Oberhausen. Jahrelang schämte sich Monika J. (60), weil sie weder richtig Lesen noch Schreiben kann. Jetzt besucht sie einen VHS-Kurs - und will anderen Analphabeten Mut machen.
„Du bist für sie ein Mensch zweiter Klasse!“ Wenn sie über das Verhalten ihrer Mitmenschen spricht, klingt Monika J. verbittert. Die heute 60-Jährige gehört zur Gruppe der funktionalen Analphabeten. Sie verließ einst die Schule ohne richtig lesen und schreiben können. Seit drei Jahren besucht Monika J. nun an der Volkshochschule (VHS) den Kurs „Lesen und Schreiben“ – und will anderen Mut machen, es ihr gleich zu tun. „Man braucht sich nicht zu schämen“, ist Monika J. inzwischen überzeugt – das aber war nicht immer so.
Schon sehr früh wurde bei Monika J. ein chronisches Ohrenleiden diagnostiziert. Immer wieder musste sie ins Krankenhaus, wurde mehrfach operiert, verpasste zahlreiche Schulstunden. „Wenn ich in der Schule war, habe ich oft nicht mitbekommen, was die Lehrer gesagt haben“, erinnert sich Monika J. an die Folgen ihrer Hörbehinderung. „Und weil ich nichts mitgekriegt und mich nicht beteiligt habe, meinten meine Lehrer, dass ich trotzig sei.“
Häufiger Schulwechsel
Unterstützung habe sie damals keine bekommen. „Man hat sich damals keine Mühe gegeben.“ Und es gab noch ein Problem: Nach dem frühen Tod ihrer Mutter zog sie zu ihrem Vater – und mit ihm regelmäßig um. „Mindestens sechsmal habe ich die Schule gewechselt“, erinnert sich Monika J. „vielleicht auch öfter.“ Kontinuierliches Lernen? Undenkbar. „Ich habe einfach zu viel verpasst und das Lesen und Schreiben nie ordentlich gelernt“.
Nicht immer hat Monika J. so offen über ihr Handicap gesprochen. Jahrelang versuchte sie, ihr Geheimnis zu wahren. Um nicht aufzufallen, „mogelte“ sie sich mit „Tricks“ durch den Alltag: „Wenn ich wusste, dass ich etwas ausfüllen muss, habe ich mir vorher die Hand verbunden“. An anderen Tagen erklärte sie ihrem Gegenüber, dass sie ihre Brille vergessen habe, dann wieder ließ sie sich Dokumente aus „Zeitmangel“ mit nach Hause geben.
„Ich habe mir immer neue Sachen ausgedacht, um nicht lesen oder schreiben zu müssen.“ Enge Verwandte halfen ihr beim Lesen oder Ausfüllen von Dokumenten, doch selbst vor Freunden und Bekannten hat sie ihr Handicap viele Jahre verborgen. „Ich habe mich immer versteckt“, sagt Monika J. Als sie etwa in ihrem Schützenverein als Kassiererin aktiv werden sollte, sei sie sofort ausgetreten. „Dabei hat es mir dort eigentlich gut gefallen“.
Ein schwerer Gang
Analphabeten würden „oft nicht für voll genommen. Viele Leute meinen, dass man dumm ist“, sagt Monika J. und betont: „Ich bin aber nicht dumm!“ Um es sich und anderen zu beweisen, habe sie sich irgendwann entschieden, das Lesen und Schreiben doch noch ordentlich zu lernen. „Es war ein schwerer Gang“, sagt Monika J. über ihren ersten Besuch und die Anmeldung bei der VHS. „Ich hatte Angst, habe geschwitzt, gleichzeitig gezittert“. Für den Fall, dass sie von Bekannten in der VHS gesehen und nach dem Grund ihres Besuchs gefragt werde, hatte sie immer eine Ausrede parat: „Ich besuche einen Computerkurs“.
Inzwischen spricht sie offen über ihr Handicap und den VHS-Kurs. „Wir lernen viel, haben dabei aber auch Spaß“, freut sich Monika J. Auch wenn ihr Vieles noch schwer falle, bemerke sie die Fortschritte. „Die Teilnahme lohnt sich! Wir alle profitieren davon, dass wir dort mitmachen“. Seitdem sie den Kurs besuche, sei sie selbstbewusster geworden: „Ich lasse mich nicht mehr so schnell abwimmeln“. Die Angst vor negativen Reaktion ihrer Mitmenschen sei inzwischen fast verschwunden. „Ich stehe jetzt dazu, dass ich nur schlecht Lesen und Schreiben kann.“ Ihr Ziel sei es, irgendwann Briefe lesen und schreiben aber auch selbstständig Formulare und Überweisungen ausfüllen zu können. „Ich möchte einfach nicht mehr auf Hilfe anderer angewiesen sein!“
VHS-Kurs „Lesen und Schreiben lernen“
Der Kurs „Lesen und Schreiben lernen“, den die VHS in Oberhausen anbietet, richtet sich vor allem an Menschen mit geringen Lese- und Schreibkenntnissen. Er ist auch für Teilnehmer mit sehr großen Rechtschreibschwächen geeignet. Die Volkshochschule bietet einen Vormittags- und zwei Abendkurse, die jeweils sechs Wochenstunden umfassen, an. Pro Gruppe werden acht bis 12 Personen unterrichtet. Die Teilnahme an dem insgesamt 158 Stunden umfassenden Kurs kostet 32 Euro. Beratung bei Hildegard Renner unter der Telefonnummer 825-2511 oder per E-Mail: hildegard.renner@oberhausen.de