Oberhausen. Kritiker großer Feuilletons würdigen, überwiegend schwer beeindruckt, die Relevanz der Regiearbeit von Oberhausens Intendantin Kathrin Mädler.

Nach 101 Lebensjahren hat sich Leni Riefenstahl (1902 bis 2003) eine makabre Art von „Unsterblichkeit“ gesichert: Der Name von Hitlers Propagandistin „zieht“ – und das gilt in besonderem Maße auch für die Uraufführung von John von Düffels „Die Wahrheit über Leni Riefenstahl (inszeniert von ihr selbst)“. Die Kulturredaktionen etlicher Zeitungstitel und Feuilletons vom Onlineportal „Nachtkritik“ bis zur Fachzeitschrift „Theater der Zeit“ sorgten für eine große Resonanz auf diese jüngste Regiearbeit von Oberhausens Intendantin Kathrin Mädler.

Etliche Theaterbesucher dürften sich wundern, warum bei einer so großen und durchaus provokanten Produktion seit dem Uraufführungswochenende Anfang Februar erst jetzt der nächste Aufführungstermin naht: Im März ist „Die Wahrheit über Leni Riefenstahl“ erneut nur an zwei Abenden, Freitag, 17., und Sonntag, 19., zu sehen. Die Erklärung liegt in der „verknappten“ Spielzeit, weil sich das Große Haus wegen unerwartet verlängerter Sanierungsarbeiten im Januar nicht bespielen ließ. Und die ebenfalls aufsehenerregende Tanzproduktion „Faster“ ist als Gastspiel mit ihrer Reihe von Terminen vertraglich fest gebucht. So kommen die drei Lenis (Anke Fonferek, Ronja Oppelt und Maria Lehberg) der Mädler-Inszenierung leider seltener zum Zuge, als es die Publikums-Nachfrage zuließe.

Gekonnt geklaut bei Martin Wuttke als „Arturo Ui“: Die beiden Hitlers (Philipp Quest und Torsten Bauer) biegen sich zu Hakenkreuzen, skeptisch betrachtet von der jungen und der 85-jährigen Leni Riefenstahl (Maria Lehberg und Anke Fonferek).
Gekonnt geklaut bei Martin Wuttke als „Arturo Ui“: Die beiden Hitlers (Philipp Quest und Torsten Bauer) biegen sich zu Hakenkreuzen, skeptisch betrachtet von der jungen und der 85-jährigen Leni Riefenstahl (Maria Lehberg und Anke Fonferek). © Theater Oberhausen | Monika Forster

Kein konventionelles Doku-Drama, sondern eine auf dem schmalen Grat der Farce tänzelnde Revue – dieser Zugriff von Autor und Regisseurin hat die Kritikerschaft überwiegend beeindruckt. Kathrin Mädler und ihre Ausstatterin Mareike Delaquis Porschka liefern gerne „große Bilder“ – sei es ein Bühnenhimmel voller überlebensgroßer Möwen oder jenes in der Theaterwelt ikonische Zitat, für das einst Martin Wuttke als Bert Brechts Hitler-Karikatur „Arturo Ui“ sorgte: die Selbstverrenkung zum lebenden Hakenkreuz.

Überzeichnete Szenen provozieren „schauriges Lachen“

Wenn allerdings die beiden Hitlers (Torsten Bauer und Philipp Quest) hechelnd vor der jungen Riefenstahl die Pfoten heben und in hündisches „Heil“-Gebell verfallen, kippe die bissige Groteske „ins Läppische“, monierte die Autorin der „Nachtkritik“, erkennt im Resümee ihres Textes aber dennoch einen „wuchtigen Abend“. Trotz teils „zu lauter als unterhaltsamer Satire“, hieß es in der WAZ-Rezension von Wolfgang Platzeck, „vergehen die zweieinhalb Stunden im Fluge“.

Mit schaurig-schönen Show-Versatzstücken leuchtet das Bühnenbild von Mareike Delaquis Porschka dem „Riefenstahl“-Publikum heim.
Mit schaurig-schönen Show-Versatzstücken leuchtet das Bühnenbild von Mareike Delaquis Porschka dem „Riefenstahl“-Publikum heim. © Theater Oberhausen | Monika Forster

Fast alle Kritikerinnen und Kritiker unterscheiden zwischen jenen „überzeichneten Szenen, die ein schauriges Lachen herausfordern“, so die Rheinische Post, und dem wie ein Tribunal gestalteten zweiten Teil, in dem Philipp Quest nun als Anklägerin Nina Gladitz (1946 bis 2021) auftritt – als jene Dokumentarfilmerin, die von Riefenstahl in den Ruin prozessiert wurde.

Neue Intendanz „blickt geistreich in unsere Geschichte“

Den menschenverachtenden Umgang der NS-Propaganda-Regisseurin mit der Roma-Statisterie ihres „Tiefland“-Filmes illustriert auf der Oberhausener Bühne das zynische Spiel mit Modell-Kulissen und Miniatur-Figuren, „umgeschnipst mit dem Finger, groß projiziert auf der Filmleinwand“. Sarah Heppekausen verweist in ihrem Beitrag für „Theater der Zeit“ zugleich auf die erste Uraufführung der Saison am Will-Quadflieg-Platz: „Welt überfüllt“ von Anna Gmeyner aus dem Berlin von 1930. Die neue Intendanz, so die Kritikerin, „blickt geistreich in unsere Geschichte“.

Ähnlich umfassend würdigt Alexander Menden für die Süddeutsche Zeitung die erste Mädler-Spielzeit: „Die neue Intendantin ist in der Stadt positiv aufgenommen worden. Nach der umstrittenen Intendanz Florian Fiedlers sorgt Mädlers weniger didaktischer Ansatz für eine meist gute Auslastung.“

Logisch, dass solche Wertungen beim Theater-Team für Hochstimmung sorgen dürften. In einem Punkt allerdings bleibt der Nachruhm von Hitlers Reichsparteitags- und Olympia-Propagandistin verhängnisvoll: Für das Gros der Rezensenten gilt Leni Riefenstahl noch immer als „brillante Filmkünstlerin“ (so die SZ) oder gar als „Mythos“ (so die Rheinische Post). Dabei war Nina Gladitz, die Kronzeugin für Autor John von Düffel, mit Filmdoku und Buch überzeugend angetreten, dieses angeblich „unpolitische“ Künstlertum zu demontieren. Mit „Ariern aus dem Grusel-Kabinett“ tut das Theater Oberhausen dazu sein Möglichstes.