße: „Das Theater ist hier identitätsstiftend.“

Wo genau spüren Witte und seine Ensemble-Kollegen nun bei ihrer Arbeit, dass diese Rolle gefährdet ist? Zum Beispiel daran, dass die technische Ausstattung den zugleich steigenden Ansprüchen nicht mehr gerecht wird, so Witte. Oder daran, dass die Dienstpläne wegen der dünnen Personaldecke immer früher festgezurrt werden müssen, was die allseits geforderte Flexibilität erschwert. Oder daran, dass sie die nach den äußerst erfolgreichen Spielzeiten nun vielfach ins Haus flatternden Einladungen zu internationalen Festivals nur selten annehmen können. „Wir könnten Oberhausen viel besser repräsentieren.“

„Viele Bereiche am Limit“

Witte warnt: „Wir sind in vielen Bereichen am Limit. Bislang leidet nur die Quantität, aber wenn weitere Kürzungen kommen, wird auch die Qualität eingeschränkt.“ Derzeit kompensiere die große Motivation des viel gelobten Ensembles noch die schwierigen Rahmenbedingungen, aber auch die Frustrationstoleranz der Künstler ist endlich. „Wenn wir das künstlerische Niveau nicht halten können, werden manche Leute nicht bleiben.“

Dann droht der Rückfall in eben jenes Mittelmaß, das die Autoren von „Der Kulturinfarkt“ den Theatern vorwerfen. So schafft man Argumente für Schließungen. Für Oberhausen, da ist sich Witte sicher, wäre das viel mehr als ein Kulturinfarkt, sondern eine Tragödie mit ungewissem Ausgang für die ganze Stadt.