Oberhausen.
Es dauert eine Weile, bis Heinz Schulze die sieben Stufen von seiner Wohnung bis zur Eingangstür des Mehrfamilienhauses an der Bottroper Straße überwunden hat. Ohne die Hilfe seiner Frau Angelika wäre der 64-Jährige hier bereits aufgeschmissen, könnte gar nicht erst zu seiner alltäglichen „Rolli-Runde“ aufbrechen. Seit 2004 ist Heinz Schulze auf den Rollstuhl angewiesen und kämpft sich durch den Alltag. Vor fünf Jahren begleiteten wir ihn schon einmal, ließen ihn erzählen, wo der Schuh drückt. Zeit, nachzufragen, was sich mittlerweile getan hat.
Von seiner Wohnung machen wir uns auf den Weg in die Osterfelder City. Während er mit seinem bis zu sechs Kilometer schnellen Elektro-Rolli über den Marktplatz düst, fällt sein Blick auf die Behinderten-Toilette. „Das muss ich jetzt sofort mal loben“, sagt Schulze. Die Toilette - 2006 noch mit Mülltonnen zugestellt und nur bei geöffneter Tür benutzbar - sei heute in tadellosem Zustand. „Ganz anders als in Sterkrade“, erzählt der 64-Jährige beim Weiterfahren: „Dort wird das Klo regelmäßig als Abstellraum benutzt. Warum lassen sich die Sterkrader Rollstuhlfahrer das gefallen?“ Heinz Schulze will sich nichts gefallen lassen, beschwert sich im Technischen Rathaus. Man müsse für seine Rechte einstehen. „Wenn man nichts sagt, wird sich auch nichts ändern.“
„Oberhausen ist eine rollstuhlfahrerfreundliche Stadt“
Mit dieser Einstellung fährt der Osterfelder Tag für Tag durch die Stadt, ärgert sich über Geschäfte, die keine Rollstuhlrampe haben und Autofahrer, die den abgesenkten Bordstein zuparken. Ein notorischer Quengler ist Schulze dabei nicht. Aber: „Die Probleme anzupacken ist doch besser als davonzulaufen“, sagt er und fährt mit seinem elektrischen Rollstuhl die Bergstraße hoch, den Friseur und die Kneipe dabei links liegen lassend. Pizza wäre jetzt kein Problem, „da darf ich über den barrierefreien Garagenhof ins Lokal“, sagt Schulze. Aber ein Bierchen oder ein Haarschnitt? Geht nicht, die Treppen sind einfach viel zu hoch.
„Da kann man eben nichts machen“, kann sich Heinz Schulze durchaus auch mit Dingen abfinden. Bei Schlaglöchern könne man aber sehr wohl was tun, sagt er und lobt das Verhalten der Stadt in solchen Fällen. Vor fünf Jahren waren die für ihn teils gefährlichen Straßenschäden noch ein großes Thema, heute sagt er: „Ich habe mir gute Kontakte aufgebaut. Ich schildere mein Anliegen und bekomme Hilfe.“ Resümee: „Oberhausen ist eine rollstuhlfahrerfreundliche Stadt.“
„Es fehlt ganz klar eine Toilette“
„Mensch Heinz, wie geht’s Dir, alles klar?“, ertönt es plötzlich von hinten. Der Jogger hält kurz an, klopft dem Rollstuhlfahrer freundschaftlich auf die Schulter und ist auch schon wieder verschwunden. „Ja, man kennt mich“, freut sich Schulze, den alle nur „Rolli-Heinz“ nennen, so wie es auf seiner roten Mütze steht. Und man mag ihn. „Es gab aber auch andere Zeiten“, wird Schulze nachdenklich. 30 Jahre lang sei er Mitglied im Schützenverein gewesen. Doch dann, als seine Krankheit - der Osterfelder leidet seit 40 Jahren an der Gelenkversteifung Morbus Bechterew - immer weiter fortschritt, hätten ihn die Freunde von einst ganz schnell hängen lassen.
Was ihm in solchen Momenten Halt gibt? „Meine Familie, die ist immer für mich da“, sagt er und lässt seinen Blick über den Olga-Park schweifen. Die Anlage gefalle ihm, doch allzu häufig sei er hier nicht unterwegs. „Es fehlt ganz klar eine Toilette“, meint er und denkt dabei auch an die vielen Kinder, die auf dem neuen Wasserspielplatz herumtollen.
„Es ist nicht immer einfach, durchs Leben zu rollen“
Seine eigenen drei Kinder sind Heinz Schulzes ganzer Stolz - ebenso die vier Enkel. Tochter Heike war gerade einmal drei Monate alt, als der einstige Langstreckenläufer krank wurde, Frau Angelika war 21. Hat sie nie daran gedacht, sich einen Anderen zu suchen? „Niemals“, sagt Angelika Schulze entschieden. „Ich liebe meinen Mann, wie in guten, so auch in schlechten Zeiten.“
Letztere habe es in der Vergangenheit leider immer öfter gegeben. Am schlimmsten sei es, wenn die Schmerzen so schlimm werden, dass nicht mal mehr Morphium helfe, erzählt Heinz Schulze. Doch selbst dann kann und will er nicht aufgeben, das sei er seinem kleinen Enkel schuldig. Der mehrfach schwerst behinderte Junge lebt in einer Einrichtung in Meckenheim. „Wenn ich sehe, wie sich das Würmchen trotz größter Not in seiner eigenen Welt wohlfühlt, gibt mir das Kraft. „Es ist nicht immer einfach, durchs Leben zu rollen.“ Aber wenn man immer sich nicht nur für seine eigenen, sondern auch für die Belange anderer einsetze, gewinne man seinen Lebensmut zurück.