Oberhausen. Rekordverschuldung, steigende Zinsen – die finanzielle Lage von Oberhausen ist brenzlig. Das drückt die Stimmung der Politiker spürbar.
Politiker, zumal die gewählten in den Stadträten, sind auch nur Menschen. Sie sind gebeutelt von den Mehrfachkrisen, sie sind traurig über das Schicksal der Ukraine, sie sind frustriert, dass die Oberhausener Finanzlage nach einem Spar-Jahrzehnt so desaströs ist wie noch nie zuvor in der Stadtgeschichte.
Und dies alles spiegelt sich natürlich auch in den Reden der Fraktionen und Gruppen zum Haushalt 2023 am Montag wider, die traditionell grundsätzlich mit der Stadtpolitik und der Weltpolitik der vergangenen Jahre abrechnen. Denn letztendlich trifft fast jede weltweite Katastrophe am Ende irgendwie auch die Bürger vor Ort: Über 3400 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine hat Oberhausen bereits aufgenommen, über 5000 waren es ab dem Jahr 2015 nach den schrecklichen Kriegen in Syrien, im Irak und in Afghanistan; Steuerausfälle durch internationale Finanz- und Wirtschaftskrisen beuteln eine arme Stadt.
Ja, es gab an diesem Montag während der Ratssitzung auch Danksagungen für die Arbeit der vielen freiwilligen Helferinnen und Helfer in der Stadtverwaltung, die sich intensiv um das Elend der Flüchtlinge, aber auch der armen Familien hierzulande kümmern; die versuchen, Radlern das Leben durch bessere Radwege leichter zu machen, die die Schulbauten ertüchtigen und die Digitalisierung nach vorne bringen. Doch überwiegend waren die Reden zum Haushalt 2023 geprägt von Nüchternheit und Enttäuschung.
Oberhausener Haushalt mit schlimmen Zahlen
Denn die Zahlen sind zu schlimm: Oberhausen gibt erstmals mehr als eine Milliarde Euro bei Einnahmen von 960 Millionen Euro aus, muss wegen der Multi-Krisen über 88 Millionen Euro neue Schulden machen und häuft 2,3 Milliarden Euro Schuldenlast bis Ende 2023 an. Das ist eine historische Rekordverschuldung in der Stadtgeschichte: über 10.000 Euro je Einwohner – und das nach über zehn Jahren Einsparungen von über 400 Millionen Euro. Und das bei steigenden Kreditzinsen. Folge: Der Spielraum für Politiker, die Lebensqualität der Bürger zu verbessern, löst sich auf.
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Dem Haushalt 2023 zugestimmt haben am späten Montagnachmittag im Saal Berlin der Luise-Albertz-Halle am Ende gleichwohl SPD, CDU und BOB – insgesamt 40 Stimmen von 57. Was bleibt der Ratsmehrheit auch anderes übrig? Dagegen gestimmt haben Grüne, AfD und Linke Liste (insgesamt 15 Stimmen). Die FDP hat sich mit ihren zwei Stimmen enthalten.
