Oberhausen. Im Interview spricht Oberhausens Schuldezernent Jürgen Schmidt über den Offenen Ganztag, den Ausbau der Digitaltechnik und den Lehrermangel.
Jürgen Schmidt war im vergangenen Jahr nicht zu beneiden. Sein Dezernat umfasst die Bereiche Schule, Integration, Familie und Sport. Salopp gesagt: In allen Bereichen brannte es. Heraus ragt der Schul- und Familienkomplex, der mit einer Vielzahl von Krisen und Veränderungen konfrontiert war. Im Interview spricht der 61-jährige Oberhausener über die Herausforderungen durch die Pandemie und den Ukraine-Krieg, neue Schulprojekte und den Stand der Kita-Betreuung.
Herr Schmidt, sind Sie froh, dass 2022 vorbei ist?
Jürgen Schmidt: Es war ein bewegendes, ein anstrengendes Jahr für alle, die in der Stadtgesellschaft engagiert sind. Aber es war aller Mühen wert. Zum Beispiel für die Menschen, die aus der Ukraine zu uns gekommen sind. Es ist beeindruckend zu sehen, dass es gelungen ist, rund 800 Kinder und Jugendliche in den Schulen unterzubringen.
Gehört das zu den Aufgaben, die noch nicht abgeschlossen sind?
Wir wissen noch gar nicht, wie viele der geflüchteten Menschen hierbleiben. Manche Quellen gehen von 30 Prozent aus. Aber solange die Kriegswirren fortdauern, sind erstmal 100 Prozent hier. Das macht die Planung schwierig. Dafür ist in der Corona-Pandemie etwas Ruhe eingekehrt. Die Pandemie hat uns durch die Schutzmaßnahmen sehr belastet. Die Einschränkungen haben alle Bereiche betroffen. Seit Sommer ist es zum Glück ruhiger geworden.
Oberhausener Schuldezernent Schmidt: Sorge vor den Nachwirkungen der Pandemie
Von der einen in die nächste Krise – sehen Sie das auch so?
Ich glaube schon, dass das ein Gefühl ist, das viele wahrgenommen haben. Einen Moment des Durchatmens, den es hätte geben können, hat es durch den Krieg nicht gegeben. Wir haben den Zuzug gut bewältigt bekommen, weil in Oberhausen eine Willkommenskultur herrscht. Dennoch bedeutete der Zuzug geflüchteter Familien etwa, dass die Klassenstärken wuchsen und die Sorge auslöste, dass Kinder auf dem Weg verloren gehen.
Teilen Sie die Sorge?
In Bezug auf die Corona-Pandemie schon. Es gibt viele Programme, durch die der entgangene Schulstoff aufgeholt werden soll. Die Frage ist nur: Erreicht man auch alle Kinder, die es nötig haben? Die Gefahr besteht, dass Defizite nicht oder zu spät erkannt werden. Ich merke in den Gesprächen mit Schulleitern, dass es große Anstrengungen gibt, den Rückstand aufzufangen. Auch unser digitales Angebot iserv, dass die Stadt viel Geld gekostet hat, hilft dabei. Der Präsenzunterricht kann aber nicht ersetzt werden.
Der Ausbau der digitalen Technik im Bereich Schule ist bemerkenswert. Nach und nach werden alle Schulen ans schnelle Glasfasernetz angeschlossen. Wo steht Oberhausen in der Entwicklung?
Wir sind sehr, sehr weit vorangeschritten. Das liegt an einem frühzeitigen Agieren mit einem Konzept, dass es nur in wenigen Kommunen gibt: ein eigenes Schulnetz aufbauen, das den Schulen ermöglicht, WLAN und digitale Endgeräte zu nutzen. Durch das Glasfasernetz ist der Austausch hoher Datenvolumen möglich, zudem sind wir unabhängig von Telekommunikationsanbietern. In der Schullandschaft ist dieser Fortschritt ein großer Vorteil. Perspektivisch wird das auch ein guter Grund sein, warum sich Lehrkräfte für Oberhausen entscheiden.
Viele Schulen kämpfen mit einem Lehrermangel. Liegt das am Image der Stadt?
Es gibt nicht so viele Städte, die so lange in der Haushaltskonsolidierung stecken wie wir. Der Lehrermangel ist aber ein landesweites Problem. Was kann man da tun? Ich denke, dass die Grundstimmung in den Schulen und den Teams vor Ort wichtig für die Entscheidung angehender Lehrkräfte ist. Zweitens spielt das Schulprogramm eine große Rolle. Drittens müssen wir als Stadtverwaltung uns darum kümmern, dass der Zustand der Schulen weiter verbessert wird. Da sind wir auf einem guten Weg. Wir bauen eine neue Gesamtschule, haben Programme gestartet für die Verbesserung von Fachräumen, Lüftungsanlagen, Toilettenanlagen und dem Mittagessen an Grundschulen. Letzteres ist noch weiter ausbaufähig, weil zum Teil größere Mensen fehlen. Aber auch da passiert etwas. All diese Maßnahmen werden dafür sorgen, dass die Kolleginnen und Kollegen sich wohler fühlen – und anderen davon erzählen.
Stadt plant Ausgaben von 45 Millionen Euro im nächsten Jahr
Neue Gesamtschule
Die neue Gesamtschule soll am Standort der ehemaligen Hauptschule St. Michael entstehen. An der Knappenstraße sollen ab dem Schuljahr 2025/26 1300 Schülerinnen und Schüler unterrichtet werden.
