Oberhausen. Mit Ralph Hammerthalers „Die fünfte Nacht“ geht‘s von Sterkrade nach Mülheim: Nur eines der Highlights im Frühjahrs-Programm des Literaturhauses.

Die letzte Szene seines großen Oberhausen-Romans „Die fünfte Nacht“ lässt Ralph Hammerthaler mit einer Straßenbahnfahrt enden - im winterlichen Schneetreiben. Für seine Recherchen durfte der 58-jährige Romancier sogar selbst in den Führerstand einer Tram. Und nun sorgen Literaturhaus und Stoag einträchtig für eine stilechte Lesung des Wahlberliners aus Wasserburg am Inn: im sonntäglichen Linienverkehr zwischen Sterkrader Neumarkt und Mülheimer Hauptfriedhof. Wer für 5,15 Euro eine Karte löst (oder sein Deutschland-Ticket parat hat) kann am Sonntag, 16. Juni, von 11.45 Uhr bis 12.30 Uhr dabei sein.

Paul, der Straßenbahnfahrer und Ich-Erzähler in Hammerthalers Roman, befürchtet während seiner Touren, dass sich die Erde vor ihm auftut. Hier hat der bayrische Romancier nonchalant die im mittleren Ruhrtal stets begründete Furcht vor Tagesbrüchen mal in den tiefen Westen des Reviers verlegt. In einem so lakonisch wie surreal erzählten Tagtraum sieht sich Paul sogar mitsamt Bahn und Passagieren in den Untergrund rauschen – und auf den Gleisen der alten Loren im tiefen Stollen weiterfahren. Derlei Szenen „live“ während des Vortrages von Oberhausens einstigem „Marktstraßenschreiber“ in der Bahn der Linie 112 zu erleben, verspricht ein ganz besonderes Flair. Zudem ist‘s keine Sonderfahrt, sondern eine der viertelstündlich eingesetzten grün-gelben Stoag-Trams, in der ein Teil des Publikums ganz gewiss nicht mit einer Lesung mit voralpinem Akzent rechnen wird.

Unterwegs auf Oberhausens Markstraße: Der in Berlin heimische „Markstraßenschreiber“ Ralph Hammerthaler wechselt für seine kommende Lesung in die Straßenbahn 112.
Unterwegs auf Oberhausens Markstraße: Der in Berlin heimische „Markstraßenschreiber“ Ralph Hammerthaler wechselt für seine kommende Lesung in die Straßenbahn 112. © FUNKE Foto Services | Gerd Wallhorn

60 Sitzplätze bietet die Straßenbahn. „Wir hatten schon Reservierungswünsche“, schmunzelt Hartmut Kowsky-Kawelke. Der Vorsitzende des Literaturhauses setzt auf den beträchtlichen Charme der Improvisation: „Das wird sehr free-jazzig!“

Für den nicht minder gehaltvollen „Rest“ des Quartalsprogramms bietet das Literaturhaus natürlich den bewährten Vorverkauf an - und den sollte auch bald nutzen, wer etwa die erste Begegnung zweier scharfzüngig-satirischer Stimmen der deutschsprachigen Literatur am Freitag, 10. Mai, im Theater Oberhausen nicht verpassen will. Nachdem im vorigen Mai auf der Bühne des Großen Hauses am Will-Quadflieg-Platz Ralf Rothmann aus „Die Nacht unterm Schnee“ gelesen - und seinen 70. Geburtstag gefeiert - hatte, kreist die kommende Theater-Lesung um „Das Europa von heute und das von morgen“.

Im Theater Oberhausen: Gipfeltreffen zweier scharfzüngig-satirischer Stimmen

Nach dem amüsanten bis bitteren Bestsellerroman „Die Hauptstadt“ von 2017 outet sich Robert Menasse gleich ein zweites Mal als lustvoller EU-Kritiker, der 2022 mit „Die Erweiterung“ nachlegt - und einen möglichen Beitritt Albaniens zur EU in ein Possenspiel verwandelt. Eigentlich hatten die Literaturhäusler um eine Lesung aus diesem Roman beim Verlag des 69-jährigen Wieners nachgefragt. Doch der als Literat wie als Zeitkritiker schier unerschöpfliche Bruder von Eva Menasse (die bereits als Gast des Literaturhauses zu erleben war), hatte mittlerweile auch noch einen großen Essay in Buchform vorgelegt, nämlich „Die Welt von morgen“, untertitelt „ein souveränes demokratisches Europa – und seine Feinde“.

