Oberhausen. Aus dem Archiv befördert Festivalleiter Lars Henrik Gass die vor 60 Jahren abgelehnte Böll-Verfilmung „Machorka-Muff“ in den Lichtburg-Saal.
Dieser treffliche Satz stand nicht im Redemanuskript des Oberbürgermeisters: „Er kommt mit Regieänderungen, die nicht mit ihm abgestimmt sind, grundsätzlich schlecht zurecht“, sagte Daniel Schranz und meinte Lars Henrik Gass. Den Festivalleiter der Internationalen Kurzfilmtage nämlich hatte der OB beim Eröffnungsabend im größten Saal der Lichtburg mit einem Blumenstrauß überrumpelt. Schließlich hatte der heute 57-Jährige anno 1998 erstmals als Chef die 44. Kurzfilmtage eröffnet. Es ist übrigens auch das „Silberjubiläum“ der Lichtburg als Festivalkino.
Gass kommentierte grämlich und mit Blick auf die 70. Ausgabe der Kurzfilmtage im nächsten Jahr: „Dann kommt die goldene Ehrennadel – und dann das Ehrengrab.“ NRW-Kulturministerin Ina Brandes war also vorgewarnt, ehe sie ans Mikrofon vor der großen Leinwand trat. Ihre etwas fahrige Rede ließe sich immerhin noch mit Jetlag erklären, schließlich kehrte die CDU-Politikerin gerade von einem straffen Besuchsprogramm mit Museumsdirektoren durch die New Yorker Kunstszene zurück. Um sich dann in der Lichtburg die Untiefen deutscher Filmförderung anzutun – sonst ein bevorzugtes Ziel Grass’scher Rhetorik. Ganz anders als der Festivalleiter sieht die 45-Jährige „keinen Widerspruch zwischen künstlerischer Qualität und kommerziellem Erfolg“ an den Kinokassen.
Als kleine Morgengabe an ihre Oberhausener Gastgeber kündigte Ina Brandes einen „eigenen Förderzugang für den Kurzfilm“ an. Gass ging in seiner Rede nicht darauf ein. Seine Ansprache hatte andere Helden – und eine Heldin: Christina von Schweden (1626 bis 1689), die als Königin abdankte, um als Katholikin in Rom zu leben. Und damit war noch nicht einmal der sentimentale Historienfilm von 1933 mit Greta Garbo (1905 bis 1990) gemeint. Die Schauspielkunst der „Göttlichen“ war schließlich das genaue Gegenteil zum gewollt ausdruckslosen, unbeteiligt scheinenden Spiel der Laiendarsteller in den Filmen von Jean-Marie Straub (1933 bis 2022).
Straubs Filmsatire im Wiederaufbau-Dekor
Gass hatte als quasi prophetischen Kommentar zur aktuellen „Zeitenwende“ ein Straub’sches Kleinod aus den Archiven – nein, nicht des Vatikans – sondern der Kurzfilmtage wiederentdeckt: Seine irgendwie kabarettistische Rede war der lange Anlauf für die herb-amüsanten 18 Filmminuten von „Machorka-Muff“. Die Filmversion einer Satire von Heinrich Böll (1917 bis 1985, noch so ein kritischer Katholik) wurde vor 60 Jahren noch von den Auswahlgremien der „Westdeutschen Kurzfilmtage“ – im Jahr 1 nach dem Oberhausener Manifest – abgelehnt, aber „außer Konkurrenz“ dennoch gezeigt.
Heute entzücken die schwarz-weißen Bilder bereits dank des Wiederaufbau-Dekors in Hotelfoyers und Bars und jener Straßenszenen, durch die der Titelheld, ein frisch ernannter General der „neuen Wehrmacht“, vor seiner Amtseinführung flaniert. Machorka-Muff „rehabilitiert“ einen Weltkriegs-General, dem Hitler vorgeworfen hatte, nicht genügend Soldaten an der Front verheizt zu haben.
„Die Geschichte der Vergewaltigung eines Landes“
Die kleine Böll-Satire gegen die Gründung der Bundeswehr nannte Jean-Marie Straub (so zitierte ihn Gass) „die Geschichte der Vergewaltigung eines Landes, dem man eine Armee aufgezwungen hat“. Und dieser Satz passt verblüffend genau auf die seit 14 Monaten tägliche Situation in der Ukraine.