Für die Stadt ist es ein großes Projekt: Der Neubau mit 16.000 Quadratmetern soll 85 Millionen Euro kosten. Der Baubeginn ist für das Jahr 2024 geplant.
Wie viel Geld soll 2023 für die Schulen ausgegeben werden?
Wir haben im Haushalt über 140 Millionen Euro, die investiert werden sollen – ein Drittel davon, etwa 45 Millionen Euro, sind für die Schulen vorgesehen. Der größte Schluck aus der Pulle kommt also der Bildung zu. Ein Teil fließt in die Planung der neuen Gesamtschule.
Oberhausen baut nach vielen Jahren eine neue Schule. Allerdings müssen weiterhin viele Schülerinnen und Schüler mit veralteten Fluren und Klassenzimmern leben. Ist das eine nie endende Geschichte?
Wir haben 50 Schulstandorte in Oberhausen. Viele davon sind in die Jahre gekommen und bieten durch ihre Bauweise kaum Möglichkeiten, sie zukunftsfähig zu machen. Mit einer konventionellen Bauweise hält ein Schulgebäude 60 Jahre. Ich frage mich, ob wir da nicht flexibler werden müssen, da pädagogische Konzepte sich ständig wandeln. Es gibt aber durchaus Chancen, in konventionellen Gebäuden alternative Nutzungen hinzubekommen. Ich habe mir Modellprojekte angeschaut, bei denen man sieht, wie ein Raum mehrfach genutzt und schnell umgestaltet werden kann. Darauf können wir intensiver schauen.
Die Betreuung im Offenen Ganztag wird immer wichtiger. Oberhausen erreicht eine Betreuungsquote von 77 Prozent. Der Rat hat eine 82 Prozent-Quote durchgesetzt. Sind Sie darüber froh?
Ich habe darum gekämpft. Wir sind auf dem Weg des Rechtsanspruchs, der ab 2026 umzusetzen ist. Ich hätte es für schwierig gehalten, von den erreichten 77 Prozent zurückzugehen, um nicht mehr Geld ausgeben zu müssen. Als Anwalt der Bildungspolitik sage ich: Wir sollten nicht zurücktreten von dem Erreichten. Darum beneiden uns andere Städte. Manche Kommunen sind erst bei 30 Prozent.
Warum hat sich Oberhausen so früh dazu entschieden, den Offenen Ganztag auszubauen?
Wir haben viele Stadtviertel mit geringen Sozialwerten. In denen leben zum Beispiel viele Alleinerziehende und Arbeitslose. Der Offene Ganztag bietet die Chance, mit einem Betreuungsangebot einer Beschäftigung oder Qualifizierungsmaßnahmen nachzugehen. Die Prozentzahl, die wir haben, ist wirklich beeindruckend.
Kita-Betreuung: Schwierige Suche nach Grundstücken
Die digitale Technik und der Offene Ganztag sind erfreuliche Entwicklungen. Bei der Kita-Betreuung gibt es hingegen noch viel Potenzial. Warum hinkt die Stadt dem Bedarf hinterher?
Das Angebot reicht derzeit nicht aus. Die Rahmenbedingungen sind schwierig. Die Suche nach Grundstücken gestaltet sich schwierig. Zum einen liegt es daran, dass neue Wohngebiete geschaffen werden, in deren Umfeld kaum Platz für eine Kita ist. Zum anderen haben wir viele Kitas im Plan, allerdings ziehen sich die Baumaßnahmen wegen der aktuellen Situation hin. Deshalb müssen wir Übergangslösungen schaffen. Wir versuchen, alle zu motivieren, und führen viele Gespräche mit Trägern und Investoren, aber das Angebot ist auch nur begrenzt für uns steuerbar.
Es gibt die Forderung, dass die Fördergelder wegen der Preissteigerungen angehoben werden müssen. Erwarten Sie von der Landesregierung, dass sie nachsteuert?
Ich hoffe das auf jeden Fall. Es ist kein Geheimnis, dass die Baukosten durch die Inflation und die Entwicklungen der letzten Zeit steigen. Wir werben auf Landesebene dafür, die Fördermittel anzuheben. Mehr können wir aber nicht tun, der städtische Haushalt kann nicht alle Mehrkosten auffangen.
Zum Schluss ihr persönliches Fazit: Was hätte besser laufen müssen?
Für uns ist die Schulentwicklungsplanung eine große Herausforderung. Da geht es auch darum, allen Schülerinnen und Schülern und auch Schulformwechslern ein gutes Bildungsangebot machen zu können.
Damit kämpfen gerade vor allem die vier Gesamtschulen.
Die Zahlen sind stark schwankend. In der Pandemie war die Zahl der Schulformwechsler gering. Plötzlich hatten wir 60 bis 70 Schülerinnen und Schüler, die eine neue Schule brauchten. Das sind drei Klassen. Wir sind darüber in ständigen Gesprächen mit allen Beteiligten, die Kommunikation klappt hervorragend. Aber die Realschulen sind voll, Hauptschulen gibt es nicht. Es bleiben also nur noch die Gesamtschulen. Diese setzen sich zum Glück sehr engagiert ein und nehmen sich der Kinder und Jugendlichen an. Dennoch bleibt dieses Thema für die Zukunft eine Aufgabe.
Was hat Sie im vergangenen Jahr stolz gemacht?
Da fällt mir als Erstes die Einbindung der geflüchteten Kinder und Jugendlichen aus der Ukraine ein. Das ist für mich eine ganz herausragende Geschichte, an der viele Menschen in Oberhausen beteiligt waren.