Oberhausen. . Als Nuntius fand Fabio Chigi 1644 keine Rast im Sterkrader Kloster. Der spätere Papst Alexander VII. wurde jüngst im Lesesommer wiederentdeckt.
- Fabio Chigi, verstorben vor 350 Jahren, avancierte zum heimlichen Helden des Sterkrader Lesesommers
- Sein Versepos „Philomathi Labores Juveniles” beschreibt Westfalen anno 1644 aus italienischer Sicht
- Und in „der Heimat des Regens” wiesen dem Durchreisenden auch noch die Sterkrader Nonnen die Tür
Im Barock war das winzige Sterkrade eine Inspiration der Weltliteratur. Das ist natürlich maßlos übertrieben – und doch ein Quentchen wahr. Im Sterkrader Lesesommer kam ein 360-jähriges Werk wieder zu Ehren, gewürdigt beim literarischen Stadtspaziergang mit Ingo Dämgen – und natürlich durch Propst Peter Fabritz während einer launigen Lesestunde im Café. Beide schöpften aus den „Philomathi Labores Juveniles”, einem Reise- und Erfahrungsbericht, kunstvoll gereimt in lateinischen Hexametern mit einigen wenig freundlichen Versen über die mangelnde Gastfreundschaft der Sterkrader Ordensschwestern, veröffentlicht anno 1656 in Paris.
Bewährt als Inquisitor auf Malta
Der Poet dieses Werkes, das Historiker heute als kulturgeschichtliche Quelle von Rang ausbeuten, amtierte damals im ersten Jahr als Nachfolger Petri: Fabio Chigi, Papst Alexander VII. Er war der Großneffe Papst Pauls V., beide stammten aus der Toskana, aus Sienas führender Bankiersfamilie.
Der junge Fabio Chigi, umfassend ausgebildet in seiner Heimatstadt, bewährte sich 36-jährig als Inquisitor auf Malta, damals die vorderste Front der katholischen Christenheit gegen das osmanische Reich.
Im kurkölnischen Vest und in Westfalen waren die diplomatischen Fronten nicht annähernd so klar nach 26 Jahren des 30-jährigen Krieges. Quälende Nierensteine hat der päpstliche Nuntius Fabio Chigi sich zugezogen in „der Heimat des Regens” – und die Römer machten ein Jahrzehnt später auch noch spöttische Kalauer aus der „Mal di Pietra”. Das „Übel der Steine” war für sie die päpstliche Bauwut.
Per Sänfte nach Sterkrade schaukeln lassen
Warum dieser eminente Diplomat im März 1644 nun auf seinem Weg von Köln nach Münster in Sterkrade das Nachtquartier verweigert wurde? Mit dem Kloster der Zisterzienserinnen, gestiftet anno 1240, stand es nach einem halben Jahrhundert der Religionskriege nicht zum Besten. Das Kloster war zerstört, aufgebaut und erneut geplündert worden. 40 Jahre hatte der Konvent in Holten im „Exil“ zubringen müssen. Da kann selbst ein päpstlicher Nuntius lange anklopfen.
Von Wesel aus hatte sich Fabio Chigi per Sänfte hierher schaukeln lassen – und weiter über Kirchhellen nach Dorsten „wo wir mit Fackeln und Kanonenschüssen empfangen wurden”. Und die waren mal nicht zur Abwehr gedacht, sondern zum freundlichen Empfang. Zuviel der Ehre für den toskanischen Feingeist: „Meine Ohren sind eben nur den Wohlklang schöner Verse gewöhnt.”
„Ein scheußlicher Fraß“
Der Poet war aber auch ein scharfer Beobachter, dem seine nassen Schuhe ebenso Hexameter wert waren wie „dieses Brot Pompernikel, ein scheußlicher Fraß, den ich selbst Bauern und Bettlern nicht anbieten würde”. Mit dem Schwarzbrot machte Fabio Chigi erst nördlich von Lüdinghausen Bekanntschaft. Legendär, aber nicht belegt, ist jener Aktenvermerk, den der Nuntius nach Rom gesandt haben soll: ein trockenes Stück Pumpernickel, „Ecce panis Vestfalicorum”.
Die Getränke Westfalens fand der spitzbärtige Herr aus der Heimat des Chianti kaum genießbarer: „Zu trinken gibt es gewöhnlich ein Gebräu aus gegorener Gerste”. Keut, ohne Hopfenzusatz, war das Bier der vielen Ärmeren.
Vergleichsweise ärmlich logierte der Nuntius auch während des langen Jahrfünfts bis zum Westfälischen Frieden. Fabio Chigis „famiglia” im feuchten Minoritenkloster an der Aa zählte gerade sechs Mitarbeiter.
Vermitteln, aber nichts entscheiden
Die französische Gesandtschaft der Friedens-Verhandlungen bestand aus fast tausend Personen. Die stellten dem Nierenstein-Geplagten zwar den königlich französischen Steinschneider zur operativen Verfügung, doch die Leiden des Nuntius wurden nicht geringer.
Auch die diplomatische Mission des Mittvierzigers war eine unglückliche: „pausenlos vermitteln, aber nichts entscheiden”, so zitiert der „L’Osservatore Romano” den Historiker Alexander Koller. Das katholische Frankreich war mit dem protestantischen Schweden verbündet und machte Beute auf Kosten der kaiserlichen Habsburger: Mainz und Worms fielen 1644.
Der Nuntius des Papstes durfte mit Lutheranern und Calvinisten keinesfalls direkt verhandeln. Fabio Chigi nannte sich selbst bedauernd „Notar”, denn er war angewiesen auf den geschmeidigeren Gesandten der Republik Venedig.
Das Verhältnis zu Frankreich und seinem Kardinals-Regenten Mazarin verschlechterte sich weiter während Chigis Amtszeit als Alexander VII. Dafür hinterließ der Papst, dessen Nierensteine sich im Spott der Römer zur Bauwut auswuchsen, jene architektonische Pracht, wie sie heute die Touristen lieben: von den Kolonnaden des Petersplatzes bis zur Piazza Popolo. Sein Grabmonument im Petersdom ist das letzte Werk des Bildhauer-Genies Bernini.