Eine Institution der europäischen Literatur, spätestens seit seinem großen Roman „Die Vertreibung aus der Hölle“ von 2001: der Wiener Robert Menasse.
Eine Institution der europäischen Literatur, spätestens seit seinem großen Roman „Die Vertreibung aus der Hölle“ von 2001: der Wiener Robert Menasse. © dpa | Arne Dedert

Die Verquickung von Fiktion und zeitkritischer Analyse dürfte mit Robert Menassess Sparringspartnerin erst recht zur Pointenjagd werden: Denn als Moderatorin hat das Literaturhaus Mithu Sanyal eingeladen, die vor anderthalb Jahren ihre Oberhausener Lesung aus „Identitti“ bereits als „quirlige Talkshow mit Lese-Häppchen“ (so die Schlagzeile auf waz.de) inszeniert hatte. Ein hochtouriger Schlagabtausch für ein hellwaches Publikum dürfte garantiert sein.

Im Gdanska Theater: Vom kickenden Einzelkämpfer zum großen Gesellschaftsroman

Noch ein Wiedersehen, noch eine Größe der aktuellen österreichischen Literatur, gibt‘s am Freitag, 7. Juni, im Gdanska-Theater: Der 32-jährige Tonio Schachinger hatte seinen grandios giftspritzenden Fußballer-Roman „Nicht wie ihr“ bereits als Gast des Literaturhauses vorgestellt. Nun erzählt der Deutsche Buchpreisträger in „Echtzeitalter“ aus dem Alltag eines Internats, das den wohlsituierten Eltern zwar viel Geld abknöpft, deren Kinder aber einem Schreckensregiment aussetzt. Nach dem Porträt eines kickenden Einzelkämpfers nähert sich der in Delhi geborene Romancier damit bereits dem großen Gesellschaftsroman.

Tonio Schachinger verdiente sich im Vorjahr den Deutschen Buchpreis für seinen Internats-Roman „Echtzeitalter“, den er im Juni im Gdanska Theater vorstellen wird.
Tonio Schachinger verdiente sich im Vorjahr den Deutschen Buchpreis für seinen Internats-Roman „Echtzeitalter“, den er im Juni im Gdanska Theater vorstellen wird. © dpa | Arne Dedert

Im gleichen Alter, aber noch nicht annähernd so prominent wie Tonio Schachinger ist der erste Gast des Quartals am Freitag, 12. April, im Gdanska Theater: Der im hessischen Wetzlar geborene Fikri Anıl Altıntaş hat mit „Im Morgen wächst ein Birnbaum“ einen zwar schmalen, aber tief bewegenden Debütroman vorgelegt. „Der ganze Roman ist eine sehr zärtliche Annäherung an den Vater“, urteilte Miriam Zeh für Deutschlandfunk Kultur: „Ein ehrlicher Roman über Männlichkeiten jenseits des Klischees.“

Beliebte „Standards“ im Literaturhaus-Programm

Neben diesen vier Autorenlesungen bietet das Literaturhaus-Programm auch drei inzwischen wohlvertraute „Standards“. Dazu zählt im Nachklang der Leipziger Buchmesse das „Literarische Duett“ von Janelle Pötzsch und Harald Obendiek: Am Freitag, 26. April, geben beide den Bücherfans ausgefeilte Empfehlungen, aber auch einige Warnungen mit. Alljährlich im Frühjahr lädt sich das Literaturhaus einen Chor ein: Am Freitag, 24. Mai, singt in der Fabrik K 14, Lothringer Straße 64, der „Stattchor“. as Motto des Abends: „Träume sind zum Platzen da“.

Zu „Lieblingsorten“ in Alt-Oberhausen führt zum Ausklang die „LiteRadTour Vol. 7“ am Freitag, 21. Juni, von 15 bis 19 Uhr - mit entsprechend „ganz subjektiv ausgewählten Lieblingstexten“, so Rainer Piecha. Als passende Einkehr erreichen die Ausflügler das Gartenlokal „Liebling im Mühlenbach“ an der Dümptener Stadtgrenze. Online informiert literaturhaus-oberhausen.de