Oberhausen. Werner Bergmann, Historiker aus Oberhausen und Streiter für die Burg Vondern, erklärt im schönen neuen Buch den „Pott“ vor der Industriezeit.
Nach den Maßstäben eines rührigen Kleinverlages wie Henselowsky Boschmann ist es schon fast ein „Coffeetable“-Schmöker: gut gebunden, mit seidigem Lesebändchen und reich illustriert – allerdings auf matterem Papier. Denn so ist es dem historischen Sujet angemessen. Werner Bergmann, promoviert und habilitiert in mittelalterlicher Geschichte, kennen Oberhausener schließlich als wortmächtigen und klingenscharf argumentierenden Streiter für den denkmalgerechten Erhalt der Burg Vondern.
Unter der fast flapsigen Überschrift „Verwahrlost bis attraktiv“ gehören dem einstigen Sitz derer von Nesselrode und Landscron natürlich auch zehn gehaltvolle Seiten der schmucken Neuerscheinung mit dem vielleicht allzu sachlichen Titel „24 Spaziergänge in die alte Zeit des Ruhrgebiets“. Dabei geht es dem Autor als Flaneur um ein durchaus hehres Anliegen: Er korrigiert ein im Pott verbreitetes Geschichtsbild – zumal in einer so jungen „Pionierstadt“ wie Oberhausen, die vor 175 Jahren noch aus einem Schienenstrang durch schüttere Heide bestand. Tatsächlich – und hierfür liefert der 76-jährige Autor 24-fach fundierte Argumente – reicht die Historie des späteren Reviers viel weiter zurück als zu den Stahlbaronen oder dem Dubliner Pütt-Pionier William Thomas Mulvany (1806 bis 1885).
Für Werner Bergmann ist das rußschwarze Fast-Gegenwart. Seine Spaziergänge führen zur unscheinbaren, aber uralten Kapelle am Wattenscheider Hellweg aus dem frühen 15. Jahrhundert oder entlang der 670 erhaltenen Meter der Duisburger Stadtmauer – dergleichen vermuten weniger Geschichtsbewusste doch viel eher im puppenstubigen Altstadtidyll von Hattingen. Versteht sich, dass ein Autor mit dieser fachlichen Reputation auch beim Blick von den Vonderner Zinnen weitere Zeugnisse der „alten Zeit“ auftut: So empfiehlt sich für Oberhausener seine kurze Exkursion zum Schloss Styrum, direkt neben dem etwas berühmteren „Aquarius“-Wasserturm.
Viele Verweise verlangen aufmerksame Leser
Das erhaltene Schlösschen ist zwar in seiner heutigen Gestalt weit jünger, als es die lang ausholende Styrumer Historie vermuten lässt. Doch das kann einen Erzähler von Bergmannschem Schwung nicht bremsen: Er rekapituliert die Jahrhunderte, in denen Styrum – und zwar beiderseits der heutigen Stadtgrenze zwischen Mülheim und Oberhausen – als eigenständige „Herrschaft“ im heillos zerstückelten Deutschen Reich erhalten blieb. Erst das napoleonische Großreinemachen kehrte auch dieses „Mini-Territorium“ beiseite.
Die vielen Querverweise zwischen den zahlreichen kleinen Herrschern und dem niederen Adel – „die sich beide den Hintern nachtragen ließen“, wie der Autor pointiert anmerkt – verlangen aufmerksame Leser, machen aber auch neugierig. Denn so lässt sich entdecken, dass das Bilderbuchschloss Herten, für Werner Bergmann ein „Juwel unter den Wasserschlössern Westfalens“, auch für Vondern von großer Bedeutung war: Denn hier wie dort residierte jene Familie Nesselrode, die als Statthalter für den Kölner Erzbischof über etliche Generationen das Vest Recklinghausen verwalteten: Und das reichte in alter Zeit bis Osterfeld.
Abseits der Handelswege und in unfruchtbarer Gegend
Neben der Burg Vondern widmet sich der Historiker, zu dessen jüngsten Veröffentlichungen auch eine Erkundung über „Bruchrechnen im Mittelalter“ zählt, auch dem Kastell Holten – und damit einem weiteren territorialen Kuriosum: Denn bis 1824 hatte das bestenfalls 500 Einwohner zählende Holten ein halbes Jahrtausend lang Stadtrechte. Dabei heißt es in den „24 Spaziergängen“ kühl: „Holten war, abseits der Handelswege und in unfruchtbarer Gegend gelegen, nicht mit Prosperität und Reichtum gesegnet.“ Zu einem eigenen Rathaus hatte es diese Stadt nie gebracht. Stattdessen gab’s ja das ansehnliche Kastell.
Ein bisschen Industriegeschichte liefert der Mittelalter-Kenner aber doch – und zwar ausgerechnet im Kapitel über das Essener Münster. Dort prunkt, als einziges zeitgenössisches Porträt dieses Buches, das Gemälde einer jungen sächsischen Prinzessin: Maria Kunigunde regierte von 1776 an als Äbtissin die Stadt Essen und etliche angeschlossene Ländereien. „Sie brachte ihren Kleinstaat auf Vordermann“, lobt der Autor, „vielfach gegen den nicht unerheblichen Widerstand ihrer Untertanen.“ Sie ließ, privat finanziert, die erste brauchbare Chaussee bis nach Wesel bauen – und machte mit der Maut guten Gewinn. Und es war diese tatkräftige Äbtissin, die einen gewissen Gottlieb Jacobi von der Sayner Hütte bei Koblenz nach Königshardt holte – um dort die 200-jährige Historie der St. Antony-Hütte zu begründen.
Die „24 Spaziergänge“ schließen übrigens mit der ungleich strapaziöseren Reise des päpstlichen Nuntius (und selbst späteren Papstes) Fabio Chigi: Auf dem Weg nach Münster, um dort den Westfälischen Frieden mit auszuhandeln, knallten dem frierenden Toskaner die Sterkrader Ordensschwestern die Klostertür vor der Nase zu. Doch nicht wegen dieser Schmach zitiert ihn Werner Bergmann, sondern als einen der wenigen Zeitzeugen, der ausführlich und in lateinischen Versen das Leben der einfachen Leute beschrieb. Übersetzt liest sich das so: „Unter gemeinsamem Dach wohnen Bürger und trächtige Kühe / Und mit dem stinkenden Bock auch noch die borstige Sau.“
Nicht erst für die italienischen „Gastarbeiter“ 330 Jahre später bedeutete das Revier einen gelinden Kulturschock.
Mit neuen und alten Fotos plus historischen Karten
Werner Bergmanns „24 Spaziergänge in die alte Zeit des Ruhrgebiets“, untertitelt, „Begegnung mit unseren Altvorderen“ hat 208 Seiten, reichlich illustriert mit aktuellen und historischen Fotos sowie einigen antiken Kartenausschnitten, kostet 19,80 Euro, ISBN 978-3-948566-17-3, erhältlich in allen Buchhandlungen oder über die Verlags-Homepage mit dem prägnanten Namen vonneruhr.de.
Den Umschlag, eine turmhoch aufragende Collage einiger der 24 Sehenswürdigkeiten, schuf übrigens Benjamin Bäder, der schon für Verleger Werner Boschmann die satirischen „Heinzelmännkes“ illustrierte.