Oberhausen. Suchtkrankheiten betreffen zunehmend auch Ältere. Der Leiter eines Seniorenheims berichtet aus seiner Einrichtung.

Sucht in Alteneinrichtungen ist ein zunehmend beobachtetes Phänomen. Trotzdem sei das Thema ein Tabu, sagt der Leiter einer Einrichtung in Oberhausen. Er geht offener mit dem Problem um: „Von unseren 105 Bewohnern sind gut ein Viertel bis ein Drittel Suchterkrankte.“ Die meisten davon sind alkoholabhängig. In der Einrichtung ist Trinken erlaubt.

„Jemand, der sein Leben lang Alkohol konsumiert hat, dem das jetzt zu verbieten, das wäre eine immense Einschränkung der Lebensqualität“, sagt der 43-Jährige. In der Regel seien die Suchterkrankten seit etwa 50 Jahren abhängig. Das Trinken haben sie aus unterschiedlichen Gründen angefangen. Oft führe Einsamkeit zum Alkohol, so wie bei einem 73-jährigen ehemaligen Binnenschiffer. „Der war viel allein.“ Einen festen Wohnsitz habe er nie gehabt. Aus einem Wohnheim für Obdachlose ist er schließlich in die Senioreneinrichtung gekommen.

„Der verbringt seinen ganzen Tagesrhythmus damit, seine Sucht zu pflegen.“ Früh morgens gegen 5 Uhr gehe er jeden Tag aus dem Haus. Immer im Gepäck: eine Tüte mit belegten Brötchen. „Die verkauft er dann, um sich sein Bier holen zu können.“ Die Abhängigen haben verschiedene Strategien entwickelt, um an den Alkohol zu kommen. Im Notfall wird geklaut.

Im Supermarkt Schnaps gestohlen

„Ein Mann ist immer mit seinem Rollator zum Supermarkt gegangen, hat seinen Urinbeutel extra raushängen lassen und dann, wenn keiner geguckt hat, hat er schnell die Schnapsflasche verschwinden lassen. Das war schon klug gemacht. So einen alten Mann mit Rollator, der auch noch seinen Urinbeutel an der Seite trägt, den quatscht keiner an.“

So lange die Abhängigen ihre Sucht stillen können, seien sie recht friedlich. Das kann sich aber auch schnell ändern. Im vergangenen Jahr, als es stark geschneit hat, konnte der ehemalige Binnenschiffer seine Brötchen nicht verkaufen. „Der hat sich in den Schnee gestellt und ihn angeschrien.“ Wenn sie keinen Alkohol bekommen, werden einige Abhängige nervös und verbal aggressiv, manchmal auch körperlich. „Ich bin auch schon ein paar Mal gebissen worden“, sagt der Einrichtungsleiter.

Einige schaffen den Absprung

Harmloser äußern sich die Entzugserscheinungen bei einer 72-jährigen Frau. „Die fängt dann an zu stänkern und wird knatschig.“ Alle zwei Tage gehe sie mit ihrem Rollator zur Trinkhalle, um Schnaps zu kaufen. „Das ist wenig, aber die braucht das für den Pegel.“ In einer Zeitschrift versteckt sie dann den Alkohol. „Ihr ist das peinlich. Wahrscheinlich, weil sie keine Möglichkeit sieht, davon weg zu kommen.“

Die Chancen für eine Therapie stehen schlecht, sagt der Einrichtungsleiter: „Wenn Sie darüber mit einem Arzt sprechen werden sie ausgelacht. Dann heißt es: ‘Die ist zu alt, das lohnt nicht mehr.’“ So etwas belastet den 43-Jährigen.

Vom starken Alkoholkonsum tragen die Abhängigen organische und geistige Schäden davon. Einige schaffen aber noch den Absprung, so wie ein 87-jähriger Bewohner. Mehr als 30 Jahre hat er regelmäßig getrunken und damit seinem Magen und seiner Leber geschadet. „Mittlerweile traut er sich, wieder mal ein Bier zu trinken, aber das artet nicht aus.“ Auf Festen wird den Bewohnern auch alkoholfreies Bier abgeboten. „Wir füllen das dann in Gläser, damit die von den anderen nicht gemobbt werden.“

Vereinbarung mit dem Kiosk

Damit es trotz der Trink-Erlaubnis in der Einrichtung nicht zu Exzessen kommt, ist es dem Leiter wichtig, locker mit dem Thema umzugehen. „Mir ist lieber, die Bewohner machen das offen, als wenn sie hinterher mit einer Platzwunde im Zimmer liegen. Wenn man das in den Untergrund trägt, ist das nicht mehr kontrollierbar.“

Mit dem Kiosk in der Nähe gibt es eine Vereinbarung. „Wenn jemand stark schwankt, bekommt er kein Bier mehr oder wir dürfen es zurückbringen und bekommen das Geld wieder.“