CDU-Fraktionschefin Stehr findet auch gute Nachrichten aus dem Stadtleben
CDU-Ratsfraktionschefin Simone-Tatjana Stehr versuchte in ihrer Rede, die Lichter im Dunkeln zu sehen. Oberhausen erhält zwar keine Hochschule (ein altes CDU-Ziel), aber dann schauen die Christdemokraten eben auf den angeleierten NRW-Wissenschaftscampus als Trostpflaster. „Es ist eine großartige Entwicklung für unsere Stadt! Ideen wie Quartiersentwicklung oder auch der Emscherumbau werden hier kreativ gestaltet.“
Stehr lobt die neu entwickelten Standards für das digitale Klassenzimmer, das junge Modellprojekt Sportboxen, die „Macht-mehr-Kreisverkehre-statt-Ampel-Kreuzungen“-Initiative, die neue Laufstrecke am Kanal, die geplanten neuen Unterflur-Container für mehr Sauberkeit und den frisch aufgelegten Energie-Hilfe-Fonds für Vereine. Wer unbedingt will, kann also gute Nachrichten finden. Für die Zukunft fordert die 19-köpfige Ratsfraktion: „Unsere Infrastruktur muss in allen Bereichen sach- und bedarfsgerecht ausgebaut werden. Die Schulen müssen genauso intensiv ausgebaut werden, wie wir sie in den zurückliegenden Jahren erfolgreich mit digitaler Infrastruktur ausgestattet haben.“
Wer soll aber künftig den beengten öffentlichen Straßenraum nutzen? Beim umstrittenen Mobilitätsthema versucht Stehr in der Autostadt Oberhausen den ultimativen Spagat: Alle Verkehrsmittel sollen Raum haben, das Fahrrad müsse einen entscheidenden Anteil haben, aber: „Ein Ausspielen verschiedener Verkehrsmittel untereinander halten wir für unverantwortlich.“ Und das bedeutet: Die CDU setzt weiter aufs Auto. Denn Realität sei, dass die Pkw-Dichte weiter steigt: „Auch wir in Oberhausen müssen uns auf einen erhöhten Pkw-Verkehr einstellen.“ Ein wenig Platz auf den Straßen und Bürgersteigen schaffen will die CDU, indem Autos in den Zentren nicht mehr auf der Straße parken sollen – sondern in Quartiersparkhäusern.
SPD mit realistischer Einschätzung: „Daraus wird keine Zukunft gebaut“
Stehrs Amtskollegin Sonja Bongers, seit Sommer 2019 SPD-Ratsfraktionschefin, widmet sich dagegen mehr den traurigen Zahlen – und deren Ursachen: „Mangelnde Wirtschaftskraft als Spätfolge des Strukturwandels, die Corona-Pandemie, die humanitären Hilfen für die Ukraine-Flüchtlinge und die Kostenexplosion bei Gas, Strom und vielen Gütern des täglichen Bedarfs.“
Aufhorchen bei einer ausgewiesenen Sozialpolitikerin lässt diese realistische Einschätzung, wie sehr Oberhausen strukturell durch hohe Sozialausgaben gefesselt ist: „Fast die Hälfte des Haushalts fließt in Soziales und damit in den gesellschaftlichen Reparaturbetrieb. Das ist zwar absolut notwendig für den sozialen Zusammenhalt, aber daraus wird keine Zukunft gebaut. Erst recht nicht, wenn die Kommunen von einer aufreizend untätigen Landesregierung genötigt werden, neue Schulden im Akkord zu machen, um die krisenbedingten Steuerausfälle und Mehrausgaben im Alleingang zu stemmen.“
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Und dann knöpft sich die sonst so betont zurückhaltende Juristin die Stadtspitze vor, allen voran Oberbürgermeister Daniel Schranz (CDU). Obwohl in der Stadtführung immerhin drei Parteifreunde neben vier Christdemokraten arbeiten, redet sie Tacheles: schlampige Arbeit, Chancentod, Schlafmützigkeit, mangelnde Voraussicht. Und sendet gleich eine Warnung an alle vom Rat gewählten Spitzenkräfte der Stadt hinterher: „Wenn es gar nicht anders geht, dürfen auch personelle Konsequenzen kein Tabu sein.“
Grüne: In Oberhausen werden Jugendliche und Klimaschutz abgehängt
Und die Grünen? Sie schütten ebenfalls reichlich Kritik auf die Stadtführung aus: „Wir fordern, alles zu geben! Innovationen und Ideen Raum ermöglichen, statt Schema F zu pflegen. Wir dürfen nicht nur Standard verwalten.“ Ob Prostituiertenschutzgesetz oder Mobilitätskonzept – Umsetzung mangelhaft. „Für Oberhausen gibt es keine Bestrebungen, Mobilität tatsächlich zukunftsfähig aufzustellen“, analysiert Grünen-Fraktionschefin Steffi Opitz.
