Düsseldorf. Die neue Kultur- und Wissenschaftsministerin Ina Brandes über den Wintersemester-Start, ihren Kulturbegriff - und Winnetou.
Schwieriger könnte der Start kaum sein: Die neue Ministerin für Wissenschaft und Kultur, Ina Brandes (CDU), muss Hochschulen und Kultureinrichtungen durch einen Winter voller Unsicherheiten durch Corona und Energiekrise bringen. Tobias Blasius, Jens Dirksen und Matthias Korfmann trafen Brandes in Düsseldorf.
Frau Ministerin, Sie haben Politikwissenschaften, Geschichte und Englische Philologie in Göttingen und Rom studiert. Was für ein Typ Studentin waren Sie?
Ich hatte das große Glück, dass ich fast die gesamte Studienzeit über an Forschungsprojekten mitgearbeitet habe. Am Lehrstuhl in Göttingen bekamen junge Leute früh die Möglichkeit, selbst zu veröffentlichen oder Lehrveranstaltungen vorzubereiten, eben wissenschaftlich zu arbeiten. Davon profitiere ich bis heute.
Inwiefern?
Auch als Wissenschaftsministerin ist mir noch aus eigenem Erleben sehr bewusst, wie wichtig für Studierende der Präsenzbetrieb in den Hochschulen ist und dass sie dort auf Lehrende treffen, die sich so individuell wie möglich um sie kümmern können.
Energiekrise und Corona-Ungewissheiten sorgen für Verunsicherung vor dem Semesterstart. Wird ein normaler Lehrbetrieb möglich sein?
Nach derzeitigem Stand ja. Es gibt nach zwei Corona-Wintern und trotz der ehrgeizigen Energieeinsparziele an allen Hochschulen den großen Wunsch nach Normalität. Wir wollen bei deutlich reduziertem Gasverbrauch und mit unserem bewährten Instrumentenkasten im Falle steigender Infektionszahlen gut durch das Wintersemester kommen. Vor allem für Studierende, die zuhause weniger Unterstützung erfahren oder aus dem Ausland zu uns gekommen sind, ist die persönliche Begegnung auf dem Campus durch nichts zu ersetzen.
Gerade diese Gruppe treffen steigende Semesterbeiträge, höhere Wohnkosten oder teureres Mensa-Essen hart. Wird das Land die Zuschüsse an die Studierendenwerke stärker als die angekündigten drei Prozent erhöhen?
Hilfen für die Studierendenwerke, Unterstützung für studentisches Wohnen und Themen wie der Ausbau der psychosozialen Beratung an den Hochschulen stehen ganz oben auf der Agenda. So lange wir nicht wissen, wie hoch der Finanzierungsanteil des Landes am dritten Entlastungspaket des Bundes sein wird und welche Spielräume uns dann noch bleiben, ist es unseriös, zum jetzigen Zeitpunkt konkrete Versprechungen zu machen.
Schwarz-Grün hat eine Studienstarthilfe von 1000 Euro für Studierende in prekären Lebenslagen angekündigt. Wann kommt sie?
Der Studienerfolg darf keine Frage des Geldbeutels sein. Da die Bundesregierung ebenfalls eine Studienstarthilfe angekündigt hat, wollen wir die Programme sinnvoll ergänzen und dort helfen, wo es dann noch nötig ist.
Sie haben vor ihrer politischen Karriere viele Jahre als Managerin in der Infrastrukturbranche gearbeitet. Wie begegnen Sie dem zunehmenden Mangel in MINT-Fächern und Ingenieurberufen?
In mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern und in Ingenieursfachrichtungen haben wir eine relativ hohe Quote an Studienabbrechern und Langzeitstudierenden. Ich bin überzeugt, dass wir noch mehr dafür tun können, diese jungen Menschen in ihrer ursprünglichen Ausbildungsrichtung zu halten - selbst wenn der angestrebte Abschluss nicht erreicht wird. Der Umstieg auf ein thematisch verwandtes Studienfach oder der Wechsel in eine technische Ausbildung muss besser begleitet werden - bis zum erfolgreichen Abschluss.
