Duisburg-Neumühl. .

Ein zu hoher Bordstein, eine schiefe Straße oder ein Eingang, der nur über eine Treppe zu erreichen ist: Für Rollstuhlfahrer offenbaren sich im Duisburger Straßenbild so manche Probleme, die einem gesunden Fußgänger überhaupt nicht bewusst sind.

Um Jugendliche zu sensibilisieren, bietet der Jugendtreff „Einstein“ an der Albert-Einstein-Straße in Neumühl allen Interessierten die Möglichkeit, beim Projekt „No Borders“ (Keine Grenzen), einmal in einem Rollstuhl durch den Stadtteil zu fahren und die Probleme Behinderter kennenzulernen.

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Einer der Jugendlichen, die jetzt die ungewohnte Position im Rollstuhl einnahmen, ist der 16-jährige Boris Fabrycy. Weit kommt er allerdings nicht, bis er klagend feststellt, dass das Fahren anstrengend ist – wirklich anstrengend: „Meine Güte, was geht das in die Arme. Ich kann nicht mehr“, sagt er und sieht zu seinen Freunden, allesamt im Rolli unterwegs. „Komm, stell dich nicht so an“, hört man einen Kumpel, der ein paar Meter vor ihm fährt, rufen. Doch Fabrycy bleibt kurz stehen und holt erstmal tief Luft. Erst einmal Pause machen. Verschnaufen.

Was Fabrycy da allerdings noch nicht weiß – es wird nicht leichter werden. Nicht nur werden seine Arme immer zittriger, auch die Straße ist nicht für Rollifahrer gemacht. Hier liegt ein Ast, dort ein Stein und eben ist der Bürgersteig schon gar nicht. Das Vorankommen ist Schwerstarbeit. Auch den anderen Jungs, die sich auf den vier Rädern gerade noch spielend fortbewegten, stehen bald die ersten Schweißperlen auf der Stirn.

Dominik Lange (16) ist auch dabei. Er ist schon ein paar Mal gefahren, doch anstrengend ist es auch für ihn. Er hält an und zieht einen Zettel aus der Tasche, auf dem die Route ist, die sie abfahren sollen. „Ist es noch weit?“, wird er von einem der vier anderen Jugendlichen zwischen 12 und 16 gefragt - und antwortet lächelnd: „Ja Mann, wir sind doch gerade erst losgefahren.“

Im Grunde genommen ist der Weg einmal um den Block nicht weit, zu Fuß ein paar Minuten, doch über Stock und Stein im Rolli werden auch kurze Wege zu weiten Strecken. Auf der Alexstraße scheint es dann plötzlich gar nicht mehr weiterzugehen. Der Bürgersteig verläuft sich und wird zu einem holprigen Weg voller Kieselsteine. Die Jugendlichen brauchen all ihre Kraft, spielen mit dem Gedanken aufzustehen, bleiben aber sitzen. Bei Dominik klappt es jedoch schon ganz gut. „Wenn man einmal die richtige Technik raus hat, geht es auch auf solchen Wegen, doch schwer ist es allemal“, sagt er. Machbar sei das alles, fügt er hinzu, doch es gebe auch Stellen, die nicht zu schaffen seien. So sei es zum Beispiel ohne Hilfe unmöglich, in die Neumühler Post zu kommen, da der Eingang nur über eine Treppe zu erreichen ist.

Die Idee, Jugendliche für das Leben der Rollstuhlfahrer zu sensibilisieren, entstand bei dem Vorhaben, den Jugendtreff des Vereins „Offene Jugendarbeit Neumühl“ behindertengerecht umzubauen. „Uns ist aufgefallen, dass man im Rollstuhl kaum durch unseren Eingang kommt“, erklärt Maximilian Winterseel, der als Betreuer im Jugendzentrum „Einstein“ arbeitet. Die Stadtteilerkundung im Rollstuhl solle die Jugendlichen jetzt zum Nachdenken bringen und aufzeigen, warum es wichtig ist, Räumlichkeiten behindertengerecht einzurichten. Obwohl die Kinder und Jugendlichen nur einen kurzen Einblick in ein an den Rollstuhl gebundenes Leben bekommen, präge dieser sie nachdrücklich. Aus anfänglichem Interesse an einer neuen Erfahrung werde so schnell Ehrfurcht vor allen, die im Rollstuhl ihr Leben meistern: „Die Jugendlichen nehmen das sehr ernst. Sie begreifen, wie schwer ein Leben im Rollstuhl sein kann“, sagt Winterseel.

Und so sind alle heilfroh, als sie nach einer Dreiviertelstunde wieder aus dem Rollstuhl steigen können.