„Die Klimaziele können so nicht erreicht werden. Und: Es werden wieder Bürger*innen abgehängt. Diejenigen, die sich kein Auto leisten. Diejenigen, die oft nicht mobil sein können, weil mal wieder die Buslinie gekürzt wurde und weil der Fahrradweg im Nirgendwo endet.“ Insgesamt komme Oberhausen in der Klimapolitik durch Flächenfraß, Baumfällungen und fehlende Solardächer nicht voran.
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Zudem würden Kinder und Jugendliche in Oberhausen nicht ausreichend gefördert. „Fehlende Kitaplätze, inklusive fehlendes Fachpersonal. Kein flächendeckendes Konzept für die Offene Ganztagsschule (OGS), das neben Quantität auch Qualität garantiert. Fachkräftemangel in der Kinder- und Jugendhilfe. Wo sind wirkliche Freizeitflächen für Jugendliche? Wo sind in den ganzen Punkten Ihre Strategien?“ Die Grünen verlangen, dass Klima- und Umweltpolitik zur Pflichtaufgabe werden.
Das denken die kleineren Parteien über die Stadtpolitik in Oberhausen
Und die anderen, kleineren Ratsparteien? Sie bleiben sich ihrer Linie treu – wie die Grünen.
Die Linken verlangen eine Übergewinnsteuer für Krisengewinnler unter den Unternehmen, eine Vermögensabgabe für die Superreichen und eine Vermögenssteuer, die den Kommunen zugutekommen soll. Land und Bund sollen die Altschulden-Probleme endlich lösen, den Kommunen mehr Geld geben – und die armen Bürger stärker stützen. Linken-Fraktionschef Yusuf Karacelik fürchtet den Würgegriff der Schuldenlast in Oberhausen: „Es wird eine zunehmende Elendsverwaltung, und der politische Einfluss des Rates wird zunehmend seiner Befugnisse beraubt werden.“
Die FDP wiederum sieht kaum echten Spareifer der Stadtspitze („Viele unserer Sparpotenziale sind noch nicht ausgeschöpft“) – im Gegenteil: Die Stadtverwaltung erhalte immer mehr Personal, werde immer mehr aufgebläht, ohne dass bessere Arbeit geliefert werde. „Wir fordern einfach mehr Effizienz. Lassen Sie uns endlich eine schlanke, bürgerfreundliche Verwaltung schaffen – lassen Sie uns unsere Idee vom One-Stop-Shop realisieren. Statt etlicher Wartemarken wollen wir einen Besuch beim Amt, der alles regelt“, ruft FDP-Gruppenvize Thomas Kattler in den Saal.
Wolfgang Kempkes, Vorsitzender der vierköpfigen AfD-Fraktion, sieht Verschwendung statt wirtschaftliches Handeln der Oberhausener Stadtspitze. Vor allem der Kulturetat sei völlig aufgebläht – dank der „belanglosen Beschäftigungseinrichtung Theater“ und der Unterstützung „luxusverwöhnter linker Subkultur“. Hier könnte man viele Millionen Euro in zweistelliger Größenordnung einsparen. Die AfD wirft allen anderen Parteien im Rat angesichts der Stadtfinanzen Versagen vor. „Die kommunale Unabhängigkeit der Stadt ist nicht mehr existent; die DDR-isierung unserer Stadt ist vollzogen worden.“
Die Reden zum Haushalt 2023 in Oberhausen im Wortlaut:
Lesen Sie die Reden der Politiker zum Oberhausener Haushalt 2023 im Wortlaut in diesem Bericht nach: https://www.waz.de/staedte/oberhausen/etat-2023-herbe-finanzloecher-bedruecken-oberhausener-politik-id236913443.html