Wie können Sie schon bei der Studienwahl ansetzen, damit es erst gar nicht zum Abbruch kommt?
Mir ist wichtig, dass das Hochschulsystem so durchlässig ist, dass möglichst viele Talente ihren Weg finden. Ich begrüße deshalb sehr, dass sich Universitäten und Hochschulen enger vernetzen und etwa in technischen Fachrichtungen versuchen, Studierenden im ersten Semester gemeinsam Orientierungsangebote zu machen. Mit 18 oder 19 weiß noch nicht jeder, welcher Studiengang und welche Hochschule wirklich passen.
Ihre zweite Ressortzuständigkeit ist die Kultur. Obwohl Sie sich zuletzt noch im Fernstudium mit der Schriftstellerei beschäftigt haben, waren Sie als Frau aus der Wirtschaft und vorherige Verkehrsministerin nicht die natürliche Anwärterin auf diesen Posten …
Mir war es immer wichtig, mein Interesse an möglichst vielen Lebensbereichen wachzuhalten und mich nicht thematisch einengen zu lassen. Dass ich den überwiegenden Teil meines Berufslebens außerhalb der Politik verbracht habe, schadet wahrscheinlich weder mir noch der Politik. Der Perspektivwechsel ist sogar sehr hilfreich, finde ich.
Welchen Zugang zur Kultur haben Sie?
Ich bin in einem klassisch bildungsbürgerlichen Elternhaus aufgewachsen und gehe seit jeher gern in die Oper, ins Theater und in Ausstellungen. Schon in den ersten Monaten im Amt habe ich ganz neue Zugänge zur Kunst kennenlernen dürfen, weil ich zu Veranstaltungen eingeladen werde, zu denen ich privat wahrscheinlich nicht gegangen wäre. Die Lernkurve in diesem Ministeramt ist einfach großartig steil. Im Übrigen bin ich ein großer Freund davon, dass sich Kulturangebote nicht nur Feuilleton-Lesern erschließen. Unser Anspruch muss sein, dass wir alle Menschen im Land mit unserem Kulturangebot erreichen.
Welche Opern schätzen Sie?
Ich mag moderne Inszenierungen der Klassiker, wenn sie nicht zu überdreht sind. Und bin ein großer Fan des Dirigenten Christian Thielemann.
Die Erwartungen der Kulturszene an Sie sind hoch. Bleibt es trotz der Energiekrise bei dem Vorhaben, den Kulturetat bis 2027 um 50 Prozent zu erhöhen? Und wie verhindern Sie, dass die Kommunen an anderer Stelle kürzen?
CDU und Grüne haben sich klar dazu bekannt, den Kulturetat in dieser Legislaturperiode um 50 Prozent zu erhöhen. Die Kulturszene hat sich von der Corona-Pandemie noch nicht erholt und kämpft um ihr Publikum. Es ist daher wichtig, dass die kommunale Förderung nicht in dem Maße heruntergefahren wird, in dem wir als Land unsere Bemühungen erhöhen.
Wie geht es weiter beim Deutschen Fotoinstitut, um das sich Essen und Düsseldorf streiten?
Wir sind weiterhin in guten und vertrauensvollen Gesprächen mit dem Bund. Wenn die noch offenen Finanzierungsfragen beantwortet sind, können wir uns abschließend mit der konkreten Umsetzung des Bundesinstituts für Fotografie und der Klärung des Standorts beschäftigen.
In letzter Zeit wurde viel über kulturelle Aneignung – Stichwort Winnetou oder Rasta-Zöpfe – diskutiert und die Kunstfreiheit am Beispiel des Ballermann-Songs „Layla“ vermessen. Können Sie damit etwas anfangen?
Ich bin der Überzeugung, dass Verbote in der Kunst immer nur das allerletzte Mittel sein können, weil sie meist Fronten verhärten, ohne die kulturelle Sensibilität zu fördern.